In Irland gehörte Eddie Bolger zum Trainerstab, der Michael Conlan, Joe Ward und Katie Taylor ganz nach oben führte. 2017 hat ihn der DBV überzeugen können, seine Arbeit in Deutschland fortzuführen. Vier Jahre nach seinem Start – und drei Monate vor dem olympischen Boxturnier in Tokio – erklärt der 51jährige Coach aus Wexford an der irischen Ostküste in unserem Gespräch, wie er Pokale putzen musste und zum Boxen kam, welche Philosophie er verfolgt, wie die perfekten Boxerinnen und Boxer wären, was er über die Verschiebung der Olympischen Spiele denkt und welche Schritte zur intensiveren Förderung junger Talente notwendig wären.
Herr Bolger, wie haben Sie zum Boxsport gefunden?
In Irland haben die meisten Familien eine Boxtradition, und meine war nicht anders. Meine Onkel und der Großvater waren anerkannte Boxer, die nationale Titel gewannen. Ich habe die meisten meiner frühen Jahre bei den Großeltern verbracht. Da gehörte es zu meinen wöchentlichen Pflichten, die Trophäen und Medaillen auf Hochglanz zu bringen. Es war unvermeidbar, dass ich eines Tages durch die Tür des lokalen Boxclubs gehen würde. Da war ich acht.
Wer waren Ihre Helden und Vorbilder?
Ich hatte eine ganze Reihe: Ali, Hagler, Leonard, Duran, auch Barry McGuigan. Aber mein Liebling war Hector Camacho.
Welche Trainer haben Sie geprägt?
Ich hatte das Glück, bei meinem Werdegang von vielen Trainern geprägt und ausgebildet zu werden. Und jetzt profitiere ich von den Trainern, mit denen ich Tag für Tag zusammenarbeite. Den größten Einfluss auf meine Ausbildung und Entwicklung hatte die High Performance Unit in Dublin, die von Billy Walsh und Zuar Antia aufgebaut und geführt wurde. Dieses Programm hat mir viel Erfahrung im Hochleistungssport gegeben.
Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrem Auftrag in Deutschland? Haben Sie eine bestimmte Philosophie?
Zu meinen Zielen gehört es, eine Vision zu entwickeln sowie eine Kultur, die diese Vision kompromisslos unterstützt. Die gemeinsame, mit dem deutschen Verband und dem Elitekader verabredete Vision ist: Deutsche Boxer durchgehend auf europäischen, weltweiten und olympischen Podien zu platzieren. Um dahin zu kommen, müssen wir erkennen, was »Weltklasse« ist, und das auch von uns und unserer Kultur verlangen. Wir müssen die Maßstäbe so hoch anlegen, dass nur Weltklasse-Athleten sie erreichen.
Das ist eine gemeinsame Vision, die Teamgeist voraussetzt. Wie entwickelt man den in einer Individualsportart?
Ganz einfach: Kultur! Weltklasse-Athleten brauchen Weltklasse-Athleten, um zu wachsen. Und EinzelsportlerInnen wachsen und entwickeln sich viel schneller im Team. Das muss von einer Vision und einer Kultur geleitet werden, in der jeder Athlet sich einbringt und seine Rolle im Team hat. Aufrichtigkeit, Integrität, Loyalität und Respekt sind die entscheidenden Werte, die jeder beachten und im Team hochhalten sollte. Wie er oder sie als Individuum das Team repräsentiert, ist von höchster Bedeutung. Dazu gehören auch der Dresscode und wie man mit anderen Sportlern, Teamleitern oder auch dem Personal im Hotel umgeht.
Welche Bedeutung kommt da einem Mentalcoach zu? Werden Sie weiter mit solchen Experten arbeiten?
Das ist für mich von höchster Bedeutung bei der Entwicklung von Weltklasse-Athleten. Die mentale Stärke ist schließlich eines der entscheidenden Felder. Wie alle anderen Mitarbeiter sollten diese Trainer den Head Coach unterstützen. Dieser muss festlegen, wo, wann und auf welche Weise die Expertise optimiert werden kann. Ein kluger, erfahrener Coach wird seine Athleten immer von solchen Experten begleiten lassen, um deren Performance zu steigern.
Hat sich das olympische Boxen vom Stil her verändert?
Nach meiner Ansicht nicht. Technische und taktische Fähigkeiten wurden verbessert, die Intensität ist höher, und der Kopfschutz ist gekommen und gegangen. Aber die Grundlagen sind über die Jahrzehnte gleich geblieben. Hier und da mögen Eigenarten im Stil variieren. Trotzdem bestand der wichtigste Unterschied über die Jahre darin, wie sie bewertet wurden. Das hatte wenig Konsequenz.
Wie sähe der perfekte Boxer aus?
Ich spreche eher vom »universellen Boxer«, und das ist ein wichtiger Faktor bei unseren täglichen Trainingseinheiten. Wir wollen unsere Athleten zu universalen Boxern ausbilden. Mental und physisch stark, mit einer Lebensführung, die ihre Visionen unterstützt, technisch in der Lage, in jeder Distanz zu boxen; stark im Vorwärtsgang, stark auf dem hinteren Fuß, und fähig, im Kampf verschiedene, taktischen Pläne umzusetzen. Sich einstellen und bestehen können.
Wie gestalten Sie die Kommunikation innerhalb des Trainerteams?
In meinem ersten olympischen Zirkel konzentrierte ich mich auf rasche Veränderungen. Mir war wichtig, mit unserem Vorzeige-Kader ein Beispiel zu setzen, um unsere Athleten und Trainer zu inspirieren. Meine erste Priorität für den Elitekader war ein gemeinsamer Trainingsplan und -ablauf für Männer und Frauen. Dieses Konzept wurde dem DBV und seinen Teamcoaches vorgestellt und durch Power Point-Präsentationen sowie den Einbezug von regionalen bzw. Heimtrainern wie Boxern in unsere Trainingslager, national wie international, unterstützt. Es war die praktischste Art, unsere Philosophie von Training und Trainerausbildung zu kommunizieren. Alle weiteren Aktivitäten werden auf den üblichen Wegen, also durch Meetings, E-Mails und Telkos koordiniert. Das funktioniert ziemlich gut, die Kommunikation ist stetig und eindeutig.
Wieviele Ihrer Athletinnen und Athleten im Elitekader haben eventuell Chancen auf eine olympische Medaille in Tokio?
Die Absage des World Qualifiers hat einen desaströsen Effekt auf die Medaillenperspektive der meisten Nationen gehabt. Auch Deutschland wurde getroffen, die Hälfte des Kaders ist von der zweiten oder gar ersten Qualifikationschance ausgeschlossen. Dennoch sind unsere stärksten Athleten noch in der Qualifikation. Dass Europa dabei der schwierigste Kontinent sein dürfte, ist nachvollziehbar. Die Anzahl der Länder und die Tiefe des Talents steht in seiner Qualität über allen anderen Kontinenten. Vor dem Hintergrund glaube ich, dass unsere Athleten, wenn sie im Juni durch ihre Kämpfe kommen, mit viel Selbstvertrauen und Aussichten auf eine Medaille nach Tokio reisen können.
Welche Auswirkungen hat die Verschiebung der Olympia-Qualifikation um ein Jahr auf Ihre besten Athleten?
Nach meiner Erfahrung hatte sie wenig bis keine negativen Effekte. Tatsächlich hat sie ihnen ermöglicht, innerhalb des Programms zu wachsen, rundherum besser ausgebildet und zuversichtlicher zu werden. Wir hatten mehr Zeit, uns zu verbessern und gegen die Weltklasse auszuprobieren, die Performance auszuwerten und Änderungen vorzunehmen. Verbesserungen steigern auch Selbstvertrauen und Zielstrebigkeit. Hamzat Shadalov zum Beispiel war ein junger Athlet, der sich für Tokio 2020 qualifiziert hatte. Vor einem Jahr hätte ich ihn für jemand gehalten, der nach Tokio fährt, um dort so viel Erfahrung wie möglich zu sammeln. Nun kann er mit echten Aussichten auf eine Medaille anreisen.
Wie kann der DBV die Förderung junger Talente noch intensiver gestalten?
Ausbildung, Ausbildung, Ausbildung. Der Fokus muss auf der Ausbildung der Trainer und jungen Talente liegen. Es braucht eine Marschroute mit allem, was für ihre Entwicklung relevant und angemessen ist. Die Spezifika des Boxens sollten die vordringlichen Kriterien bei der täglichen Arbeit sein, und ähnlich gut ausgebildete Trainer sollten diese Programme umsetzen. Regelmäßige, gemeinsame Trainingscamps und ausgewählte international Turniere müssen fest zum Kalender gehören. Das erlaubt uns, Fortschritte zu evaluieren und die Entwicklung zu überprüfen. Das eigentliche Ziel wäre für mich erreicht, wenn die jungen Athleten so gut vorbereitet in die Elite aufrücken, dass sie ihre Erfolgschancen optimieren und ihre Vision erreichen können.
Nun ist das DBV-Team gerade ohne eine Medaille von der U19-WM in Kielce zurückgekommen. Wie bewerten Sie das Abschneiden?
Die AthletInnen des U19-Teams haben sich gut präsentiert. Wir haben da einiges an starkem Potential, aber ohne ein Weltklasse-Programm drum herum zählt das sehr wenig. Wir müssen unsere Vorbereitung auf diese WM untersuchen, herausfinden, was gut war und was wir verbessern können. Wenn wir das mit guter Absicht tun und hart arbeiten, können wir auf allen Ebenen etwas bewirken… Ich merke, dass sich das Boxen in Deutschland verändert, wobei die Elite als Flaggschiff vorangeht. Das sollte sich auf unsere Nachwuchsteams und ihre Leistungsniveaus auswirken. Auf lange Sicht müssen wir uns fragen, wann unsere Athleten den Höhepunkt ihrer Entwicklung erreichen sollen: Jugend, Junioren, Elite? Das bestimmt, wie und was wir auf jedem Level trainieren.
Wie kann der Verband seine Trainer dabei bestmöglich unterstützen?
Indem er unseren Trainern Maßnahmen auf Weltklasse-Niveau und deren Umsetzung nahebringt. Er kann sie in ausgesuchte Länder schicken, die durchgehend auf Weltklasse-Niveau sind, um sich dort einzubringen und zu lernen. So können sie etwas erfahren, studieren, festhalten und weitergeben. Diese Beobachtungen sollten dokumentiert und geteilt, diskutiert und in unsere Programme aufgenommen werden. So erreicht man Fortschritte und Weltklasse. Die Zusammenarbeit mit anderen, internationalen Trainingsgruppen und Wissenschaftlern sollte unsere Kenntnisse erweitern und dabei helfen, uns auf allen Feldern der Ausbildung zu verbessern. So werden wir gemeinsam stärker und zu einer Boxnation auf höchstem Niveau.
Und was macht einem Head Coach Freude daran, worin liegt seine Erfüllung?
Ich bin derjenige, der diese Programme leitet, damit das Team seine Vision einlöst. Das ist viel Verantwortung, die jede Menge Stolz und Erfüllung bringt. Am Ende des Tages läuft alles auf Zufriedenheit bei der Arbeit und Anerkennung dafür hinaus. Ich selbst messe meinen Erfolg daran, wie gut ich mein Team in positiver Weise erreicht habe. Etwa, indem ich ihm die Erfahrung und Methoden meiner eigenen Reise vermittle. Diese Dinge können weitergegeben werden und hoffentlich jeden im Team besser machen, so dass er oder sie die eigenen Ziele erreicht. Als Head Coach tausche ich mich mit allen im Verband aus, auf allen Ebenen, und begegne vielerlei Feedback, Sorgen und Hoffnungen, kleinen wie großen Träumen und allen möglichen Emotionen in der Welt des Sports. Sowas aufgrund meiner Fähigkeiten im Umgang mit Menschen beeinflussen zu können, ist eine lohnende Lebensart. Head Coach einer großen, geschichtsträchtigen Nation zu sein, gibt mir jede Menge Erfüllung und Stolz.
Der Beitrag DBV-Cheftrainer Eddie Bolger: Wir müssen die Maßstäbe so hoch ansetzen, dass nur Weltklasse-Athleten sie erreichen erschien zuerst auf Deutscher Boxsport-Verband e.V..