Von Volker Oesterreich
Heidelberg. Er hat den Vogel abgeschossen. Wieder einmal. Beim Podiumsgespräch zum Thema "Politisches Theater" im Deutsch-Amerikanischen Institut (DAI) griff die Regielegende Claus Peymann aber nicht zur Flinte wie anno 1966 im Heidelberger Theater, sondern ihm genügten zielsichere Theatergeschichten, um bei seinem Publikum Treffer zu landen.
Mehr als 50 Jahre lang hat der 1937 in Bremen geborene Künstler die deutschsprachige Theaterlandschaft in den größten Häusern durchgerüttelt. Nacheinander war er Intendant im Staatstheater Stuttgart, in Bochum, am Wiener Burgtheater und bis 2017 über viele Jahre auch am Berliner Ensemble. Fast immer stand er im Brennpunkt des Geschehens, nicht zuletzt auch als Mitbegründer der Berliner Schaubühne, an der ein Mitbestimmungsmodell etabliert worden war, was rasch zum Zwist zwischen den beiden Alpha-Regisseuren Peter Stein und Claus Peymann führte. Nach der Trennung feierte er andernorts Triumphe, sei es mit beiden Teilen der "Faust"-Dichtung in Stuttgart, mit den vielen Thomas-Bernhard- und Peter-Handke-Uraufführungen, aber auch mit spektakulären Kleist- oder Shakespeare-Produktionen, realisiert allesamt mit erstklassigen Ensembles.
"Die Dichtung und die Schauspieler, auf die kommt es mir an", betonte er in Heidelberg. Zu Beginn der DAI-Veranstaltung ließ er aber die 1960er Jahre Revue passieren, als er mit der Uraufführung von Peter Handkes "Publikumsbeschimpfung" den Nerv der Zeit traf. Damals war er auch in Heidelberg engagiert, "bei dem großartigen Intendanten Hans Peter Doll", wie er sich erinnert. Am Schluss einer Generalprobe sollte eine Friedenstaube in einem Scheinwerferkegel nach oben fliegen, aber das ging gründlich daneben: "Die Taube flog nicht zum versteckten Täuberich, sondern auf den Rang." Dort blieb sie auch, kein Requisiteur konnte sie einfangen. "Dann griff ich zum Luftgewehr." Peng - die am Abend geplante Mozart-Oper konnte ohne störendes Federvieh die Fantasie der Besucher beflügeln. Ein Vorfall, der unwillkürlich die Erinnerung an Georg Kreislers Song "Gehen wir Tauben vergiften im Park" wachruft.
Wie schon während seines RNZ-Interviews am vergangenen Freitag verteidigte Peymann auch im DAI seinen Dramatiker-Freund Peter Handke voller Emphase. Nach der Zuerkennung des Literatur-Nobelpreises war Handke wegen seines mehr als 20 Jahre zurückliegenden Engagements für Serbien angegriffen worden. Das seien Vorwürfe "von zwölftklassigen Journalisten und zwölftklassigen Dichtern", empörte sich der Theatermacher, diese Leute prügelten Handke in einen regelrechten Schauprozess hinein. Mit fast genauso scharfen Worten griff Peymann Theaterkritiker an, die am wenigsten von allen vom Theater verstünden und ihn in Berlin als "Märchenerzähler" denunziert hätten. Kein Pardon auch gegenüber der Kulturpolitik, die es zu verantworten habe, dass in den letzten 20 Jahren 50 Prozent der Theater-Arbeitsplätze gestrichen worden seien.
Peymanns "Büchmann"-belesener Stichwortgeber Manfred Osten fragte im DAI auch nach der Uraufführung von Thomas Bernhards "Heldenplatz", mit dem 1988 all die NS-Verstrickungen und Lebenslügen der Österreicher auf die Bühne des Wiener Burgtheaters gekommen waren. Nach der Premiere war die Jahrhundert-Inszenierung von bestellten Schreihälsen niedergebrüllt worden.
"Das Nazidenken war ungebrochen", das wurde durch das Thomas-Bernhard-Stück deutlich. Und es ist bis heute ungebrochen." Die FPÖ sei bis vor Kurzem an der Regierung gewesen, sagte Peymann mit Verweis auf den ehemaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache, "diesen korrupten, käuflichen Nazi". Nicht erst mit dem Ibiza-Skandal sei alles auf den Tisch gekommen. Schon 1988 habe Strache zu den Schreihälsen gehört, die gegen den "Heldenplatz" Stimmung gemacht hätten. "Das belegen Filmaufnahmen von damals", bestätigte er. Seit dieser Zeit ist der Theatermacher in Österreich so berühmt, dass er auf Schritt und Tritt angesprochen wird, wenn er durch Wien spaziert. Demnächst wird er das wieder tun, um Thomas Bernhards "Ein Fest für Boris" im Josefstädter Theater zu inszenieren.
Zuvor begnügt sich Peymann in Berlin-Köpenick aber mit seinen ganz persönlichen Köpenickiaden: Immer dann, wenn Wildschweine seinen Garten durchpflügen, brüllt er seinen Namen in die Nacht. Dann trollen sich die Keiler und die Bachen. Egal ob Tauben oder Schweinereien, dieser Mann ist den tierischsten Problemen gewachsen. Nicht nur im Theater.