Von Timo Teufert
Wiesloch. Untreue und schwere Untreue in insgesamt 214 Fällen wirft die Staatsanwaltschaft Heidelberg einem ehemaligen Geschäftsführer des Wieslocher Palatins vor. Die Anklagebehörde beziffert den Schaden, der dem Kongresszentrum mit angeschlossenem Hotel dadurch entstanden ist, auf insgesamt 61.235,22 Euro. Seit der Gründung der Palatin-Betreibergesellschaft 1988 ist die Stadt Wiesloch alleinige Gesellschafterin des Komplexes. Seit letztem Montag muss sich der 70-Jährige, der von Mitte 2007 bis Ende 2018 Palatin-Geschäftsführer war, vor dem Amtsgericht Wiesloch verantworten.
> Was wirft die Staatsanwaltschaft dem Mann vor? Die 214 Anklagepunkte gliedern sich in neun Bereiche. Hauptaugenmerk liegt dabei auf kostenlosen Übernachtungen, die der Angeklagte Freunden und Familienangehörigen im Palatin-Hotel gewährt haben soll. Das Hotel ist der Best-Western-Gruppe angegliedert, "die Gruppe ermöglicht es ihren Mitarbeitern sowie deren Freunden und Verwandten, Übernachtungs- und Frühstücksleistungen zu einem stark rabattierten Preis in Anspruch zu nehmen", so Staatsanwältin Jenny Schiefer. Die Gewährung liege im Ermessen des jeweiligen Hotels und hänge von der Auslastung ab. "Eine gänzlich kostenlose Inanspruchnahme von Übernachtungen ist hingegen nur für eng begrenzte Fälle und nicht für Mitarbeiter sowie deren Freunde und Familienangehörige vorgesehen", so Schiefer. Ungeachtet dessen ließ der Angeklagte Freunde und Familienmitglieder seit 23. September 2015 in insgesamt 110 Fällen kostenfrei im Hotel übernachten. Der Schaden für das Palatin beläuft sich laut Staatsanwaltschaft auf 12.469,68 Euro.
Jedem Mitarbeiter des Palatin, der Dienstkleidung tragen muss, steht ein Wäschegeld zu, mit dem er die Kleidung reinigen lassen kann. Pauschal stellt das Palatin dafür 18 Euro pro Monat bereit. Der Angeklagte soll sich aber nicht an diese Regelung gehalten haben. Ihm wird vorgeworfen, in 40 Fällen seine private Kleidung auf Kosten des Palatins gereinigt zu haben, wodurch ein Schaden von 6876,73 Euro entstanden ist.
> Wie lauten die weiteren Vorwürfe? Außerdem soll der Angeklagte in 15 Fällen Bewirtungsbelege eingereicht und erklärt haben, dass die jeweiligen Aufwendungen dienstlich veranlasst waren, um sie vom Palatin erstattet zu bekommen. "Die für eine Erstattung erforderlichen Angaben über den Grund der Bewirtung und die bewirteten Personen machte er nicht oder nicht ausreichend", so Schiefer. Schaden: 1290,25 Euro. Weitere 1322,72 Euro Schaden sollen entstanden sein, weil sich der Angeklagte in sieben Fällen durch einen benachbarten Biomarkt Mineralwasser ausschließlich zum privaten Verzehr liefern und die Rechnungen vom Palatin tragen ließ.
Der Angeklagte soll zudem den 50. Geburtstag seiner Frau, seine Hochzeit und seinen 66. Geburtstag im Palatin gefeiert haben und dabei Gastronomie- und Veranstaltungsleistungen zu privaten Zwecken in Anspruch genommen haben. Schadenssumme laut Staatsanwaltschaft: 15.752,61 Euro. Weitere 1802,34 Euro sollen hinzukommen, weil der 70-Jährige in zehn Fällen Freunden und Familienangehörigen den kostenfreien Verzehr von Speisen und Getränken ermöglicht haben soll. "Eine dienstliche Veranlassung dazu gab es nicht", so Schiefer. Dafür soll er sogenannte Hausbons ausgestellt haben, die in der Regel dann erstellt werden, wenn ein Gast mit einem Gutschein bezahlt. Die eigentliche Rechnung wird im System dann auf Null gesetzt. Zur Last gelegt wird dem ehemaligen Geschäftsführer auch, in fünf Fällen private Kleidung ohne dienstliche Veranlassung auf Kosten des Palatins gekauft zu haben. Schaden: 2159,64 Euro.
Um neue Geschäftskontakte zu knüpfen, hatte das Palatin von der Saison 2015/16 bis zur Saison 2018/19 vier Dauerkarten für "Business Seats" im Stadion der TSG Hoffenheim. Pro Spielzeit beliefen sich die Kosten auf 17.218,11 Euro, in der letzten sogar auf 18.807 Euro. Diese waren zwar auf Initiative des Palatin-Beirats angemietet worden, doch "ungeachtet des Verbots, betriebliche Mittel für private Zwecke einzusetzen, nutzte der Angeschuldigte die Dauerkarten privat", so die Staatsanwältin. Den Schaden beziffert sie aus der anteiligen Nutzung pro Saison auf 18.353,99 Euro. Außerdem soll der Ex-Palatin-Chef 2017 für das Champions-League-Spiel der TSG Hoffenheim gegen den FC Liverpool fünf Karten für 1207,56 auf Rechnung des Palatins gekauft und privat und ohne dienstliche Veranlassung genutzt haben. Bei dem Spiel wurde er laut Anklage von seiner zweiten Ehefrau, deren Tochter, dem Lebensgefährten der Tochter und dem Vater des Lebensgefährten begleitet.
> Wie kam es zur Aufdeckung der Fälle? 2018 hatte der Gemeinderat den Geschäftsführer nicht entlastet, weil es offene Fragen gab. Die beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Baker Tilly attestiert dem 70-Jährigen "Geschäftsführung nach Gutsherrenart". Und Richter Michael Rensch sagte: "Ein Wirtschaftsunternehmen ist kein Selbstbedienungsladen."
> Was sagt der Angeklagte? Der 70-Jährige, der es vom Hauptschüler bis zum Direktor von mehreren großen Hotels und Ferienanlagen brachte, machte zwar Einlassungen zu allen Punkten der Anklage, konnte in seinem Verhalten aber keine Untreue erkennen. In seinen vorherigen Beschäftigungsverhältnissen und generell in der Hotellerie sei es üblich, dass die Familie im Hotel übernachten dürfe und die private Kleidung gereinigt werde. Dafür stehe der Hoteldirektor dem Haus auch 24 Stunden zur Verfügung. "Ich habe vom ersten Tag an alles über die Buchhaltung abgewickelt. Wenn ich betrügen wollte, wäre ich nicht so vorgegangen", sagte der Angeklagte, der mit 18 Jahren jüngster Küchenchef in Deutschland war und in seiner Laufbahn auch Staatsempfänge in seinen Häusern organisierte. Nach einem persönlichen Schicksalsschlag – seine erste Frau starb 2005 an Krebs – konzentrierte er sich auf Interimsmanagement und nahm keine feste Stelle mehr an, bis er sich 2007 in Wiesloch gegen 134 Mitbewerber durchsetzte.
Er habe im Gegensatz zu seinem Vorgänger außerdem auf Lohn verzichtet, weil er keine Ergebnisbeteiligung für sich in Anspruch nahm. "Ich wollte das nicht. Mir war viel wichtiger, dass meine Familie mich im Palatin besuchen konnte", so der Angeklagte. In einem Gespräch mit dem damaligen Oberbürgermeister Franz Schaidhammer und Kämmerer Peter Bühler sei ihm dies zugesichert worden. Ebenso die Möglichkeit, übergangsweise im Hotel zu leben und seine Kleidung reinigen zu lassen. "Das war als Lohnbestandteil ausgemacht", so der Angeklagte. Allerdings gibt es dazu keine Angaben im Arbeitsvertrag, der Angeklagte sprach von einer Gesprächsnotiz, in der dies festgehalten sei. "Sie haben nichts zu beanspruchen, was nicht im Vertrag steht", entgegnete Richter Michael Rensch.
Der Angeklagte wies immer wieder darauf hin, wie sich das Palatin in seiner Amtszeit entwickelt habe: Er habe die Belegung um 20 Prozent gesteigert und den Umsatz verdoppelt. "Ich habe Menschen eingeladen, die als Multiplikatoren agieren. Ich wollte Menschen vom Palatin begeistern, um das Haus zu beleben", versichert der 70-Jährige. Die kostenlosen Übernachtungen hätten eine Marketingfunktion gehabt. "Das sehe ich bei Freunden und Verwandten aber nicht", konterte Rensch.
Für die Bewirtungen ohne Belege konnte der Ex-Geschäftsführer die Gesprächspartner benennen und versicherte, dass er das Mineralwasser "Hornberger Lebensquelle" nicht nur privat in seinem Büro getrunken habe, sondern dass es auch auf den Hotelzimmern und im Tagungsraum "Geistesblitz" ausgeschenkt worden sei. Die Feiern im Palatin seien abgerechnet und bezahlt worden, versicherte der Angeklagte. Die Hausbons seien nur ausgestellt worden, wenn er an Feiertagen mit seiner Familie die Gastronomie und den Service prüfen wollte und die Dauerkarten in Hoffenheim hätten zu neuen Aufträgen für das Palatin geführt.