Von Alexander Albrecht
Mannheim. Zwei Jahre auf Bewährung, knapp an einer Haftstrafe vorbeigeschrammt – doch Alfred D. kann sich darüber nicht freuen. "Nein" sagt er unmissverständlich den Journalisten, die nach dem Urteil des Landgerichts vergeblich auf ein Statement des früheren Geschäftsführers der Mannheimer Uniklinik gewartet hatten. Dann verlässt der 72-Jährige eilig den Saal.
Tatsächlich trifft die Entscheidung der 3. Großen Strafkammer den Angeklagten empfindlich. Genau ab dem Strafmaß von zwei Jahren würde er seine Pensionsansprüche verlieren, das schreibt der Gesetzgeber bei ehemaligen Beamten vor. Die Richter um den Vorsitzenden Ulrich Bunk verdonnern Alfred D. zudem zu einer Geldstrafe von 75 000 Euro – dreimal so viel, wie Oberstaatsanwalt Peter Lintz gefordert hatte.
Das Geld muss der ehemalige Klinikchef spätestens sechs Monate nach Rechtskraft des Urteils an drei Spendenorganisationen überweisen. Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass Hans Ulrich Beust ankündigt, "auf jeden Fall" Revision einzulegen. Die Klammer des Prozesses bildete der im Herbst 2014 bekannt gewordene Hygieneskandal am Uniklinikum. Die Gretchenfrage: Hätte Alfred D. die von ihm delegierten Aufgaben hinsichtlich des Reinigens und Desinfizierens von Operationsinstrumenten kontrollieren müssen?
Die Kammer bejaht das, sieht bedingten Vorsatz und wertet den Fall als besonders schweren Verstoß gegen das Medizinproduktegesetz. Dass Kontrolleure damals bei einer Begehung verschmutztes OP-Besteck entdeckten sowie mehreren Reinigungs- und Desinfizierungsgeräten der notwendige Tüv-Stempel fehlte, zeige, dass die Gesundheit Tausender Patienten gefährdet gewesen sei, sagt Bunk. Im Oktober 2013 war es in der Chirurgie vermehrt zu Wundinfektionen gekommen. Allerdings könne ein Zusammenhang zwischen diesen und der Verwendung von möglicherweise nicht ordnungsgemäß aufbereiteten Instrumenten "nicht mit der im Strafrecht erforderlichen Wahrscheinlichkeit belegt werden", sagte Lintz zum Prozessauftakt.
Doch darauf komme es gar nicht an, so Bunk, sondern auf die "Möglichkeit, dass". Delegieren bedeute keine Befreiung von Pflichten und gehe nicht mit weniger Verantwortung einher, betont der Vorsitzende. Es sei Alfred D.s Job gewesen, die beauftragten Führungskräfte, darunter ein Architekt, sorgfältig einzuweisen, ihnen regelmäßig auf die Finger zu schauen und Berichte einzufordern. "Sie haben Ihre Hausaufgaben nicht gemacht", hält Bunk dem Angeklagten vor.
Außerdem hätten sich seine Dienstanweisungen von 2007 und 2013 nicht an bestimmte Personen gerichtet, sondern an Abteilungen. Zu den Aufgaben von Alfred D. hätte es auch gehört, die mit der Aufbereitung der OP-Siebe betraute Zentrale Sterilgutversorgung ("Steri") mit den notwendigen Sachmitteln auszustatten. Wäre der damalige Geschäftsführer seinen Pflichten nachgekommen, hätte er den wegen hohen Krankenstands chronisch unterbesetzten "Steri" personell aufstocken und darauf achten müssen, dass die Mitarbeiter entsprechend geschult sind, sagt Bunk.
Knapp die Hälfte der 33 Angestellten verfügten nicht einmal über den einfachsten Fachkundenachweis. Als das Regierungspräsidium erstmals 2007 gravierende Mängel feststellte, habe Alfred D. mit "Flickschusterei" reagiert, schlecht oder nicht qualifizierte Leiharbeiter eingestellt und bauliche Veränderungen im "Steri" in Auftrag gegeben. Die Probleme seien dadurch nur für kurze Zeit kleiner geworden. Überforderte Abteilungsleiter hätten später den "Schwarzen Peter" von einem zum anderen gereicht und sich für die Geräte im "Steri" nicht zuständig gefühlt, kritisiert Bunk.
Empfehlungen externer Institute sei Alfred D. in den sieben Jahren der Missstände im Hygienebereich nicht gefolgt. Positiv hält die Kammer dem Angeklagten sein Teilgeständnis zugute, dass er schon 72 und nicht vorbestraft ist und in seiner Amtszeit unter erheblichem Kostendruck stand. Hinzu kommt die lange Verfahrensdauer: Von den Vorwürfen bis zum Urteil vergingen sechseinhalb Jahre. Deshalb sieht das Gericht drei Monate bereits als vollstreckt an.
Negativ fällt der lange "Tatzeitraum" zwischen 2007 und 2014 ins Gewicht, ebenso der "massive Reputationsschaden", den die Klinik einstecken musste. Durch gesperrte OP-Säle und abgesagte Eingriffe erlitt das Krankenhaus Verluste im zweistelligen Millionenbereich. Ohne die Zuschüsse des Gemeinderats hätte die Klinik wohl um ihre Existenz fürchten müssen. Anwalt Beust hält das Urteil "für das Falscheste, das man sprechen konnte". Sein Mandant habe allenfalls fahrlässig gehandelt. Alfred D. hatte sich damit gerechtfertigt, dass er von den ihm unterstellten Führungskräften nicht über Missstände informiert worden sei. Ankläger Lintz zeigt sich hingegen zufrieden mit dem Urteil, auch er hatte auf zwei Jahre auf Bewährung plädiert.
Update: Montag, 26. April 2021, 20.00 Uhr
Bewährungsstrafe für Ex-Geschäftsführer der Klinik
Mannheim. (dpa) Im Prozess um einen Hygieneskandal am Mannheimer Klinikum hat das Landgericht Mannheim den ehemaligen Klinik-Geschäftsführer zu zwei Jahren und drei Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Er habe als Betreiber von Medizinprodukten gegen das Medizinproduktegesetz in besonders schwerem Fall verstoßen und zwischen 2007 und 2014 die Gesundheitsgefährdung von Tausenden Patienten in Kauf genommen, argumentierte das Gericht am Montag. Drei Monate der Strafe gelten als vollstreckt. Überdies soll der 72-Jährige 75.000 Euro an verschiedene Projekte des Uniklinikums zahlen. Der Mann habe Aufgaben für die Beseitigung gravierender Mängel bei der Sterilisierung an Untergebene delegiert, die davon kaum Ahnung hatten und die er nicht kontrollierte.
Sein Verteidiger kündigte Rechtsmittel an. "Das Urteil ist so falsch wie ein Urteil nur sein kann." Das Gericht habe den Fokus auf Vorsatz zuungunsten der Fahrlässigkeit gelegt, kritisierte er. Die Staatsanwaltschaft zeigte sich hingegen zufrieden mit dem Urteil, hatte sie doch auf zwei Jahre auf Bewährung plädiert.
Berichte über Operationen mit verunreinigtem Besteck hatte die Uniklinik Ruf, Patienten und Millionen-Einnahmen gekostet.
Update: Montag, 26. April 2021, 15.15 Uhr
Von Alexander Albrecht
Mannheim. "Essen hatte Vorfahrt, das Sterilgut kam erst an vorletzter Stelle": Mit diesem prägnanten Beispiel beschreibt Oberstaatsanwalt Peter Lintz die Zustände am Mannheimer Uniklinikum im Herbst 2014, als Kontrolleure des Regierungspräsidiums Karlsruhe (RP) dort die gravierenden Hygienemängel aufdeckten. Tatsächlich war es dem Krankenhaus damals nach Zeugenaussagen wichtiger, dass die unterirdisch transportierten Mahlzeiten warm bei den Patienten ankamen. Die Wagen mit gebrauchtem OP-Material wurden deshalb häufiger zwischengeparkt und blieben stunden- oder gar tagelang im Korridor stehen.
Wenn sich Patienten über das Essen beschwerten, sei das ärgerlich, aber weniger schlimm, so Lintz. Wenn jedoch beim Reinigen und Desinfizieren von Zangen, Skalpellen und Scheren gespart werde, der "Tüv" für den Großteil der "Waschmaschinen" abgelaufen, die zuständige Fachabteilung chronisch unterbesetzt und das Personal kaum qualifiziert sei, dann liege strafbares Handeln vor. "Denn die Menschen sollen ja aus dem Krankenhaus gesünder wieder rauskommen und nicht gefährdet werden", sagt der Oberstaatsanwalt.
Er plädiert am Donnerstag vor dem Mannheimer Landgericht dafür, den angeklagten früheren Klinik-Geschäftsführer wegen Verstößen gegen das Medizinproduktegesetz zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren zu verurteilen, ausgesetzt zur Bewährung. Daneben soll die 3. Große Strafkammer Alfred D. noch eine Geldbuße von 25 000 Euro aufbrummen. Schon nach einer Begehung im Jahr 2007 hätten die RP-Ermittler die dem früheren Krankenhauschef zur Last gelegten Mängel entdeckt. Drei beauftragte externe Institute seien zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Reagiert habe Alfred D. darauf mit Flickschusterei statt eine Lösung aus einem Guss zu präsentieren.
Ja, es seien Reinigungs- und Desinfizierungsgeräte sowie OP-Besteck neu angeschafft und Leiharbeiter eingestellt worden. Das reichte allerdings offenbar nicht. So habe nach D.s Rücktritt ein weiteres Institut Investitionen von zehn Millionen Euro in der Zentralen Sterilgutversorgung ("Steri") veranlasst.
Alfred D. hatte 2007 eine Dienstanweisung seines Vorgängers fortgeschrieben und die Verantwortung für den "Steri" – wie zuvor – dem Leiter der Personal- und Logistikabteilung übertragen. Der war mit dieser Aufgabe offenbar überfordert und zeigte sich bei Hinweisen von Ärzten beratungsresistent. Er wurde bereits zu einer strafrechtlich relevanten Geldstrafe verurteilt.
Landgericht scharf kritisiert
Lintz wirft die Frage auf, ob Alfred D. die Anweisungen auch kontrollierte – durch Stichproben oder Abteilungsberichte. Er glaubt, dass dies der damalige Klinikchef "bedingt vorsätzlich" unterlassen habe, nach dem Motto "Aus den Augen, aus dem Sinn." Positiv wertet der Ankläger, dass der nicht vorbestrafte Alfred D. ein Teilgeständnis abgelegt und das Verfahren vom Bekanntwerden der Hygieneaffäre bis zum Prozess viel Zeit in Anspruch genommen hat.
An den letzten Punkt knüpft Verteidiger Hans-Ulrich Beust an. Er hält dem Landgericht – nicht der 3. Großen Strafkammer – "unglaublich schlampige Arbeit" vor. Alfred D. wurde Anfang 2018 angeklagt, der Prozess ihm aber erst drei Jahre später gemacht. Auf Beusts Nachfragen hieß es stets, es sei eben ein komplexes Verfahren. Dass der Prozess bislang nur zehn Tage gedauert habe und beim nächsten Termin am Montag, 26. April (13 Uhr), das Urteil verkündet wird, zeige, dass es durchaus schneller gegangen wäre. Beust fordert, dass die Kammer dann in ihrer Entscheidung das Verfahren nachträglich einstellt. Alfred D. habe wegen ausgebliebener Kontrollen allenfalls fahrlässig gehandelt. Dann aber hätte die Verhandlung im Oktober 2020 eröffnet werden müssen. Sprich: Beust ist überzeugt, dass die Tat zum Prozessauftakt im Februar bereits verjährt war.
Der Anwalt führt für seine Fahrlässigkeits-These einige Argumente an. Das wichtigste: Alfred D. habe nach 2007 von führenden Mitarbeitern nie Rückmeldungen über Missstände erhalten, vieles davon erst vor Gericht erfahren. Das deckt sich mit der Aussage eines Mikrobiologen, der Informationen über blutverschmiertes OP-Besteck oder Haare darauf an andere Führungskräfte weiterleitete. Warum nicht an Alfred D.? "Ich habe es nicht ausprobiert", gesteht der Arzt. "Keiner der Leute, die etwas zu sagen hatten, sind auf den Angeklagten zugekommen", betont Beust. "Er hat ihnen vertraut."
Sein Mandant sei nicht der knausrige, unnahbare Geschäftsmann, als der er mitunter hingestellt werde, und gegenüber vernünftigen Vorschlägen stets offen gewesen. In seiner Amtszeit seien trotz allgemeinem Kostendruck in sämtlichen deutschen Kliniken 3,5 Millionen Euro in die "Steri"-Abteilung gesteckt worden. Kein Patient habe sich nachweislich durch das Fehlverhalten des Geschäftsführers oder eines Mitarbeiters eine Infektion zugezogen.
Alfred D. sagt in seinem "Letzen Wort", das Verfahren belaste ihn und seine Familie enorm. Er habe insgesamt 250 neue Vollzeitstellen im Klinikum geschaffen, das Patientenwohl sei ihm stets am Herzen gelegen. "Ich habe keine Erklärung für die Vorfälle und bedaure sie." Daran ändern könne er allerdings nichts mehr.
Update: Donnerstag, 15. April 2021, 19.30 Uhr
Mannheim. (dpa-lsw) Im Prozess um einen Hygieneskandal am Mannheimer Klinikum hat die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung für den ehemaligen Geschäftsführer vorgeschlagen. Die Bewährungszeit für den vor dem Landgericht Mannheim angeklagten Pensionär soll drei Jahre betragen. Er soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft überdies eine Geldauflage von 25.000 Euro bezahlen.
Der Verteidiger beantragte am Donnerstag, das Verfahren einzustellen, da seinem Mandanten nur Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei und die fahrlässige Tat verjährt sei. Der Angeklagte hatte sich damit gerechtfertigt, dass er von den ihm unterstellten Führungskräften nicht über Missstände informiert worden sei. Das Urteil wird am 26. April verkündet.
Der Angeklagte muss sich wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Medizinproduktegesetz verantworten. Laut Staatsanwaltschaft hat er durch seine Untätigkeit gegenüber Hygieneverstößen zwischen 2007 und dem Ausscheiden 2014 sehr viele Menschen gefährdet. Immerhin würden an der Klinik jährlich 18.000 Eingriffe vorgenommen. Nach Ansicht der Anklage hat der Verwaltungswirt bewusst Maßnahmen unterlassen, um zu verhindern, dass unzureichend sterilisierte OP-Instrumente eingesetzt wurden. Folge seien Schmutz und Rost an OP-Bestecken gewesen.
Das Mannheimer Universitätsklinikum mit rund 5000 Mitarbeitern ist in kommunaler Hand: Während die Fakultät der Universität Heidelberg und damit dem Land zugerechnet wird, gehört die Krankenversorgung zur Stadt.