Von Christofer Menges
Eberbach. Klimaschutz duldet keinen Aufschub und geht alle an. Darüber scheint sich der Eberbacher Gemeinderat weitgehend einig. Doch wenn es ans Eingemachte geht, bis wann, wie und ob es Eberbach überhaupt schaffen kann, "klimaneutrale Kommune" zu werden, ist es mit der Einmütigkeit schnell vorbei. Der gemeinsame Antrag von Alternativer Grüner Liste, Freien Wählern und SPD "Die Stadt Eberbach setzt sich zum Ziel, bis 2035 eine klimaneutrale Kommune zu sein", wurde am Donnerstag in einer mehrstündigen Debatte diskutiert. Dabei ging es mehr um Zielvorstellungen und Feinheiten bei Formulierungen als um tatsächliche Wege zum Klimaschutz. Am Ende wurde einem abgeänderten Antrag der AGL mit knappestmöglicher Mehrheit von 10:9 Stimmen zugestimmt. Die Eberbacher Klimainitiative sieht darin ein fatales Signal: "Der Eberbacher Gemeinderat hat eine einzigartige Gelegenheit verstreichen lassen, Einigkeit und Aufbruchstimmung zu erzeugen", bezog sie nach der Sitzung Stellung.
Ums Klima wird in Eberbach schon lange diskutiert. Von 2008 bis 2010 arbeitete das Zentrum für rationelle Energieanwendung und Umwelt ein umfassendes Klimaschutzkonzept für Eberbach aus. Das vom damaligen Bürgermeister Bernhard Martin ausgegebene Ziel: Eberbach sollte zur "klimabesten Stadt der Metropolregion Rhein-Neckar" werden. Umgesetzt wurde davon nicht viel. Lediglich die Umstellung der Straßenbeleuchtung auf stromsparende LEDs und ein paar bezuschusste PR-Projekte wurden abgearbeitet. Der Solarenergie-Ausbau auf öffentlichen Gebäuden dümpelte vor sich hin. Eine Koordinatorenstelle, zentraler Baustein des Projekts, wurde erst Jahre später geschaffen. "Prima Klima", so der damalige Slogan, versandete.
Nun der erneute Anlauf, per Antrag von drei der vier Gemeinderatsfraktionen eingebracht. Die CDU, als einzige Fraktion nicht dabei, hatte voriges Jahr bekundet, dass sie zwar grundsätzlich das Ziel Klimaschutz mittrage, aber sich ein anderes Vorgehen gewünscht. Laut Dietmar Polzin von den Freien Wählern, einer der Unterzeichnerfraktionen, hatte es im Vorfeld mehrere Versuche gegeben, das Thema anzuschieben. Doch die Verwaltung habe den Vorschlag eines Bürgerdialogs abgelehnt und auch bei einem nochmaligen Anlauf "negativ" reagiert. Den Versuch, das Thema stattdessen in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule wieder ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, habe Corona durchkreuzt. Alle redeten von Klimaschutz, "und trotzdem haben wir im Land nicht das erreicht, was man erreichen kann", so Polzin. Deshalb der gemeinsame Antrag mit AGL und SPD, Eberbach möge sich zum Ziel setzen, bis 2035 klimaneutral zu sein und alles, was möglich ist, dafür tun.
Bürgermeister Peter Reichert stellte dem eine Palette von Probleme bei einer möglichen Umsetzung entgegen: Es gebe allgemein keine anerkannte Definition für Klimaneutralität. 2015 habe jeder Eberbacher jährlich elf Tonnen Treibhausgase erzeugt. "Das bedeutet, dass sowohl die Bürger mit ihrem Verhalten als auch die Industrie auf diesen Zug aufspringen müssen", so der Verwaltungschef. Zudem gebe es wenig Fördermöglichkeiten. Die Erreichung des Ziels sei aufgrund der Komplexität der Aufgabe nicht möglich. Der Aufwand für Fachbüros und Verwaltung sei immens. Es fehle an Geld, an Personal. Sein Fazit: Eine Umsetzung bis 2035 ist nicht möglich, nicht finanzierbar, und auch die Erstellung eines Meilensteinplans bis zur Jahresmitte wie beantragt nicht umsetzbar. Sein Vorschlag: Streckung des Zeitziels bis 2040. Die folgende Debatte: geprägt von Fragen um Formulierungen, Zuständigkeiten und Ziele. Wie ambitioniert müssen die Ziele formuliert werden, um wenigstens ein Stück weit dahinzukommen? Bis wann? 2035? 2040? "Schnellstmöglich?", wie Bürgermeister Reichert vorschlug. Was liegt überhaupt im Einflussbereich der Stadt? Wie viel Personal braucht es?
Die Diskussion zerfaserte – von der Frage, welchen Anteil Eberbach und Deutschland im Vergleich zu den USA, China oder Indien haben und wie viel Geld Tübingen für Klimaschutz einsetzt bis hin zur Frage der Generationengerechtigkeit und der Ehrlichkeit politischer Aussagen. Es gab zwei Sitzungsunterbrechungen zur Beratung. Markus Scheurich (SPD) brachte den Vorschlag eines "kommunalen Klimaausschusses" ein.
Im Verlauf der Debatte wurde Christian Kaiser (AGL) für seine Verhältnisse ungewohnt deutlich: "Mich stört, dass so getan wird, als hätten wir die Möglichkeit zu verhandeln. Wir haben diese Zeit nicht." Fraktionskollegin Kerstin Thomson, von Beruf Energieberaterin, die lange geschwiegen hatte, holte irgendwann zur Standpauke aus: "Wenn die Welt ein Patient wäre, läge sie jetzt auf der Intensivstation. Entschuldigen Sie den Ausdruck, aber uns brennt der Arsch! Ich sag es schon gar nicht mehr, weil es so abgenudelt ist: Global denken, lokal handeln!" Es gebe genügend Fördergelder und die Unternehmen arbeiteten längst am Klimaschutz mit.
Am Ende einer zähen Debatte stand ein Formel-Kompromiss. Mit dem "Meilensteinplan", der bis Ende des Jahres fertig erstellt werden soll, soll es mit dem Klimaschutz in Eberbach dann wohl weitergehen.