Von Marco Partner
Heidelberg/Dielheim. Groß, schlank, blond, am besten noch blauäugig: All diese klischeehaften Kriterien erfüllt Nadia Muders nicht. Und doch rechnet sich die 23-jährige Heidelbergerin Chancen aus, 2022 zur Miss Germany gekürt zu werden. Von 12.000 Bewerberinnen hat es die gebürtige Dielheimerin bereits in die Top 160 geschafft. "Schon lange ist diese Wahl kein reiner Schönheitswettbewerb mehr. Es geht um Diversität, Vorbildfunktion, um eine bewusste Weiblichkeit und Inspiration", betont Muders.
Auf ihrer Instagram-Seite ist die junge Schönheit schon ein kleiner Star. In ihrem Foto-Blog setzt sie aber nicht auf die große Inszenierung in der Filterblasenwelt. Das habe ich am Anfang auch gemacht, inzwischen poste ich aber aus dem Bauch heraus. Einfach bei einem Spaziergang, und oft auch ungeschminkt. Seitdem bekomme ich viel bessere Reaktionen", verrät sie und wird für ihr natürliches Strahlen gelobt, oder für die Tatsache, dass sie sich ihren Gemütszustand nicht von der Waage diktieren lässt. "Ich möchte mit meinen Bildern auch dazu ermutigen, sich mit fünf Kilo zu viel auf den Rippen vor die Haustüre zu trauen", sagt sie mit einem Lachen. Auch bei der Miss-Germany-Kandidatur setzte sie auf Spontaneität. Und wartete bis ganz zum Schluss.
"Das war im Juni, ich stand noch im Schlafanzug in der Küche, als mir klar wurde, dass heute Stichtag und die letzte Chance ist, sich zu bewerben", erinnert sie sich. Also schwang sich die 23-Jährige an den Laptop, tippte, und überließ dem Zufall den Rest. Zuvor hatte sie noch nie an einem Schönheitswettbewerb teilgenommen. "Früher war das sogar Voraussetzung für die Miss-Germany-Wahl. Ich hatte mich nicht mit diesem Frauenbild, den Körpern mit den perfekten Maßen identifiziert", erklärt sie.
Doch der im Sommer 2019 eingeläutete Imagewandel des seit 1927 existierenden Wettbewerbs, weckte das Interesse bei Muders. Von nun an zähle weniger das Aussehen, sondern die persönliche Geschichte der Frauen. Der Umgang mit Geschlechteridentitären, das Einreißen klassischer Rollenbilder, Diversität, Rassismus, Diskriminierung und Stigmata rücken nun in den Vordergrund der Miss-Wahl. "Be Part of the Movement – Für Frauen, die Verantwortung übernehmen" lautet diesmal das Motto. Da wollte auch Nadia Muders ein Teil davon sein.
"Mein Selbstwertgefühl war nicht immer da, das musste ich mir erst hart erkämpfen und habe es immer noch nicht 100 Prozent erreicht", erklärt die 23-Jährige. Heute könnte sie anders auftreten, ihren Körper lieben, authentisch sein. "Diese Sicherheit zu sich selbst zu finden, dafür möchte ich ein Vorbild sein", betont sie. Entscheidend für diese Persönlichkeitsentwicklung war ein für sie prägendes Ereignis während ihrer Berufsfindung.
2017 absolvierte sie eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester. Auch, weil ihre Mutter bereits als Krankenschwester tätig ist und sie wie so viele "einfach was mit Menschen" machen wollte. Die intensive Beschäftigung mit den Kindern bereitete ihr auch Spaß. "Ich wollte etwas Freude in die tragischen Situationen der Familien bringen", erklärt sie. Doch der bürokratische Aufwand, die Tatsache, dass sie mehr mit Dokumenten ausfüllen und der Zeit hinterherrennen als mit der Betreuung der kleinen Patienten beschäftigt war, nahm ihr die Lust.
"Ich habe gespürt, dass mir das nicht guttut, habe lange mit mir selbst gehadert, aber dann abgebrochen. Damals war ich in einer Identitätskrise, ich habe Zweifel an mir selbst gehabt, denn ein Abbruch ist ja immer negativ behaftet."
Muders aber gelang es, zu ihrer Entscheidung zu stehen, sie nicht als feigen, sondern mutigen Schritt zu begreifen, und das Ganze in etwas Positives umzuwandeln. Jetzt holt sie ihr Abitur nach, hat ihr familiäres Nest in Dielheim verlassen, um mit ihrem Freund nach Heidelberg zu ziehen. Später möchte sie gerne Kommunikations- und Medienwissenschaft studieren. "Ich habe gelernt, mich auf meine Intuition zu verlassen und bei mir selbst anzufangen. Was mir guttut, nehme ich an. Was mir nicht guttut, lasse ich los", schrieb sie in der Bewerbung.
Mit drei Worten musste sie sich bei der Kandidatur beschreiben: unkompliziert, lustig und offen. Und so sieht sie die Miss-Wahl auch weniger als Wettbewerb, sondern als Erfahrungsschatz, von dem sie so oder so profitieren kann. "Das Schönste, was wir tun können, ist uns gegenseitig da zu unterstützen, wo wir uns am meisten brauchen – beim Mensch sein", sagt Muders – und hofft natürlich, ihren Namen auch nach der nächsten Runde in den Top 80 wiederfinden zu können.
Info: Den ganzen Oktober über findet das "Community Voting" statt. Jede Woche kann für 40 Kandidatinnen abgestimmt werden, Nadia Muders ist ab Montag, 18. Oktober, an der Reihe. Dank der Online-Stimmen schaffen es 40 Kandidatinnen in die nächsten Runde, weitere 40 werden von einer Fachjury ausgewählt. Das große Finale wird am 19. Februar 2022 im Europa-Park ausgefochten.