Die Grenze zwischen Serbien und dem Kosovo ist eine unruhige Region. Jetzt hat Belgrad seine Armee dort in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Darum geht es bei dem Streit zwischen den Nachbarn auf dem Westbalkan.
Im Grenzgebiet zwischen dem Kosovo und Serbien manifestieren sich seit Jahren die Spannungen zwischen den Nachbarn. Anfang der Woche spitze sich die Lage wieder einmal zu, als Serbiens Präsident Aleksandar Vucic die Armee zum wiederholten Male in erhöhte Alarmbereitschaft versetzte und anordnete, die Präsenz der Truppen an der Grenze von bisher 1500 Soldaten auf 5000 zu erhöhen. Zwei Tage später besuchte er eine Armeekaserne in der grenznahen Stadt Raska und dankte via Instagram allen Angehörigen der Sicherheitskräfte, die alles tun würden, um die Serben im Kosovo zu schützen.
Angesichts der wachsenden Spannungen im Norden des Kosovos hatte Serbiens Regierungschefin Ana Brnabic erst kürzlich gewarnt, beide Länder stünden "wirklich am Rande bewaffneter Konflikte". Für die Verschärfung der Lage machte Brnabic die Regierung in Pristina verantwortlich. Der Sicherheitsrat des Kosovo hingegen warf Serbien in einer Sitzung am Montag die Schuld an der Verschlechterung der Beziehungen vor. Serbien gehe "mit allen verfügbaren Mitteln gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Republik Kosovo" vor, kritisierte das Gremium.
Vor einigen Wochen hatten Hunderte serbische Polizisten, Richter, Staatsanwälte und andere Beamte im Kosovo ihre Arbeit eingestellt, weil die Regierung in Pristina Kosovo-Serben mit serbischen Autokennzeichen verpflichten wollte, diese binnen zwei Monaten durch kosovarische Kennzeichen zu ersetzen. Die Kennzeichen-Regel wurde dann zwar verschoben, doch die serbischen Polizisten und Beamten kehrten nicht wieder an ihre Arbeitsplätze zurück. Pläne des Kosovo, am 18. Dezember Kommunalwahlen in den mehrheitlich serbischen Gebieten abzuhalten, mussten auf Eis gelegt werden. Die wichtigste Serben-Partei kündigte ihren Boykott an, und als die Wahlbehörden Anfang der Woche mit den Vorbereitungen beginnen wollten, kam es zu Schießereien und Explosionen.STERN PAID 36_22 Jugend im Kosovo wir wollen raus! 20.38h
Seit dem 10. Dezember blockieren zudem militante Serben, die sich zumeist aus kriminellen und geheimdienstlichen Milieus rekrutieren, in den Dörfern nördlich von Nord-Mitrovica die zu den Grenzübergängen nach Serbien führenden Straßen. Damit protestieren sie gegen die Verhaftung eines serbischstämmigen ehemaligen Beamten der Kosovo-Polizei, der nach Darstellung der kosovarischen Behörden Angriffe auf Beamte der Wahlkommission angeführt hatte. Nur Stunden, nachdem die Barrikaden errichtet worden waren, meldete die Polizei des Kosovos drei Angriffe mit Schusswaffen. Am Sonntag wurden dann nach Kfor-Angaben Schüsse in Richtung von Soldaten der Nato-Friedenstruppe abgefeuert.
Wegen der angespannten Lage riet das Auswärtige Amt in Berlin in der vergangenen Woche von "nicht unbedingt notwendigen Reisen in den Norden Kosovos" ab. Es könne in mehreren Gebieten zu "Einschränkungen der Bewegungsfreiheit durch Straßenblockaden" kommen, hieß es. Zudem gebe es eine "erhöhte Gefahr gewaltsamer Vorfälle".PAID Interview Vjosa Osmani Kosovo-Konflikt 20.54
Das Auswärtige Amt warnt auf seiner Internetseite schon seit Längerem vor möglichen "Schwierigkeiten bis hin zur Einreiseverweigerung" bei der Einreise nach Serbien aus dem Kosovo. "Sie ist nur möglich, wenn die Einreise nach Kosovo zuvor auf dem Landweg aus Serbien erfolgt ist und die Gesamtreisedauer drei Monate nicht übersteigt", schreibt die Behörde. Kosovarische Einreisestempel würden von den serbischen Behörden zumeist ungültig gestempelt. Reisende, die keinen kosovarischen Einreisestempel im Reisepass wünschten, könnten dies der kosovarischen Grenzpolizei bei Einreise mitteilen.
Der Konflikt zwischen dem Kosovo und Serbien wurzelt tief in der Vergangenheit der Nachbarn. Im Mittelalter war die Region Kosovo Sitz des religiösen und politischen Zentrums Serbiens. Als das Osmanische Reich sich immer weiter nach Europa ausdehnte und 1389 das Gebiet besetzte, begann die christlich-serbische Bevölkerung abzuwandern und muslimische Albaner zogen nach. Im 20. Jahrhundert waren die Albaner schließlich die größte Bevölkerungsgruppe und die Serben eine ethnische Minderheit.
Gegen den Willen der albanischen Mehrheit wurde das Kosovo nach dem Ersten Weltkrieg im Jahr 1918 Teil des neu gegründeten Königreichs Jugoslawien, zu dem auch die Teilrepublik Serbien gehörte. 1974 wurde das Gebiet zur autonomen Provinz von Serbien erklärt. 15 Jahre später hob der damalige serbische Präsident Slobodan Milosevic die Autonomie des Kosovos auf und schickte Truppen, um Proteste niederzuschlagen.fs-harald-schmitt 7.16 Uhr
Der Streit um den Status des Kosovos mündete schließlich in den Krieg von 1998 bis 1999 zwischen der Armee Jugoslawiens und serbischen paramilitärischen Kräften auf der einen Seite und der Befreiungsarmee des Kosovos (UÇK) sowie ab 1999 Nato-Streitkräften unter Führung der USA auf der anderen Seite. Während des Krieges wurde die kosovarische und vor allem die kosovo-albanische Zivilbevölkerung Opfer von systematischen Überfällen, Vertreibungen und Massenmorden. Auch die UÇK machte sich schwerer Menschenrechtsverbrechen schuldig. Der Krieg endete schließlich mit dem vollständigen Abzug der serbischen Sicherheitskräfte und Verwaltung aus dem Kosovo. Die Provinz wurde unter UN-Verwaltung gestellt und die Nato stationierte dort die Schutztruppe Kfor zu der auch die Bundeswehr gehört. Rund 200.000 serbische Bewohner und Nicht-Albaner flüchteten vor Übergriffen aus dem Kosovo.
Im Jahr 2005 stimmte das von den Vereinten Nationen eingesetzte Übergangsparlament des Kosovos für die Gründung eines unabhängigen Staates. Daraufhin starteten die UN eine Vermittlungsmission über den künftigen Status der serbischen Provinz, die jedoch zwei Jahre später für gescheitert erklärt wurde. In der Folge erklärte sich das Kosovo am 17. Februar 2008 einseitig für unabhängig. Serbien erkennt diese Eigenstaatlichkeit bis heute nicht an und beansprucht das kosovarische Staatsgebiet als zentrales Element des religiösen und nationalen Bewusstseins für sich. Die Grenze zwischen den beiden Ländern wird von Belgrad deshalb lediglich als "Verwaltungslinie" bezeichnet.
Vor diesem Hintergrund unterstützt und bestärkt Serbien die eigene Minderheit im Norden des Kosovos bei ihren Versuchen, sich der Autorität Pristinas zu widersetzen und heizt die Spannungen im Nachbarland immer wieder an. In den letzten fünf Jahren hatte Präsident Vucic die serbischen Streitkräfte bereits sechs Mal in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Dies blieb in allen Fällen folgenlos.
Mehr als 110 Staaten betrachten die Abspaltung des Kosovos von Serbien als legitim und haben die Republik Kosovo anerkannt – darunter Deutschland und die USA. Russland und China, die aus innenpolitischen Gründen das in der UN-Charta verankerte Selbstbestimmungsrecht der Völker ablehnen, sehen die Unabhängigkeit des Kosovos dagegen als völkerrechtswidrige Verletzung der serbischen Souveränität an.
Innerhalb der Europäischen Union ist die Haltung zum Kosovo uneinheitlich: Neben Deutschland erkennen 21 weitere EU-Staaten das Land als eigenständig an. Spanien, Griechenland, Zypern, die Slowakei und Rumänien tun dies allerdings nicht. Hintergrund sind auch hier Autonomiebestrebungen von Minderheiten in diesen Ländern, etwa der Katalanen in Spanien.
Seit 2011 finden unter Vermittlung der Europäischen Union Gespräche über eine Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Kosovo und Serbien statt. Serbien ist EU-Beitrittskandidat und das Kosovo gilt als potenzielles Kandidatenland und hat vor zwei Wochen ein offizielles Gesuch auf EU-Mitgliedschaft eingereicht. Die Europäische Union macht den Beitritt der Länder allerdings von Reformen und substanziellen Fortschritten bei der Überwindung der zwischen- und innerstaatlichen Konflikte abhängig – und davon sind beide derzeit sehr weit entfernt. Im Falle des Kosovos kommt die fehlende Anerkennung durch die EU-Mitgliedsländer Spanien, Rumänien, Slowakei, Griechenland und Zypern hinzu. Deshalb ist das Kosovo das Westbalkan-Land, welches von einem möglichen EU-Beitritt noch am weitesten entfernt ist.Spannungen Kosovo Serbien 07.08
Das ist auch für die EU nicht ohne Risiko, wie die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) feststellt: "Solange einflussreiche EU-Staaten, wie Frankreich, die Aufnahme neuer Mitglieder blockieren, besteht die reale Gefahr, dass die Reformbereitschaft des Kosovos und der anderen Staaten der Region erlahmt", mahnt die BpB. Und die Verschiebung der EU-Mitgliedschaft auf unbestimmte Zeit mindere nicht nur die Bereitschaft Pristinas und Belgrads, die vereinbarten Reformen umzusetzen und ihren Dialog unter EU-Vermittlung weiterzuführen, sie öffne auch anderen Mächten wie China, der Türkei und den Golfstaaten die Tür in die Region. Auch Russland versuche, seine traditionell starke Präsenz zu reaktivieren.
Der Konflikt zwischen den Nachbarn verstärke zudem Ressentiments in der Bevölkerung und vertiefe die Spaltungen, schreibt die Bundeszentrale. Kosovo-Albaner, die etwa 87 Prozent der Bevölkerung ausmachten, und die etwa acht Prozent Kosovo-Serben lebten weitgehend getrennt in ihren je eigenen Stadtvierteln und Dörfern. Serben, aber vor allem die kleineren Minderheiten — Montenegriner, Türken, Bosniaken, Roma, Goranci, Ashkali und Juden — litten unter Diskriminierung zum Beispiel beim Kauf von Land und Immobilien, bei der Ausbildung und der Arbeitssuche.
Quellen: Auswärtiges Amt, Bundeszentrale für politische Bildung, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg I, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg II, Europäisches Parlament, AFP, DPA