Die ungarische Billigfluglinie Wizz Air will künftig mit klimaneutralem Kerosin aus Exkrementen fliegen – als erste Airline weltweit. Ist das ernst gemeint und macht das Sinn?
Es klingt reichlich abstrus: Kerosin aus Kot. Selbst für einen billigen Werbespruch – für den sich manche Billigairlines nicht zu fein sind - wirkt es wenig verlockend. Was steckt also hinter der Ankündigung, mit der die drittgrößte europäische Billigfluggesellschaft in Fachkreisen für Aufmerksamkeit sorgt?
Zunächst die Fakten: Wizz Air, die stark expandierende ungarische Billigfluglinie, kündigte im April an, dass sie ab 2028 bis zu 525.000 Tonnen klimaneutrales Kerosin aus Fäkalien einsetzen will. Das hat das Unternehmen mit dem britischen Start-up Firefly vertraglich vereinbart. Firefly hat ein entsprechendes Verfahren entwickelt, um aus Klärschlamm nachhaltigen Treibstoff für Flugzeuge zu produzieren. Wizz Air will das in vier Jahren als erste Airline tanken. Derzeit betreibt die Nummer drei hinter Ryanair und Easyjet gut 200 Airbus-Maschinen, bis Ende des Jahrzehnts sollen es 500 sein.
Das lässt aufhorchen, denn die enormen CO2-Emissionen gehören zu den größten Problemen im Luftverkehr. Die Lösung dafür sehen die meisten Experten im Einsatz von nachhaltigem Treibstoff. An der Herstellung des sogenannten Sustainable Aviation Fuels (SAF) tüfteln Forschungseinrichtungen und Unternehmen seit Jahren. Viele verschiedene Verfahren befinden sich in der Erprobung, erste Flugzeuge mit SAF-Beimischungen sind im Einsatz – auch bei der Lufthansa. Einen industriellen Standard gibt es aber noch nicht und auch noch keine Produktion im großen Maßstab.
Das wird sich jedoch in absehbarer Zeit ändern müssen, da die EU-Kommission den Druck mittlerweile massiv erhöht hat: Bereits ab dem kommenden Jahr müssen Fluggesellschaften in Europa mindestens zwei Prozent ihres Treibstoffbedarfs mit nachhaltigem Kraftstoff abdecken. Ab 2030 sollen es sechs Prozent sein, 2050 dann 70 Prozent. Die Produktion des nachhaltigen Treibstoffs muss also bald in Schwung kommen. Bisher werden weltweit rund 600 Millionen Liter SAF produziert, was nur etwa 0,2 Prozent des Kerosinverbrauchs entspricht.
Fossiles Kerosin kann ersetzt werden – auch durch ungewöhnliche Stoffe wie Frittenfett oder Algen. Neben pflanzlichen Rohstoffen werden zudem aufwendige synthetische Verfahren erprobt, die keine natürlichen Ressourcen verbrauchen. Während einige Abfallstoffe oder Rohstoffe nur begrenzt verfügbar oder schlicht zu teuer sind, gibt es Fäkalien aus Haushalten überall in großen Menge. "Ich finde diesen Ansatz überhaupt nicht abwegig", sagt Ulf Neuling, Projektleiter Kraftstoffe bei der Initiative Agora Verkehrswende auf Anfrage von Capital. Klärschlamm werde aktuell ohnehin schon genutzt etwa als Dünger auf Feldern, aber auch zur Herstellung biologischer Kraftstoffe.
Auch Luftverkehrsexperte Dirk Niemeier, Director bei Strategy&, der Strategieberatung von PwC, ist das geläufig. Das Fraunhofer Institut habe bereits 2017 ein Projekt gestartet, um aus Klärschlamm Kraftstoff zu erzeugen – in dem Fall war es Diesel. Er glaubt jedoch, dass die Zulassung des Rohstoffs und Verfahrens zur Gewinnung von biologischem Kerosin eine Herausforderung bleiben werde. Klärschlamm sei in der Regel stark mit Schwermetallen und anderen Stoffen wie Phosphor belastet, die erst einmal abgeschieden werden müssten.
Damit lohnt ein Blick auf das Verfahren, dass der britische Partner von Wizz Air einsetzen will. Firefly hat vor, den Schlamm aus Großbritanniens Kläranlagen durch hydrothermale Verflüssigung aufzubereiten. Dabei werden die nassen Abfälle mit hohem Druck und Hitze behandelt und so in Rohöl und ein Pulver getrennt. Dieses Pulver kann als Dünger in der Agrarindustrie zum Einsatz kommen. Das Rohöl wiederum soll zu nachhaltigem Flugtreibstoff verarbeitet werden. Der sei dem fossilen Kerosin sehr ähnlich, erklärte das Start-up bei der Präsentation und sei von Expertenlaboren in Großbritannien, der EU und den USA getestet worden. Die CO2-Emissionen des Kraftstoffs sei um 92 Prozent niedriger als bei fossilem Treibstoff.
Für den Einsatz im Luftverkehr muss es allerdings noch zertifiziert werden. Das Verfahren läuft derzeit noch. Wenn die Behörden ihre Erlaubnis erteilen, könnte das durchaus einen Durchbruch für Kot im Tank bedeuten. "Der Prozess ist vielversprechend, in der Forschung gut erprobt und relativ günstig", so Agora-Vertreter Neuling. "Das wäre schon fortschritltlich."
Noch ist das Produkt nicht marktreif. "Aktuell befindet sich das Verfahren sicherlich noch in seinen Anfängen und der Nachweis der wirtschaftlichen großtechnischen Umsetzung und Zulassung für den Flugverkehr steht noch aus", so Strategy&-Berater Niemeier. Eine Pilotanlage soll laut Firefly in den kommenden Monaten errichtet werden. Zur Finanzierung einer Fabrik verhandelt das Unternehmen allerdings auch noch mit Investoren.
Bleibt die Frage, ob genügend Klärschlamm vorhanden ist – oder anders formuliert: Wie weit kann der Kot uns tragen? In Europa gibt es laut Strategy&-Berater Niemeier ein Klärschlammaufkommen von zwei bis drei Millionen Tonnen. Daraus könnten 150.000 bis 300.000 Tonnen nachhaltiger Kraftstoffe hergestellt werden. Aktuell werden allerdings rund 60 Prozent der Klärschlamme anders eingesetzt – etwa für die Wärme- oder Stromerzeugung. Rund 40 Prozent werden als Dünger in der Landwirtschaft genutzt. Global werde das Klärschlammaufkommen voraussichtlich auf 50 bis 150 Millionen Tonnen anwachsen. "Damit ist grundsätzlich ein relevantes Potenzial für Kerosin aus Klärschlamm vorhanden", so Niemeier.
