Robert Habeck legt die Nazi-Vergangenheit seiner Vorfahren offen. Die meisten Deutschen wissen derweil wenig über die eigene Familiengeschichte in der NS-Zeit. Fünf Tipps, um das zu ändern.
Zum ersten Mal hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) über die nationalsozialistische Vergangenheit seiner Familie gesprochen. in einem Interview mit der Zeitschrift "Bunte" bestätigte er, dass sein Großvater mütterlicherseits Obersturmführer der SA war. Habecks Urgroßvater gehörte gar zum innersten Zirkel Adolf Hitlers.
Dass Habeck damit nun an die Öffentlichkeit ging, ist bemerkenswert. Denn die meisten Deutschen haben zwar in der Schule viel über die Zeit zwischen 1933 und 1945 gelernt. Über die Rolle der eigenen Familie wissen sie hingegen wenig – und wenn doch, behalten sie es lieber für sich. Die Historikerin Angela Borgstedt von der Uni Mannheim sagt dazu: "Das Bild, mit dem viele aufwachsen, ist: Opa war kein Nazi. Und wer guckt schon gerne nach den Skeletten im eigenen Keller?"
Das zeigt auch eine repräsentative Umfrage aus dem Jahr 2018. Damals ging knapp jeder fünfte Deutsche davon aus, dass Mitglieder seiner Familie Verfolgten des Nationalsozialismus geholfen hätten. Zum Beispiel, indem sie Juden versteckt hielten. Tatsächliche aber schätzen Historiker, dass dies auf gerade einmal 10.000 Deutsche in der NS-Zeit zutraf.
Höchste Zeit also, in der eigenen Familie nachzuforschen. Mit diesen fünf Tipps wird Ihnen das gelingen:
Die wichtigste Quelle, um mehr über die eigenen Vorfahren herauszufinden, sind Angehörige. Zwar leben nur noch wenige Menschen, die in der NS-Zeit potenzielle Täter waren. Allerdings, sagt Historikerin Borgstedt, lohne sich ein Gespräch mit deren Kindern ebenfalls. Aber auch hier gilt: "Ich würde nicht mit der Tür ins Haus fallen. Sonst fühlt sich das Gegenüber unter Druck gesetzt, sich rechtfertigen zu müssen." Dann sei das Gespräch schnell vorbei.
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Besser ist es, bei bekannten biographischen Details ansetzen. Zum Beispiel so: "Was hat dein Vater dir eigentlich davon erzählt, als er im Krieg war?" Kommt der Angehörige erst einmal ins Erzählen, lassen sich heikle Nachfragen eher ins Gespräch einweben. Oft besitzen Verwandte auch noch alte Dokumente oder Bilder, die Aufschluss über das Leben im Nationalsozialismus geben.
Ist ihr Gespräch mit Familienangehörigen wenig ergiebig, können Sie auch Dokumente bei den zuständigen Archiven beantragen. Dafür brauchen sie nur den Namen und das Geburtsdatum einer Person.
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Diese finden sie beispielsweise auf alten Ausweisen oder Geburtsurkunden. Sie können das Geburtsdatum einer Person auch beim Standesamt des Geburtsortes erfragen – zumindest, wenn die Geburt weniger als 110 Jahre zurückliegt.
Ausgerechnet der im Nationalsozialismus zur Verfolgung von Minderheiten ausgestellte "Ariernachweis" kann bei der Recherche helfen. Denn darauf sind Verwandtschaftsverhältnisse und biographische Daten vermerkt. Auf einigen Dachböden dürfte dieses Dokument noch in sogenannten "Nazi-Kisten" liegen. Darin versteckten einige Familien nach dem Ende des Nationalsozialismus belastendes Material.
Weitere biographische Details können bei der Recherche helfen, etwa der Beruf oder die militärische Einheit, in der ihr Vorfahre gedient hat.
Die erste Anlaufstelle bei der Aktensuche ist das Bundesarchiv. Dort findet sich etwa die Mitgliederkartei der NSDAP, die die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg sicherstellten. Besonders gut stehen die Chancen auf einen Treffer, wenn Ihr Angehöriger in einer Behörde des Deutschen Reichs arbeitete. Aber auch, wenn er oder sie jüdischer Abstammung oder im Widerstand aktiv war. Denn auch das dokumentierten die Nazis akribisch. In jedem Fall lohnt sich eine formlose Anfrage an das Bundesarchiv per E-Mail.
Martin Stingl vom Landesarchiv Baden-Württemberg rät: "Ich würde sowohl im Bundesarchiv als auch im zuständigen Landesarchiv suchen, um ein vollständiges Bild zu erhalten." Der erste Schritt hierzu ist eine Anfrage in der Online-Suchmaske des Landesarchivs. Aus Datenschutzgründen sind dort allerdings nur Personen verzeichnet, die seit mindestens zehn Jahren tot sind. "Finden Sie dort nichts, geben Sie nicht auf, sondern erkundigen sich noch einmal per E-Mail", sagt Stingl. Werden die Archivare fündig, könne Sie die Akten vor Ort einsehen.
So finden Sie beispielsweise Akten aus Entnazifizierungsprozessen. Doch diese sind mit Vorsicht zu betrachten. "Selten wurde so viel gelogen, wie in diesen Prozessen", sagt Stingl. Die Aussagen von damals sollten deshalb, wenn möglich, mit anderen Dokumenten abgeglichen werden.
Falls Sie vermuten, dass einer Ihrer Angehörigen zu den NS-Opfern gehörte, lohnt sich eine Suche in den "Arolsen Archives". Das weltweit größten Archiv zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus steht im hessischen Bad Arolsen. Dort finden Sie Dokumente zu KZ-Inhaftierten, Zwangsarbeitern und sogenannten "Displaced Persons", also Opfern des Nationalsozialismus, die später von alliierten Hilfsorganisationen betreut wurden.
Erste Ergebnisse liefert bereits eine schnelle Suche im Online-Archiv. Wer die umfangreichen Bestände vollständig durchsuchen will, muss eine Online-Anfrage stellen. Diese wird nach durchschnittlich zwei, maximal nach fünf Monaten beantwortet. Laut eigenen Angaben können die Rechercheure die Hälfte der Anfragen mit der Zusendung von Dokumenten beantworten, etwa mit Inhaftierungsunterlagen. Das Angebot ist zunächst kostenlos. Nur, wenn viele Dokumente digitalisiert werden müssen, fallen Gebühren an.
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Eine weitere Anlaufstelle ist der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes, der 50 Millionen Karteikarten digitalisiert hat. Angehörige erfahren hier, was mit Wehrmachtsvermissten und Gefangenen in sogenannten Gulags, den berüchtigten sowjetischen Arbeitslagern, geschah. Auch hier können Sie einen Online-Suchantrag ausfüllen.
Wem die Recherche in den Archiven zu mühsam ist oder wer dabei nicht weiterkommt, kann auch einen privaten Recherchedienst beauftragen. Das Bundesarchiv hat einige davon in einer Liste zusammengefasst. "Das sind Historiker, die sich in den Archiven schon auskennen", sagt Archivar Stingl. Für sie sei eine Suche deutlich einfacher.
Wichtig: Die meisten Recherchedienste haben sich auf ein Archiv spezialisiert. Es ist deshalb hilfreich, erst einmal in Erfahrung zu bringen, wo ein Angehöriger während des Nationalsozialismus gelebt hat – und in welchem Archiv die Dokumente liegen könnten.