Die ab Januar greifenden Preisbremsen für Strom und Gas sowie weitere Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung in der Energiekrise ziehen weiterhin Kritik auf sich. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, kritisierte die Preisbremsen am Mittwoch als zu sehr auf Unternehmen ausgerichtet. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sieht Korrekturbedarf unter sozialen Aspekten. Diesen legen auch Zahlen einer neuen Studie des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) nahe.
"Ich halte die beiden Preisbremsen für kolossale Fehler", sagte Fratzscher der "Augsburger Allgemeinen". "Diese Hilfsgelder kommen viel stärker den Unternehmen zugute, zu wenig den privaten Haushalten." Besser wäre es gewesen, Unternehmen gezielt mit zu beantragenden Energiezuschüssen wie bei den Corona-Hilfen unter die Arme zu greifen und bedürftigen Privathaushalten direkt Geld zu überweisen. Der Industrie warf Fratzscher vor, mit Warnungen vor einer Deindustrialisierung bewusst Panik geschürt zu haben, "um der Politik Geld aus den Rippen zu leiern".
Für Privathaushalte und kleinere und mittlere Betriege greifen ab kommendem März und rückwirkend bereits ab Januar die beschlossenen Obergrenzen der Preise für Gas, Fernwärme und Strom. Die Preise sind dann für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs gedeckelt. Die Differenz zum Marktpreis zahlt der Staat. Für Industrie und Großkunden gilt ab Januar zudem eine gesonderte, ähnliche Regelung.
Insgesamt hat die Bundesregierung 99 Milliarden Euro an Haushaltsmitteln dafür bereitgestellt. Geschätzte 49 Milliarden davon sollen an Unternehmen gehen - diese Summe hat das Bundeswirtschaftsministerium als staatliche Beihilfe für Betriebe bei der EU-Kommission zur Genehmigung eingereicht. Der tatsächliche Bedarf und die Verteilung hängt am Ende stark vom Verbrauch und der Preisentwicklung ab.
SPD-Politiker Kühnert sagte der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten", dass sich die Bundesregierung in Abwägung zwischen Geschwindigkeit und "absoluter Zielgenauigkeit" oft für die Geschwindigkeit entschieden habe. "Der Preis dafür ist, dass wir - in nicht unerheblichem Ausmaß - Unterstützung auch an Leute gegeben haben, die es nicht gebraucht hätten."
"Wir müssen uns in der Ampel-Koalition im neuen Jahr damit beschäftigen, wie wir rückwirkend mehr Verteilungsgerechtigkeit im Land herstellen", sagte er weiter. Etwa könnte zur Finanzierung der Entlastungen eine einmalige Vermögensabgabe für sehr große Vermögen erhoben werden. "Die Einmaligkeit betont dabei, dass es sich auch um eine Reaktion auf die kürzliche entstandene Fehlverteilung handeln würde."
Das Kölner IW hat sich genauer angesehen, wer mit welchem Energieträger heizt. Das Ergebnis: Besonders in der Stadt und in einkommensschwächeren Haushalten wird mit Fernwärme geheizt. Gas kommt ebenfalls vor allem in der Stadt, aber auch eher in einkommensstärkeren Haushalten zum Einsatz. Heizöl- und Holzheizungen sind allgemein häufiger auf dem Land, in Eigentumswohnungen und -häusern und in einkommensstärkeren Haushalten zu finden.
Vor diesem Hintergrund kritisieren die Forscher, die geplanten Einmalzahlungen für Menschen, die nicht von der Gas- und Fernwärmedeckelung profitieren. Heizöl- oder Holzpelletkunden können einen Zuschuss von bis zu 2000 Euro erhalten, wenn sie mindestens eine Verdopplung ihrer Heizkosten nachweisen können."Die Zielgenauigkeit dieser einkommensunabhängigen Entlastung ist zumindest fragwürdig", erklärte IW-Sudienautor Maximilian Stockhausen.