Von Alexej Danckwardt
Die Kommunalwahl in Thüringen am Sonntag galt als erster Test für die anstehenden Europawahlen und die im Herbst bevorstehenden Landtagswahlen in gleich drei ostdeutschen Bundesländern, darunter im Freistaat Thüringen selbst. Mit Spannung wurde vor allem erwartet, wie stark die AfD nach den zahlreichen medialen Kampagnen, tatsächlichen und konstruierten Fehltritten ihrer Politiker sowie der Verurteilung des AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke Federn lassen müsste. Jedenfalls im Vergleich zu dem Umfragehoch zum Jahresbeginn, denn dass die Opposition von rechts ihr Ergebnis bei den vorausgegangenen Wahlen deutlich übertreffen würde, stand nie ernsthaft infrage.
In der Tat wird die AfD den Spitzenwert in einer auf Thüringen bezogenen Meinungsumfrage im Ergebnis der noch nicht abgeschlossenen Auszählung der Kommunalwahl nicht erreichen. 36,5 Prozent trauten ihr die Meinungsforscher in einer am 26. Dezember 2023 veröffentlichten Umfrage des "Instituts Wahlkreisprognose" bei Landtagswahlen zu, eine Forsa-Umfrage vom 11. Januar sah sie ebenfalls bei 36 Prozent. Bei den gestrigen Kommunalwahlen wird die Partei landesweit wohl etwas über 26 Prozent verbuchen, immerhin ein Plus von 9 Prozentpunkten im Vergleich zu 2019. Die Differenz zu den Meinungsumfragen Anfang des Jahres können Medien und Polittechnologen des Mainstreams als eigenen Erfolg verbuchen, auch wenn sich Kommunal- und Landtagswahlen nicht gleichsetzen lassen.
Die genannten Werte beziehen sich auf die Ergebnisse der Abstimmung über die künftige Zusammensetzung der Stadt- und Kreistage in Thüringen. Diese Klarstellung ist wichtig, denn der gestrige Wahltag hat ein auffälliges Phänomen offenbart: Bei den Personenwahlen für die höchsten Posten in Landkreisen und kreisfreien Städten schnitt die AfD an vielen Orten im Freistaat schwächer als bei den Wahlen in die kommunalen Parlamente ab. Letztere sind reine Parteien- oder Listenwahlen und nach der Kommunalverfassung Thüringens nicht im gleichen Maße mit Regierungsverantwortung verbunden wie die Posten der Landräte oder der Oberbürgermeister.
Als Beispiel sei die kreisfreie Stadt Gera erwähnt: Dort läuft die Auszählung der Stadtratswahl zur Stunde noch. Von 114 Stimmbezirken sind heute um 17 Uhr 94 ausgezählt und die AfD führt mit 35,3 Prozent mit deutlichem Abstand zu allen anderen Parteien (die CDU kann als zweitplatzierte Liste mit etwa 16,3 Prozent rechnen). Ganz anders sieht jedoch das Ergebnis der schon ausgezählten Wahl des künftigen Oberbürgermeisters aus: Der AfD-Kandidat holte dabei mit 24,4 Prozent deutlich weniger als seine Partei und schaffte es nicht einmal in die Stichwahl, die der parteilose Amtsinhaber Julian Vornab und der Bewerber Kurt Dannenberg von der CDU unter sich austragen werden.
Es bestehen also für die AfD elf Prozent Diskrepanz zwischen der Personenwahl und der Parteienwahl für das kommunale Parlament. Wäre es in anderen thüringischen Kreisen anders, müsste man einen Malus beim Kandidaten suchen, doch ähnliche Konstellationen sieht man in ganz Thüringen. Im Saale-Holzland-Kreis holte der AfD-Kandidat für das höchste Amt im Kreis fast zwei Prozent weniger als die Partei bei der Kreistagswahl, schaffte es allerdings in die Stichwahl. Im Unstrut-Hainich-Kreis fällt das Ergebnis der Landratskandidaten der AfD um 2,5 Prozent schlechter aus als das der Partei, im Ilm-Kreis um fast acht Prozent.
Es gibt allerdings auch Gegenbeispiele. So schafft es der AfD-Kandidat Heiko Philipp mit 33 Prozent als Erstplatzierter in die Stichwahl um das Amt des Landrats im Altenburger Land, während seine Partei bei der Wahl für den Kreistag hier nach aktuellem Stand auf "nur" 31,4 Prozent kommt. Das zeigt, dass die AfD mit dem "richtigen" Personal durchaus auch das Potential hat, bei den Wählern um kommunale Regierungsverantwortung zu werben. Bislang erteilen die Wähler ihr in den allermeisten Fällen nur ein "Oppositionsmandat", was immer noch unter der Rubrik "Protestwahl" rangiert.
Der zweite wichtige Trend der gestrigen Wahl ist der voranschreitende Niedergang des traditionellen linken Parteienspektrums (das Bündnis Sahra Wagenknecht trat am Sonntag offiziell landesweit nicht an, könnte aber einige Mandate durch Überläufer aus der Partei Die Linke "erben"). Die Landeshauptstadt Erfurt und die Universitätsstadt Jena sind die wohl letzten Hochburgen der "bunten Republik" in ihrem "grünen Herzen", als das Thüringen gilt. In Jena kommt Die Linke des Ministerpräsidenten Bodo Ramelow bei den Stadtratswahlen auf 16,8 Prozent, Die Grünen erreichen 15,2 Prozent und die SPD 13,0 Prozent. In Erfurt schneidet die SPD etwas besser, Die Linke etwas schlechter ab und Bündnis 90/Die Grünen verbuchten dort 8 Prozent.
Im Landesschnitt dagegen haben alle drei Erfurter Regierungsparteien starke Einbußen zu verzeichnen. Die Linke ist nur noch einstellig, die Grünen landen bei der landesweiten Betrachtung gar unter fünf Prozent.
Für Bodo Ramelow ist das Ergebnis "seiner" Partei, die fast überall absackt, ohne dass das BSW überhaupt auf dem Stimmzettel stand, ein überdeutliches Alarmsignal. Vor 10 Jahren konnte Die Linke landesweit noch 22 Prozent der Wähler überzeugen, gemessen daran hat sie heute nahezu zwei von drei Wählern verloren.
Ein weiterer in Thüringen auffälliger Trend ist folgender: In vielen Landkreisen und Städten fliehen aussichtsreiche Kommunalpolitiker aus den etablierten Parteien und organisieren sich Bewerber in unabhängigen Bündnissen und freien Listen. Im Landkreis Hildburghausen geht ein parteiloser Kandidat der Freien Wähler mit über 40 Prozent als Favorit in die Stichwahl um den Posten des Landrats, drei unabhängige Kandidatenlisten werden in der Summe ebenfalls 40 Prozent der Abgeordneten im Kreisrat stellen. Im Ilm-Kreis hat die parteilose Einzelbewerberin die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang nur knapp verpasst. In Weimar gelang dem parteilosen Bürgermeister mit Unterstützung durch die CDU und ein Bürgerbündnis im ersten Wahlgang die Wiederwahl.
Einer etablierten Partei anzugehören, ist offensichtlich inzwischen mehr ein Hindernis als ein Vorteil in der "kleinen" Politik vor Ort. Eine Distanz zu den etablierten Parteien honorieren Wähler eher: Nahezu ein Viertel der Stimmen konnten unabhängige Kandidaten bei den Personenwahlen landesweit auf sich vereinen, bei der Abstimmung für die kommunalen Vertretungen ging jede fünfte Stimme an diverse parteiunabhängige Bündnisse und die Freien Wähler.
All das zeigt, dass das Parteienspektrum Deutschlands im Umbruch begriffen ist. Keine Polittechnologie und keine Medienkampagne allein wird das Vertrauen in die etablierten Parteien wiederherstellen können.
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