Von Matthias Kros und Erich Reimann
Heidelberg/Köln. Der Handelskonzern Rewe hat am Dienstag in Köln den ersten hybriden Supermarkt in Deutschland eröffnet. Neben dem klassischen Einkauf haben die Kunden hier auch die Möglichkeit, ihre Waren auszuwählen und den Laden direkt ohne Bezahlvorgang an der Kasse wieder zu verlassen. Die Rechnung wird später auf einer App angezeigt und bezahlt. Auch andere große Handelsketten suchen nach neuen Wegen, das Einkaufen im Laden zukunftsfähig zu machen: Mit Geschäften ohne Personal und ohne Kassen. Die Vorteile sind offensichtlich: Sie haben 24 Stunden am Tag geöffnet – und wer dort einkauft, muss nicht Schlange stehen.
"Der ’Selfcheckout’ rückt immer mehr in den Fokus der Händler, speziell in Kombination mit kontaktlosem Bezahlen – auch bedingt durch die derzeitige Situation", erklärt Boris Bongartz, Director Sales Key Account des Bezahldienstes Unzer mit Sitz in Heidelberg, der Lösungen rund um den elektronischen Zahlungsverkehr für Onlineshops und den Einzelhandel anbietet. Zahlen müsse "einfach, schnell und sicher sein", sagt er, und dafür sei es heutzutage nicht notwendig, dass Personen die Zahlungsabwicklung erledigten. "Vielmehr kann sich das Verkaufspersonal auf die Beratung konzentrieren."
Bezahlen ohne die klassischen Kassen werde "definitiv zunehmen", ist Bongartz überzeugt. Allerdings werde sich die Spreu vom Weizen trennen: So wollten die Kunden nicht für jeden Supermarkt eine eigene App haben, bei der sie sich vorher kompliziert registrieren müssen. "Wir bei Unzer glauben, dass Zahlungsarten aus dem Onlinehandel, wie beispielsweise die Rechnung, auch im Geschäft Einzug erhalten werden."
Knackpunkte lägen sicherlich im Bereich Datenschutz und der Auswahl der Prozesse. "Kunden muss es so einfach wie möglich gemacht werden, zu bezahlen", meint Bongartz. Auf der anderen Seite gebe es die Herausforderung, welche Zahlungsarten angeboten werden können. Für die Lastschrift wäre es beispielsweise wichtig, dass Kunden eindeutig identifiziert werden könnten.
Unterdessen testen an vielen Orten in Deutschland große Handelsketten bereits Konzepte für den Supermarkt der Zukunft.
> Rewe: Die Kölner haben am Dienstag den ersten hybriden Supermarkt Deutschlands eröffnet. Das neue System "Pick and go" wurde seit Anfang Mai 2021 getestet und ermöglicht Einkaufen ohne Kassen. Die Kunden müssen sich beim Betreten des Geschäfts per App einchecken, packen die gewünschten Artikel dann einfach ein und gehen wieder. Kameras, Sensoren und Computer erledigen den Rest. Sie registrieren selbstständig, was eingepackt wird, erstellen die Rechnung und buchen das Geld ab. Das besondere am Rewe-Konzept: Anders als bei ähnlichen Läden des Online-Riesen Amazon kann in der Filiale auch ganz normal eingekauft werden, Bezahlung an der Kasse inklusive.
In Köln testet Rewe zusammen mit Vodafone außerdem seit dem Sommer den nach ihren Angaben "europaweit ersten autonom fahrenden Kiosk". Ohne Fahrer oder Verkäufer soll das Snackmobil im Kölner Gewerbecampus Carlswerk Passanten und Büroarbeiter auf Wunsch mit Snacks, Süßigkeiten und Getränken versorgen. Wer Hunger oder Durst hat, braucht nur zu winken, schon unterbricht der rollende Kiosk seine Dauerschleife durch das Gelände, so dass der Kunde einkaufen kann. Bezahlt wird kontaktlos – beispielsweise mit dem Smartphone.
> Edeka: Deutschlands größter Lebensmittelhändler Edeka testet unterdessen am Bahnhof im baden-württembergischen Renningen einen hochautomatisierten Tiny-Store, der ohne Verkaufspersonal auskommt und rund um die Uhr geöffnet ist. Die per App oder an Touchscreens in dem winzigen Laden bestellten Produkte werden nach der Bestellung von Greifrobotern in zwei Container-großen Lagereinheiten hinter dem Verkaufsraum zusammengestellt und zu einem Abholschalter transportiert, wo der Kunde sie in Empfang nimmt.
Bis zu 800 verschiedene Produkte können so angeboten werden. "Ein Snack für den Weg zur Arbeit oder auch der spontane Wocheneinkauf, alles ist möglich und das völlig zeitunabhängig", lobte die Edeka-Kauffrau und Inhaberin des Mini-Ladens Gisela Karow-Schäfer das Konzept bei der Eröffnung. Bezahlt wird per Karte oder online per App.
> Tegut: Bereits drei Minimärkte ohne Verkaufspersonal hat die Handelskette Tegut im Großraum Fulda in Betrieb. Auch hier muss der Kunde zunächst eine App installieren, mit der er die Türe des Teo genannten Geschäfts öffnen kann. Im Laden kann er dann die Ware selber aus dem Regal nehmen und scannen. Das Bezahlen erfolgt bargeldlos per Karte oder App. Eine Teo-Filiale könne auch dort Erfolg haben, wo klassische Vertriebskonzepte wie Supermärkte wirtschaftlich nicht sinnvoll seien, glaubt Tegut – etwa in Neubaugebieten, vor Klinken und Universitäten, an Verkehrsknotenpunkten oder auf Firmengeländen.
> Schwarz-Gruppe: Die Schwarz-Gruppe, mit ihren Ketten Lidl und Kaufland einer der größten Einzelhändler Europas, hat in Heilbronn ebenfalls erste Tests mit High-Tech-Shops gestartet. Ein Roll-out der Konzepte bei Kaufland oder Lidl sei aber derzeit nicht geplant, dämpft das Unternehmen die Erwartungen.
Für die Experimentierlust der Handelsriesen gibt es gute Gründe. Denn gut 60 Jahre nach dem Beginn des Siegeszuges des Selbstbedienungs-Supermarktes in Deutschland scheint es höchste Zeit, dass sich der Einzelhandel wieder einmal neu erfindet. Schließlich ist die Konkurrenz nur noch einen Mausklick entfernt. Und immer neue Wettbewerber wie Gorillas, Flink oder Knuspr drängen auf den schnell wachsenden Markt.