Von Nike Luber
Mannheim. Nachts im Museum kann alles Mögliche passieren. Obwohl, in der dämmerigen Ausleuchtung des Bühnenbilds könnte das nächtlich graue Boskett auch im Dunkel eines Parks liegen, zumal in dem geheimnisvoll wirkenden Ambiente gelegentlich sogar der Vollmond aufleuchtet. Was Choreograf Jeroen Verbruggen und sein Team mit dem Tanzstück "Amor und Psyche?" für das Nationaltheater Mannheim geschaffen haben, entzieht sich auf reizvolle Weise allen eindeutigen Zuordnungen. Da wird weniger eine Handlung erzählt als mit unterschiedlichen Stimmungsbildern gearbeitet. Zu deren Zauber trägt das live musizierende Nationaltheater-Orchester unter der Leitung der Dirigentin Yura Yang bei.
Zu den teilweise modernen, oft auch spätromantisch schwelgenden Klängen ausgewählter Werke von Charles Ives, Gabriel Fauré, Ralph Vaughan Williams und anderer entfaltet das Tanzensemble des Nationaltheaters ein Kaleidoskop kurzer Szenen zum Thema Liebe. Hauptfigur ist Psyche, ein junges, unerfahrenes Mädchen. Gekleidet in eine hochgeschlossene Schuluniform, dazu noch eine schwere Brille, trifft Psyche nachts auf ein Skulpturenrelief rund um die Figuren von Venus und Amor. Vorsichtig leuchtet sie mit ihrer Taschenlampe dorthin und, oh Schreck, die Skulpturen werden lebendig und bewegen sich!
Paloma Galiana Moscardó tanzt und spielt die Psyche großartig. Wie sie erschrickt, wie sie weglaufen will und doch immer wieder, getrieben von Neugier, zurückkehrt. Und die frechen Skulpturen greifen nach ihr, klauen ihr die Brille und die Tasche, versuchen sie in ihren Liebesreigen einzugliedern. Moscardó vermittelt schön, wie verklemmt das junge, garantiert streng erzogene Mädchen ist – und sich doch dieser aufregenden neuen Liebeswelt nicht entziehen kann.
Diese Welt ist tänzerisch vielfältig dargestellt. Verbrueggens Choreografie ist oft sehr kraftvoll, athletisch und manchmal auch akrobatisch. Liebe kann fordernd, sogar kämpferisch sein und beschränkt sich keineswegs auf vorsichtige Zärtlichkeiten im Mondschein. Das Mannheimer Tanzensemble ist in dem rund 70-minütigen Stück fast ununterbrochen auf der Bühne und tanzt mit großer Intensität. Die Körpersprache ist ausdrucksstark, aber Verbrueggen arbeitet an einer Stelle auch mit Worten. Im Stil eines antiken griechischen Chors tanzen die Frauen reihum die verstört wirkende Psyche an und rezitieren einen Text, der erklärt, was alles zur Liebe dazu gehört.
Natürlich ist schon zu Beginn klar, dass aus dem verklemmten jungen Ding am Ende eine sinnliche Frau wird. Aber die tänzerische Umsetzung ist spannend. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die raffinierte Beleuchtung – Psyches Liebeserwachen wird im wahrsten Sinne des Wortes zur Erleuchtung.