Der Ausschluss von Joost Klein beim ESC sorgt in seiner Heimat für Empörung. Nun wird über die Gründe spekuliert.
Es war ein Schock kurz vor dem großen Finale: Der niederländische Kandidat Joost Klein war Samstag kurz vor der Austragung des European Song Contest (ESC) für die Teilnahme gesperrt worden. Es gehe um eine Auseinandersetzung und körperliche Drohungen, hieß es von Seiten des Veranstalters. Doch die Vorwürfe aus seiner Heimat in Richtung des ESC zeichnen ein anderes Bild.
Was war passiert? Überraschend hatte am Samstag die European Broadcasting Union (EBU), der Veranstalter des ESC, Kleins Disqualifizierung verkündet. "Die schwedische Polizei hat eine Beschwerde untersucht, die von einem weiblichen Mitglied des Produktionsteams nach einem Vorfall nach seinem Auftritt im Halbfinale am Donnerstagabend eingereicht wurde", hieß es zunächst. Es sei deshalb "nicht angemessen", Klein auftreten zu lassen. Man setze auf eine "Null-Toleranz-Politik". Die Zuschauer waren entsetzt. Und fragten sich, was genau hinter den hart klingenden Vorwürfen steckt.
Aus den Niederlanden gibt es nun mehr Details zu dem von der Polizei untersuchten Vorfall. Dort bewertet man die Lage völlig anders. Der niederländischen Delegation zufolge kam es bereits am Donnerstag zu dem fraglichen Vorfall. Klein habe demnach nach einer Probe die Bühne verlassen. Dabei sei er von einer Frau gefilmt worden – "entgegen klarer Vereinbarungen", wie die Delegation betont. Trotz mehrfacher Aufforderungen Kleins habe sie nicht aufgehört. Dann sei es "zu einer bedrohlichen Bewegung von Joost in Richtung Kamera" gekommen, die letztlich zur Anzeige führte, heißt es in einem Statement des niederländischen TV-Senders "Avrotos". Er habe die Frau aber nicht berührt.
Die genaue Bewegung ist nicht bekannt. Eine Variante würde die unterschiedliche Bewertung der Geste sehr leicht erklärbar machen: Streicht man mit der Hand über den Hals, wird das als "Kopf ab"-Geste und damit als Todesdrohung benutzt. Allerdings ist die Geste auch in einem ganz harmlosen Kontext verbreitet, der durchaus in die Situation passen würde: In der TV- und Filmbranche signalisiert man Kameraleuten so, dass sie aufhören sollen zu filmen. Dadurch wird die Geste in der Branche als Signal genutzt, mit etwas aufzuhören. Ein bekanntes Beispiel ist ein Meme von Schauspieler Jonah Hill, der bei einer Oscar-Rede Emma Stone signalisierte, dass er nicht von ihr auf die Bühne gebeten werden wollte. Natürlich ist aber auch denkbar, dass Klein eine andere, eindeutigere Bedrohungsgeste benutzte.
Die niederländische Delegation gibt sich auch deshalb so aufgebracht, weil sich ihrer Darstellung nach die EBU auch in tagelangen Verhandlungen nicht von ihrer drastischen Maßnahme abbringen ließ. Klein habe bereits vor Bekanntwerden des Vorfalls angeboten, sich mit der Kamerafrau zu treffen und sich öffentlich zu entschuldigen, berichtet Avrotos-Chef Taco Zimmerman gegenüber der hauseigenen Nachrichtensendung "Eenvandaag".
"Er wollte unbedingt auftreten. Er ist in Sack und Asche." Dass die EBU sich trotzdem nicht zur Teilnahme habe bewegen lassen sei "eine unangemessen hohe Strafe", ist Zimmermann überzeugt. Klein selbst hat sich bisher nicht zu der Entscheidung geäußert. Am Samstagabend postete er nur ein einziges Mal – und teilte einen Clip von tanzenden Hunden.
Klein hatte schon vor dem Vorfall Schlagzeilen gemacht. Mehrfach hatte er die israelische Teilnahme beim ESC kritisiert, bei einem Presseauftritt der Kandidaten verbarg er sich demonstrativ hinter der niederländischen Flagge, als die israelische Teilnehmerin Eden Golan gefragt wurde, ob sie sich sicher fühle.
Andererseits provozierte aber auch die israelische Delegation die Niederländer. Journalist Dov Gil-Har vom israelischen Sender "KAN" filmte sich etwa, wie er ein niederländisches Delegations-Mitglied mit Fragen aufbringt, wo diese denn bei den Proben gewesen seien, nachdem Klein schon am Freitag für die Proben gesperrt worden war.
Keren Peles, die Songwriterin des israelischen Beitrags, postete ein Video, in dem sie sich Backstage über Klein lustig macht. "Der niederländische Teilnehmer wollte nicht gefilmt werden, deshalb filme ich hier unseren Tänzer", schrieb sie zu dem Video in ihrer Instagram-Story. Und zoomt dabei immer wieder auf den im Hintergrund stehenden Klein. Vorher hatte sie ihn als Antisemiten bezeichnet.
Von holländischen Fans wird nun in den sozialen Medien spekuliert, der am Donnerstag gepostete Clip könnte der Anlass für Kleins Drohung gewesen sein. Bestätigt ist das aber nicht. Peles hat ihren Instagram-Kanal, in dem auch andere ESC-Teilnehmer heimlich gefilmt und verspottet worden waren, mittlerweile privat gestellt.
Quellen: Avrotos, Eenvandaag, X, Instagram