Von Jana Schnetz
Buchen. Laub, Rasenabfälle, Ast- und Strauchschnitt: Wenn Hobbygärtner ihren Garten auf Vordermann bringen, fällt allerlei Material an, das auf den rund 30 Grüngutplätzen des Landkreises landet. Wöchentlich wird das Grüngut durch die Abfallwirtschaftsgesellschaft des Neckar-Odenwald-Kreises (AWN) oder dem Maschinenring am Biomassezentrum der AWN angeliefert. Dieses kreisweite System mit der dazugehörigen Logistik und dem Betreuungsaufwand kostet viel Geld. Auch die Weiterverarbeitung fand bis vor einigen Jahren in externen Kompostwerken statt.
Damit ist Schluss: Die AWN veredelt bis zu 15.000 Tonnen des heimischen Grünguts selbst – das ist die Hälfte des gesamten Aufkommens – und versucht so, die Kosten abzumildern und Gewinn zu erwirtschaften. Das Ergebnis ist hochwertiger Nährhumus und Terra Preta, die mithilfe des in Deutschland noch nicht weit verbreiteten Verfahrens "gelenkte aerobe Kompostierung nach Hildebrandt" erzeugt wird. Mit der neuartigen Pyreg-Anlage produziert die AWN hochwertige Pflanzenkohle. Dieser Weg soll konsequent weiterverfolgt werden, bestätigt Martin Hahn, Leiter der Unternehmenskommunikation der AWN.
Am neu entstehenden Grüngutplatz am Rand des Entsorgungszentrums Sansenhecken sollen die Produkte, die teilweise jetzt schon plastikfrei erworben werden können, zu kaufen sein. Die Inbetriebnahme des Platzes ist für Mitte 2022 geplant. Gegebenenfalls beteiligt sich die AWN auch als Aussteller bei der Bundesgartenschau 2023 in Mannheim, die "Gespräche laufen", so die AWN. Hier könnte man weitere wichtige Impulse bei potenziellen Kunden setzen.
Heizmaterial und Frischkompost
Das Grüngut wird im Schredder zu gröberem Mittelkorn und zu Feinkorn zerkleinert. Das Mittelkorn kaufen Großfeuerungsanlagen als Brennmaterial der AWN ab. Das Feinkorn wird zu Kompostmaterial. Zuvor wird es in einem Hygienisierungsprozess von möglichen Samen- und Keimrückständen befreit. In 300 Kubikmeter fassenden Boxen wird das Feinkorn zwei Wochen abgedeckt gelagert. Dadurch entwickelt sich Wärme, die mindestens mehrere Tage 65 Grad Celsius erreichen muss, damit unerwünschte Samen und Schädlinge abgetötet werden. Das hygienisierte Feinkorn, genannt Frischkompost, setzen Landwirte als Dünger auf ihren Feldern ein. Wirklich "spannend" wird es laut Martin Hahn aber erst, wenn dieser Kompost für die Herstellung der wertvollen Bodenverbesserer gebraucht wird.
Kompostierung nach Hildebrandt
Um Nährhumus herzustellen, muss eine Miete angesetzt werden: Diese besteht aus 70 Prozent des frischen Feinkorns und je zehn Prozent tonhaltiger Erde mit Urgesteinsmehl, Pferdemist und frischem Gras sowie einem Teil des fertigen Komposts. Die Miete muss sechs bis acht Wochen kontrolliert, immer wieder gewässert und gewendet werden. Das dafür notwendige Wasser stammt aus der eigenen Zisterne, gespeist mit Wasser des Hallendachs, weshalb kein externes Wasser verbraucht wird. Das Verfahren nennt sich "gelenkte aerobe Kompostierung nach Hildebrandt". Aerobe Kompostierung vollzieht sich mit Sauerstoff und besitzt dadurch den Vorteil, dass sie nicht unangenehm riecht. Ganz im Unterschied zu anaerober Kompostierung, die ohne Sauerstoff abläuft und bei der Wasserstoffverbindungen wie Methan und Lachgas entstehen.
"Wir messen jeden Tag die Temperatur und den CO2-Gehalt, und wenn einer dieser Werte zu hoch ist, wenden und befeuchten wir die Miete, denn dann muss Sauerstoff ran", erklärt der Leiter des Biomassezentrums, Christian Gramlich, warum die hochwertige Erde der AWN nahezu geruchslos ist. Dass die reich vorhandenen Pflanzenwirkstoffe wie Kalium und Phosphat festgebunden sind, nicht ausgewaschen werden, ohne Kunstdünger und Torf funktionieren, macht den Nährhumus besonders. Allein optisch unterscheidet sich die hochwertige Erde von herkömmlicher hochwertiger Blumen- und Pflanzenerde, denn sie ist nicht fasrig, sondern krümelig, fast rund.
Fruchtbare Erde Terra Preta
Terra Preta geht zurück auf ein spezielles Gemisch, mit dem die Indios im Amazonasgebiet ihren Boden anreicherten. Durch die Bewirtschaftung entstand Terra Preta – sehr fruchtbare Schwarzerde. Wesentlicher Bestandteil ist Pflanzenkohle. Sie muss der Miete von Anfang an zu zehn Prozent beigemischt werden, damit sie entsprechen wirken kann, betont Martin Hahn. Im Verband Wohneigentum Bezirksverband Neckar-Odenwald überzeugten sich über 20 erfahrene Hobbygärtner von der Qualität: Im Rahmen eines Feldversuchs wurden in den heimischen Gärten jeweils Pflanzen mit und ohne Nährhumus angepflanzt. Der Nährhumus erzielte ein besseres Wachstum, kräftigere Wurzeln und weniger Unkraut. Ein Kubikmeter Terra Preta, was ungefähr einer Tonne entspricht, kostet bei der AWN knapp 300 Euro.
Pflanzenkohle in EBZ-Qualität
Einiges an Experimentieren mit dem heimischen Grüngut ging der heutigen Qualität voraus. Denn als die Anlage zur Herstellung von Pflanzenkohle des Herstellers Pyreg 2016 in Betrieb ging, war unklar, welches Grüngutmaterial geeignet war. "An der Rinde hingen Staub, Abgase und Dreck und verunreinigten die Kohle. Die Schadstoffbelastung in der Pflanzenkohle war zu hoch", sagt Gramlich. In den anfänglichen Proben kam heraus, dass Grüngut mit wenig Rinde und hohem Holzanteil die besten Ergebnisse erzielte. Aus diesem Grund wird auch "Abfallholz" aus dem Wald, z. B. Kronenholz, eingesetzt. Inzwischen ist die Kohle so gut, dass sie als Futtermittel verkauft werden darf und die höchste Auszeichnung mit dem Europäischen Pflanzenkohle Zertifikat (EBC) erreicht hat. Da Kohlenstoff Gerüche gut binden kann, wird die Kohle auch gerne dem Stalleinstreu bei Tieren beigemischt, verdeutlicht Gramlich.
Wie die Pflanzenkohle erzeugt wird
Bei rund 700 Grad Celsius werden Hackschnitzel in rund 30 Minuten durch die Reaktoren der Pyreg transportiert und unter Sauerstoffausschluss verkohlt. Bis die Anlage auf Betriebstemperatur ist, muss sie mit Gas angeheizt werden, danach benötigt sie keine weitere Energie mehr oder wie Gramlich sagen würde: "Danach erzeugt sie sich selber." Die Abwärme von rund 130 Kilowatt (kW) wird für die Trocknung von Hackschnitzeln und Holz sinnvoll eingesetzt. "Das Hauptprodukt ist zwar die Kohle, aber wir können die Abwärme ebenfalls sehr sinnvoll nutzen", informieren Hahn und Gramlich. Die Hackschnitzel, welche im Biomassezentrum angeboten werden, dienen als Bodenabdeckung, Fallschutz und Gartendekoration.
In der Brennkammer verbrennen bei über 1000 Grad die übrigen Abgase. Diese seien so sauber wie ein 10-kW-Ofen in Privathaushalten. Einmal in der Woche säubert Gramlich die Anlage, bei der gerade einmal ein Eimer Asche übrig bleibt. "Im Jahr produzieren wir um die 200 Tonnen Pflanzenkohle, die aus 600 bis 700 Tonnen Input-Material gewonnen werden. Der Preis liegt bei circa 350 Euro für einen "Bigbag" mit 1000 Liter. Weltweit sind bisher gut 30 Pyreg-Anlagen ausgeliefert, etwas über die Hälfte steht in Deutschland, sagt Hahn.
Info: Alle Produkte können donnerstags von 14 bis 17 Uhr im Biomassezentrum auf der Deponie Sansenhecken in Buchen gekauft werden. Weitere Informationen unter www.awn-online.de/biomassezentrum.