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Abzug aus Afghanistan: USA haben nach 20 Jahren Krieg nichts erreicht und hinterlassen Ödland

Kommentar von Scott Ritter

Der US-Präsident Joe Biden hat die Abkehr von einer durch vier aufeinanderfolgende US-Präsidenten durchgesetzten Politik angekündigt, die strenge Vorbedingungen für einen Abzug der USA aus Afghanistan postulierte – indem er nun die Absicht verkündete, das gesamte US-Militäraufgebot bis zum 11. September 2021 aus Afghanistan abzuziehen, dem 20sten Jahrestag der Terroranschläge, die als Vorwand für die US-Intervention in Afghanistan dienten. Diese Entscheidung, die an keinerlei Vorbedingungen oder andere politische Eventualitäten mehr geknüpft sein soll, bedeutet: Die USA werden sich endgültig aus dem zwei Jahrzehnte währenden Alptraum in Afghanistan zurückziehen, der nicht nur in den USA mittlerweile den Beinamen "der ewige Krieg" trägt.

Durch das Abwenden vom bisher etablierten Modell eines "von Bedingungen abhängigen Ansatzes" bezüglich eines Abzugs der US-Truppen aus Afghanistan hat sich Präsident Biden aus dem Realitätszwang herausgewunden – der darin besteht, dass sich die Situation in Afghanistan niemals soweit stabilisieren würde, dass sich die risikoscheuen Generäle, derer im US-Militär viele sind (und für die der Krieg in Afghanistan ein unabdingbarer Bestandteil ihrer jeweiligen Karriere war), bei einem US-Truppenabzug auch wohlfühlen würden. Mit dieser Entscheidung spiegelt Biden auch die Erkenntnis seines Vorgängers Donald Trump wider, dass das US-Militär – sich selbst überlassen – niemals aus Afghanistan abziehen würde.

Biden hatte die Ablehnung des sogenannten "ewigen Krieges" in Afghanistan zu einem integralen Bestandteil seiner nationalen Sicherheitsstrategie gemacht. Allerdings war er gleichsam Geisel zahlreicher Nebenbedingungen in Bezug auf: die Fähigkeiten des afghanischen Militärs und der Sicherheitskräfte, unabhängig zu operieren, Zusicherungen im Hinblick auf Frauenrechte, Zusicherungen seitens der Taliban bezüglich auf ihrer Verbindung zu al-Qaida und (nicht zuletzt) auf den Wunsch nach Verbleib eines Restaufgebots an US-Spezialkräften in Afghanistan seitens vieler US-Militärs und Regierungsmitglieder – Biden selbst  eingeschlossen –, weil dessen Verbleib erforderlich sei, um dort einen wie auch immer beschaffenen, dauerhaften Friedens zu sichern.

Bei der Durchführung einer "kabinettübergreifenden" Analyse der US-Ziele in Afghanistan wurde Biden und seinem inneren Kreis klar, dass die USA Afghanistan niemals verlassen würden, wenn sie den Abzug der US-Truppen weiterhin an all solche Bedingungen knüpfen. Diese Entscheidung stand im krassen Widerspruch zu den Ratschlägen, die Biden vom Militär erhielt: Dort argumentierte man, dass bei jedem bedingungslosen US-Truppenabzug Regierung und Militär von Afghanistan zu einem Kollaps wie seinerzeit in Südvietnam verdammt wären.

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Ähnliche Einwände musste Biden auch von Verbündeten der USA innerhalb wie außerhalb der NATO überwinden, die gemeinsam mit ihnen ein 7.000 Mann starkes Kontingent in Afghanistan unterhalten – dieses Truppenkontingent stellt gerade jene Ausbildungs- und Beratungskapazitäten bereit, von denen das US-Militär behauptet, sie seien für das weitere Überleben der afghanischen Regierung unerlässlich.

Doch im Gegensatz zu Trump, der die NATO bei seiner Abzugsentscheidung schlicht ignorierte, entsandte Biden seinen Außenminister Antony Blinken in das Hauptquartier der Allianz: Dort kündigte Blinken an, die USA würden mit ihren Verbündeten an der Gewährleistung eines "sicheren, überlegten und koordinierten Abzugs unserer Streitkräfte aus Afghanistan" zusammenarbeiten.

Bidens Entscheidung wurde auch durch die kürzliche Ernennung des altgedienten Diplomaten William Burns zum Leiter der CIA begünstigt. Die CIA hat in Afghanistan über die Jahre praktisch ein Imperium aufgebaut, gestützt auf eine Privatarmee unter Vertrag stehender afghanischer Spezialkräfte, die unabhängig vom afghanischen Militär operieren und stattdessen dem von der CIA gesteuerten afghanischen Geheimdienst unterstellt sind. Diese Privatarmee stellt eine logische Ausweiterung der durchaus tiefen Verwicklung der CIA selbst in das Geschehen in Afghanistan dar, die bereits bis in die unmittelbare Zeit nach den Terroranschlägen vom 11. September zurückreicht. Und wie die Führung des US-Militärs wurde auch die derzeitige CIA-Führung in den Feuern des Afghanistan-Konflikts geschmiedet.

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Bereits Trumps letzte CIA-Direktorin, Gina Haspel, war eine Personifizierung dieser Tatsache. Sie spielte eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung sowohl des CIA-Folterprogramms als auch des laufenden Einsatzes bewaffneter Drohnen zur Tötung sogenannter "hochwertiger Ziele" in Afghanistan und anderswo. Haspel war allerdings eine entschiedene Gegnerin von Trumps Abzugsplänen und arbeitete folglich mit dem Pentagon zusammen, um deren vollständige Umsetzung zu verhindern. Nun, wo auf der Stelle von Haspel William Burns neuer CIA-Direktor ist, konnten die Einwände der CIA und des US-Militärs beiseitegeschoben werden – zugunsten des von Bidens Mannschaft erkannten innenpolitischen Imperativs und diktiert von der Tatsache, dass – welche nationalen Sicherheitsgewinne auch immer durch weiteren Verbleib in Afghanistan erzielt werden könnten – diese die Verdrossenheit der US-amerikanischen Öffentlichkeit gegenüber einem unendlichen Krieg nicht aufwiegen könnten, der offensichtlich auch nie zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden kann.

Eine Unwägbarkeit bei dieser Entscheidung ist allerdings, dass Biden mit der Verschiebung der ursprünglich ausgehandelten Frist vom 1. Mai auf den 11. September für einen vollständigen Abzug der US-amerikanischen und verbündeten Streitkräfte aus Afghanistan gegen das Friedensabkommen verstößt, das die USA im Februar 2020 mit den Taliban unterzeichnet haben. Die Taliban haben einen US-Plan abgelehnt, der die Frist für den Truppenabzug formell verlängern würde, und bestehen stattdessen darauf, dass die USA das ursprüngliche Abkommen (bis zum 1. Mai) einhalten. Ebenso haben sich die Taliban von vornherein geweigert, in Verhandlungen mit den USA zu treten, falls die Frist zum 1. Mai nicht eingehalten wird.

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Es besteht also die berechtigte Sorge, dass die Taliban auf die nach Ablauf der Frist in Afghanistan verbliebenen US- und NATO-Truppen Angriffe verüben könnten. Das wiederum könnte zu einer Eskalation der Gewalt und so zu Vergeltungsmaßnahmen der USA oder sogar zur Entsendung zusätzlicher Truppen in die Region führen. Indem er jedoch einen Abzug "ohne Bedingungen" befürwortet, setzt Biden derzeit noch ein klares Zeichen, dass die US- und NATO-Truppen bis zum 11. September aus Afghanistan abgezogen sein würden – unabhängig davon, was in der Zwischenzeit in diesem Land passieren könne.

Der politische Charakter von Bidens Entscheidung, aus Afghanistan abzuziehen, wird dadurch unterstrichen, dass er den Abzug mit dem 20. Jahrestag der Anschläge vom 11. September verknüpft. Diese Entscheidung ist nicht gänzlich frei von einer gewissen Ironie: Biden und seine Berater wollen eindeutig die Botschaft "Mission erfüllt" vermitteln (auch wenn sie verständlicherweise diesen spezifischen Slogan vermeiden). Tatsache ist aber, dass die USA Afghanistan in etwa so verlassen, wie sie es vor zwei Jahrzehnten vorfanden – mit intakten Taliban, weitgehend oben in der Befehlsgewalt angesiedelt, und mit anderen  islamischen Extremistengruppen wie al-Qaida und dem Islamischen Staat, ebenfalls intakt und im Begriff, weiterhin von afghanischem Boden aus zu operieren.

Kurzum: Die USA haben bei ihrer 20-jährigen Intervention in die Konflikte innerhalb Afghanistans nichts anderes zurückbekommen als über 2.000 tote US-Amerikaner, verschwendete Ausgaben in Billionen-Dollar-Höhe aus den US-Budgets und Hunderttausende von abgeschlachteten Afghanen, deren Land nun kaum mehr als eine gequälte Einöde ist.

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RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Übersetzt aus dem EnglischenScott Ritter ist ein ehemaliger Offizier für Aufklärung der US-Marineinfanterie. Er diente den USA in der Sowjetunion als Inspektor für die Umsetzung der Auflagen des INF-Vertrags, während des Zweiten Golfkriegs im Stab von General Norman Schwarzkopf und war danach von 1991 bis 1998 als Waffen-Chefinspekteur bei der UNO im Irak tätig. Derzeit schreibt Ritter über Themen, die die internationale Sicherheit, militärische Angelegenheiten, Russland und den Nahen Osten sowie Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung betreffen.

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