Kaum ist die Impfkampagne gegen das Coronavirus angelaufen, wird auch schon gestritten: Sollen Geimpfte schneller in den "normalen" Alltag zurückkehren dürfen oder nicht? Gute Argumente gibt es für beide Standpunkte. Vor allem aber ist die Diskussion zum jetzigen Zeitpunkt noch ziemlich müßig.
In Deutschland wird geimpft. Den Ungeduldigen geht sie zwar zu schleppend voran, die Kampagne, die natürlich trotzdem allein aufgrund der Rasanz ihrer Verwirklichung als medizinische Sensation gewertet werden muss. Doch allzu lange wird es wohl nicht mehr dauern, bis ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung gegen das Coronavirus gepikst sein dürfte.
Also kann es in unseren debattenfreudigen Zeiten auch kaum verwundern, dass bereits jetzt leidenschaftlich über mögliche Sonderrechte gestritten wird: Sollen Geimpfte womöglich schneller in den "normalen" Alltag zurückkehren dürfen oder nicht? Und was würde das für die Nicht-Geimpften bedeuten? Und wie und wo gilt es abzuwägen, zu unterscheiden?
Es gibt den moralisch-ethischen Standpunkt: Wir befinden uns in einer Notsituation, und abgesehen davon, dass Menschen in unserer Gesellschaft entgegen eines gerne vorgebrachten Arguments sehr wohl immer wieder in Kategorien eingeteilt und demnach mit unterschiedlichen Rechten ausgestattet werden – zum Beispiel in Kinder und Erwachsene, Einheimische und Immigranten –, wäre deshalb auch die Unterscheidung zwischen Geimpften und Nichtgeimpften vertretbar.
PAID Stern 01 2021 Wettrennen mit dem Virus 10.48Demgegenüber stehen die Impfgegner, von denen es zu viele gibt, als dass die Politik es sich erlauben könnte, über ihre Köpfe hinweg zu entscheiden. Sie befürchten durch einen sogenannten Corona-Pass die Stigmatisierung der Ungeimpften. Arbeitgeber könnten die Einstellung der Bewerbern von deren Immunitätsstatus abhängig machen. Und die Lufthansa könnte sich vor Langstreckenflügen erstmal die Impfzertifikate ihrer Passagiere zeigen lassen.
Hätte, würde, könnte. Abgesehen davon, dass für eine Vorzugsbehandlung auf den ersten Blick vielleicht der gesunde Menschenverstand spricht, wäre die Durchsetzung einer kompletten Impfpflicht juristisch kaum realisierbar, widerspricht sie doch dem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit und körperliche Unversehrtheit.
Aber vor allem, und das ist der entscheidende Punkt, ist die Diskussion zum jetzigen Zeitpunkt noch ziemlich müßig, fast eine Scheindebatte. Denn noch ist zum Beispiel längst nicht ausreichend Impfstoff für alle da, sodass sich die Grundsatzfrage gar nicht stellen kann. Viel entscheidender sind aber die ungeklärten Fragen rund um den Stoff selbst: Es gibt noch keine gesicherten Erkenntnisse darüber, ob ein Geimpfter andere Menschen anstecken kann oder nicht – bisherige Studien haben sich ausschließlich mit der Schutzwirkung befasst.
impfungen-int-vgl 15.46Von eventuellen Langzeit-Nebenwirkungen, die noch gar nicht bekannt sein können, ganz abgesehen. Und dass es nicht nur Trotzköpfe und Dagegen-Rufer unter den Impfverweigerern gibt, sondern auch Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden wollen oder sollten, ist ohnehin gesondert zu bewerten.
Und solange die zahlreichen Abwägungen noch nicht vorgenommen wurden, kann die Antwort auf die Frage, ob Geimpfte wirklich Sonderrechte genießen sollten, nur lauten: ein klares Jein. Und zwar ein Jein jener Sorte, über das wir – wie über so vieles in Zeiten der Pandemie – voraussichtlich noch viele, viele Monate streiten dürften.