Sie ist die gefragteste Wissenschafts-Erklärerin des Landes, doch nur wenige ahnen: Mai Thi Nguyen-Kims Aufstieg vom Science-Nerd zum Social-Media-Star begann mit einer Nachricht aus Baden-Baden. Die Absenderin: SWR-Redakteurin Melanie Gath. Seit Jahren arbeiten beide als Team.
"Corona geht gerade erst los", das erste maiLab-Video zur Corona-Krise, nimmt in der Kategorie "Geschichte des Jahres" am Wettbewerb um den Nannen Preis 2021 teil.
Frau Gath, Mai Thi Nguyen-Kim, Deutschlands berühmteste Youtuberin, die jüngst von der Kanzlerin im Bundestag zitiert wurde und vom Bundespräsidenten mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt worden ist, hat neulich im Gespräch mit dem stern gesagt, Sie seien eine der besten Begegnungen ihres Lebens.
Als ich das gelesen habe, musste ich heulen.
Warum denn das?
Das waren Glückstränen. Ich bin einfach wahnsinnig dankbar, dass Mai und ich uns gefunden haben. maiLab, Mais Youtube-Kanal, ist unser gemeinsames Baby. Wir haben jahrelang als Zweier-Team gearbeitet, bei MaiLab und dessen Vorläufer „schönschlau“, mit dem 2016 alles anfing. Wir sind sehr schnell zusammengewachsen. Heute sind wir superenge Freundinnen.
© privat
Ich bin seit 2016 Redakteurin beim SWR. Mein erstes großes Projekt war, ein neues Wissenschafts-Format zu entwickeln für "funk"…
…das digitale Content-Netzwerk, mit dem ARD und ZDF damals an den Start gingen, um sich einem jüngeren Publikum zu öffnen...
…ich war auf der Suche nach einem Host, jemandem, der diese Sendung präsentieren könnte.
Was für eine Person schwebte Ihnen vor?
Ich hab mit Prio nach Frauen geguckt. Weil ich den Gedanken cool fand, Wissenschaft von einer Frau erklären zu lassen. Und es musste jemand sein, der zur Youtube-Welt passt.
Was muss so jemand mitbringen?
Ich wollte jemand, der Dinge leicht verständlich und zugleich wissenschaftlich fundiert erklären kann – und der dabei zugänglich wirkt. Die größte Hürde war, Wissenschaftler zu finden, die sich vor der Kamera wohl fühlen. Ich habe viele Science Slams angeschaut…
…eine Art Turnier, bei dem Wissenschaftler ihre Forschungsthemen in prägnanten Kurzvorträgen vor einem Laien-Publikum präsentieren – und von diesem Publikum auf ihre Verständlichkeit bewertet werden…
…und bei einem Science Slam hab ich Mai entdeckt.
Weswegen ist sie Ihnen aufgefallen?
Sie agierte sehr cool auf der Bühne und hatte einen guten Draht zum Publikum. Das hat mich begeistert. Kurz danach sah ich mir ihren privaten Youtube-Kanal an und merkte: Die hat auch noch einen richtig guten Sinn für Humor.YT Video
Sie hatten ihren Host gefunden!
Dachte ich auch. Doch dann kam der erste große Rückschlag: Mai steckte mitten in ihrer Doktorarbeit. Und sie war nicht in Deutschland, sondern in den USA.
Und dann?
Ich habe Mai dann trotzdem geschrieben. Und sie hat recht schnell geantwortet und Interesse an einer Zusammenarbeit bekundet.
Dabei hatte BASF ihr zur gleichen Zeit eine feste Anstellung als Chemikerin angeboten. Wie haben Sie sie denen weggeschnappt?
Ich hab ihr gesagt: "Ich will unbedingt das Format mit Dir machen, und ich kann mir vorstellen, dass das richtig groß werden kann." Ich kann mich an ein Gespräch erinnern, wo wir darüber gesprochen haben, was unsere Eltern uns wohl raten würden. "Oh Gott, auf jeden Fall BASF und nicht Youtube", sagte Mai. Meine Eltern hätten genau das gleiche gesagt, wenn ich Chemikerin wäre. Ich war überglücklich, als sie ja zu mir und dem SWR gesagt hat.
Wie ging es weiter?
Wir haben sehr rasch begonnen, über erste Themen zu brainstormen. Per Mail und Whatsapp und Video-Call. Ein paar Monate später kam sie zurück nach Deutschland und wir haben ein erstes Video für den neuen Youtube-Kanal "schönschlau" gemacht. Der Titel: "Was passiert, wenn Astronauten rülpsen?"
Das hört sich so einfach an. War es das auch?
Mai stellte sich einfach mit ihrer Webcam vor eine weiße Wand. Genau so sollte es aussehen: Wie eine Wissenschaftlerin, die frisch aus dem Labor kommt. Dieser Self-Made-Look war mir total wichtig. Ich wollte keine Studio-Hochglanz-Produktion.
Warum nicht? Fehlte dafür das nötige Budget?
Darum ging es nicht. Es lag eher am Erzählstil auf Youtube: Wenn dort ein Host, ein Creator, etwas zu seinem Thema erzählt, dann erwartet das Publikum, dass das self-made aussieht. So wird es als authentisch wahrgenommen.
Mai hat einmal über diese Anfangszeit gesagt: "Es gab mich, mein Stativ und Melanie."
Genau so war es. Wenn wir in einem großen Studio produzieren würden, mit einem großen Team, dann könnten wir gar nicht so aktuell reagieren wie wir das zum Beispiel in der Corona-Lage immer wieder getan haben. Im Grunde läuft das bis heute so: Mai dreht, ich mache parallel die Grafik, dann baut sie die ein, macht Schnitt und Musik. Und dann hauen wir es raus.
© Michael Sohn/
Inzwischen gehören noch zwei weitere Wissenschaftler zum Team.
Ja, Jens ist Neuropsychologe und Lars Neurobiologe. Wir brauchten sie als Verstärkung, weil sich der Anspruch des Kanals sehr verändert hat. Wir haben heute viel mehr Tiefgang und betreiben viel aufwändigere Hintergrund-Recherche als zu Beginn. Aber dieses Gefühl, in einem total coolen, kleinen Team zu arbeiten, ist immer noch da.
"Corona geht gerade erst los", das maiLab-Video zur beginnenden Corona-Krise, das 2. April 2020 online ging, wurde 6,5 Millionen Mal angeklickt. Es war der erfolgreichste deutschsprachige Youtube-Clip 2020 – und ist nun ein Shortlist-Kandidat in der neuen Nannen Preis Kategorie "Geschichte des Jahres". Wie ist die Idee zu diesem Video entstanden?
Zu Beginn der Pandemie waren wir gerade dabei, den Neustart von MaiLab nach Mais Babypause vorzubereiten. Uns war klar: Wir müssen etwas zu Corona machen. Wir haben dann begonnen zu recherchieren: Was können wir überhaupt safe sagen? Mit welchen Studien sollen wir uns befassen? Für mich war klar: Die Menschen wollen wissen, wann das endlich vorbei ist.
Die Antwort gab das Video schon im Titel – und sie war niederschmetternd. In einem Begleittext für die Nannen Preis Jury beschreiben Ihre Kollegen Sie als "Herz des Teams". Ihrer Feinfühligkeit sei es zu verdanken, dass viele Zuschauer sich von dem 20-Minuten-Clip angesprochen und abgeholt gefühlt hätten. Was genau meinen die?
Ich bin die einzige Nicht-Wissenschaftlerin im maiLab-Team, darum schaue ich aus einem anderen Blickwinkel auf unsere Videos. Ich stelle mir immer die Frage: Was macht das mit mir? Mit welchem Gefühl gehe ich aus dem Video, was ist die "Take Home Message"? Bei der Produktion von "Corona geht gerade erst los" habe ich versucht, mich nicht nur in die Menschen hineinzuversetzen, die ungeduldig darauf hoffen, dass die Pandemie bald ein Ende hat, sondern auch in diejenigen, die gerade mit Ängsten und ernsthaften Sorgen kämpfen. Wir wollten die Zuschauer korrekt informieren, ohne sie zu deprimieren. Darum habe ich darauf geachtet, dass die harten wissenschaftlichen Fakten einigermaßen erträglich rüberkommen.
Heute ist "die Mai", wie Sie Ihre Kollegin nennen, ein Star im medialen Rampenlicht. Aber wer ist eigentlich diese Melanie Gath, der das Phänomen Mai Thi Nguyen-Kim entscheidend mit zu verdanken ist?
Mai stellt mich immer als "die Grafikerin" vor. Und es stimmt ja: das war und bin ich bei Mailab primär. Aber ich komme aus dem klassischen Journalismus. Ich war bei Radio, Zeitung und diversen Online-Redaktionen. Aber ich hatte oft das Gefühl: Das, worüber ich gerade berichte, würde ich viel lieber grafisch erzählen – denn es wäre dann noch viel besser zu verstehen. Deswegen habe ich in Zürich audiovisuelle Medien studiert und mich auf Animation fokussiert. Während des Studiums war ich noch ein halbes Jahr in Bristol, der Heimat von "Shaun das Schaf", dem Mekka für Animation in Europa. 2016 habe ich beim SWR angefangen. Und es war mir von Anfang an sehr wichtig, dass ich auch weiter Animation und Grafiken machen darf.
Wieso ist Grafik so wichtig für die maiLab-Videos?
Wir hatten bei maiLab von Anfang einen uniquen Look und einen großen visuellen Wiedererkennungswert. Zum einen durch das Setting, in dem Mai dreht, aber auch durch die Grafiken, die Farbgebung oder den Animationsstil. Dass wir mit Grafiken arbeiten wollen, war von Anfang an klar. Man kann komplizierte Dinge wie chemische Reaktionen so einfach leichter erklären. Früher waren unsere Grafiken spielerischer, da ist auch mal ein Mammut durchs Bild gerannt. Heute sind wir cleaner. Es geht mehr um Wissenskommunikation und weniger um Unterhaltung.
Wie hat der Erfolg Ihre Arbeit verändert?
Die Interaktion mit unserer Community war immer Kern unserer Arbeit. Wir wollen unseren Youtube-Abonnenten zeigen, dass wir ihnen zuhören, dass wir mit ihnen sprechen. In der Kommentarleiste unter unseren Videos schreiben uns die Leute oft wahnsinnig lange Texte. Wir haben viele Themenvorschläge von dort aufgegriffen. Aber jetzt haben wir manchmal fünfstellige Kommentarzahlen. Da ist es einfach nicht mehr möglich, so zu interagieren wie früher. Und wir verspüren auch einen ganz anderen Druck als zu Beginn.
In einem Interview hat Mai Thi Nguyen-Kim vom "Schaumschläger-Symptom" gesprochen. Sie meinte damit ihre Angst, all den Erwartungen nicht gerecht werden zu können.
Ich kann das gut nachvollziehen. Mai ist ja nicht als Medienmensch groß geworden, sondern als forschende Wissenschaftlerin im Labor. Von der Kanzlerin im Bundestag zitiert oder ständig in irgendwelche Talkshows eingeladen zu werden, das war ja nie ihre Absicht. Sie ist Chemikerin.
Könnte es sein, dass ihr der Rummel irgendwann zu viel wird?
Das glaube ich nicht. Dazu ist es Mai viel zu wichtig, Aufklärungsarbeit zu leisten. Das ist ihr Herzensanliegen. Und ich hoffe, dass wir das noch lange zusammen machen.
Qualitätsjournalismus – wie wird der heutzutage eigentlich gemacht? Wie kommt ein Thema auf? Welche Quellen nutzen Reporter*innen für ihre Recherche? Welche Möglichkeiten bieten neue und traditionelle Medien? Welche Rolle spielt die Presse für eine lebendige, demokratische Gesellschaft? Um diese und andere Fragen zum modernen Journalismus kreist unsere neue Serie zum Wettbewerb um den Nannen Preis 2021, den der stern und das Verlagshaus Gruner + Jahr ausrichten. Im Lauf der kommenden Wochen werden wir hier eine Reihe journalistischer Arbeiten aus dem aktuellen Wettbewerb um die renommierteste Auszeichnung für deutschsprachigen Journalismus näher beleuchten.
Die Auswahl der Arbeiten, auf die wir an dieser Stelle in loser Folge eingehen, ist gänzlich unabhängig von der Arbeit der Jurys, die in geheimen Beratungen die Preisträger küren. Hier geht es nicht um die Frage: Welche Arbeit macht das Rennen? Sondern darum Sie, unser Publikum, teilhaben zu lassen an der beeindruckenden Vielfalt journalistischer Kreativität, die sich in den Einreichungen zum Nannen Preis 2021 zeigt.
Die anderen Folgen unserer Serie zu Arbeiten aus dem aktuellen Wettbewerb und weitere interessante Artikel rund um den Nannen Preis finden sie hier.
Ihr Nannen Preis Team