Von Wolfgang Nierlin
Heidelberg. Zwischen dem Beginn der 1960er Jahre bis zu seinem frühen Tod im Dezember 1986 konnte Andrej Tarkowskij neben seinem Diplomfilm "Die Straßenwalze und die Geige" (1961) lediglich sieben weitere abendfüllende Filme realisieren. Zwar begünstigte die sogenannte Tauwetter-Periode unter Chruschtschow zunächst die künstlerische Entwicklung des russischen Regisseurs, doch schon sein Debütfilm "Iwans Kindheit" (1962), der von einem 12-jährigen "Spion" der Rotarmisten während des 2. Weltkrieges erzählt, stand unter "Pazifismusverdacht".
Spätestens jedoch mit "Andrej Rubljow" (1964-66), seinem Meisterwerk über den gleichnamigen mittelalterlichen Ikonenmaler, dessen Veröffentlichung von der Kulturbürokratie wiederholt behindert und verzögert wurde, begann jene Leidensgeschichte, von der Tarkowskij in seinen als "Martyrolog" bezeichneten Tagebüchern berichtet. Immer wieder wurde ihm vorgeworfen "antirussisch", "ahistorisch" und "subjektivistisch" zu sein, was ihn 1983 schließlich ins Exil trieb. Seine beiden letzten Filme entstanden dann in Italien ("Nostalghia", 1982/83) und in Schweden ("Opfer", 1985/86).
Sein 1970 geborener zweiter Sohn Andrej A. Tarkowskij, der sich mit seiner Arbeit der Bewahrung des väterlichen Erbes verschrieben hat, nähert sich nun mit seinem sehr kunstvoll gestalteten Film "Andrey Tarkovsky. A Cinema Prayer" der filmischen Poetologie und spirituellen Weltsicht des russischen Filmkünstlers. In acht Kapiteln und einem Epilog, die jeweils einem Film gewidmet sind, verzahnt er auf sehr dichte, organische Weise Ausschnitte aus Filmen und von Dreharbeiten mit Fotos und Selbstzeugnissen Tarkowskijs. Diese sind teilweise als Audiodokumente erhalten und zu hören und decken sich inhaltlich mit seiner filmischen Ästhetik, die der Regisseur ausführlich in seinem Buch "Die versiegelte Zeit" dargestellt hat. Außerdem werden die einzelnen Kapitel jeweils mit Gedichten von Tarkowskijs Vater Arsenij eingeleitet, die schon in seinen Filmen eine wichtige Rolle spielen.
"Niemals wieder war ich so glücklich wie damals", heißt es etwa mit insistierender Melancholie im Eröffnungsgedicht "Helle, helle Tage…", das vom Glück der Kindheit in einem "himmlischen Garten" handelt. Ein Kind stelle die Verbindung zur transzendenten Welt her und drücke aus, was uns fehle, sagt Tarkowskij, dessen Eltern sich früh trennten und der trotzdem mit ihnen verbunden blieb. Dem Verlust von Religion und spiritueller Erfahrung stellt der visionäre Filmkünstler deshalb in allen seinen Werken die Kunst als "ein Gebet" und ein an Gott gerichteter Dank gegenüber.
"Ein wirklicher Poet ist ein Gläubiger", sagt Tarkowskij über die enge, für ihn (lebens)notwendige Verbindung von Kunst und Religion. Deren wechselseitige Abhängigkeit, vermittelt durch eine filmische Poesie, die in Tarkowskijs einmaliger Filmsprache vor allem auf dem Wesen und der Gestaltung von Zeit basiert, führe unabdingbar zur Frage nach dem Wesen der Existenz und verbinde den Menschen mit Gott. Eine Zivilisation, die keine Spiritualität besitze und nicht an die Unsterblichkeit der Seele glaube, so sein Resümee, könne nicht existieren.
Info: Heidelberg, Karlstorkino, OmenglU: 9., 18. und 30. August. Außerdem zeigt das Kommunale Kino ab dem 6. August eine komplette Retrospektive seiner Filme. Termine gibt es hier.