Von Sören S. Sgries
Heidenheim. Cem Özdemir bleibt dabei. "Das ist meine letzte Rede, die ich hier als Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen halte", betont der 51-jährige Schwabe am Samstag beim Landesparteitag in seiner baden-württembergischen Heimat. Der Abschied nach neun Jahren an der Parteispitze ist lange angekündigt. Und vielleicht nicht verkehrt: Wer von "Arbeiterkindern und -kinderinnen" spricht, ohne aufzuschrecken, der hat möglicherweise schon mindestens eine Parteitagsrede vor den grünen "Freundinnen und Freunden" zu viel gehalten.
Aber Özdemir hatte ja nie an den Ruhestand gedacht. Nicht jetzt, mit 51, auf dem Höhepunkt der bundesweiten Popularität. Er rechnete mit einem Regierungsjob. Galt vielen als der gesetzte Außenminister einer Jamaika-Koalition. Dieser Traum platzte. Und nun?
Die Uhr zeigt 13.05 Uhr, als es still wird in der Halle. Bedeutungsvoll nimmt Özdemir die Brille ab. Dreht die Gläser in der Hand. Schaut ernst. Rund 200 Delegierte hängen ihm an den Lippen. Jetzt könnte er seine Ansprüche anmelden, hier in Heidenheim an der Brenz, auf der Ostalb. Verkünden, dass er den Fraktionsvorsitz im Bundestag beanspruchen wird. Oder dass er einen Wechsel nach Stuttgart, ins Landeskabinett unter seinem engen politischen Freund Winfried Kretschmann, plant. Doch Özdemir kneift.
"Das Feuer brennt immer noch", verkündete er zwar. Er wolle die Ärmel hochkrempeln. Anpacken. "Alles, wofür wir hier kämpfen und streiten, ist größer als wir selbst", schließt er mit Pathos. Wo er kämpfen will, verrät er allerdings nicht.
Die Delegierten zieht es dennoch von ihren Plätzen. Unter Jubel tritt der Noch-Grünen-Chef erneut auf die Bühne, mit Kretschmann an seiner Seite. Man möchte es als Rückhalt verstehen für einen, den seine Partei ungern die nächsten Jahre als Hinterbänkler versauern sehen möchte. Oder ist es ein Abschiedsapplaus?
Richtig ist: Özdemir hat lautstarke Fürsprecher im Südwesten. Schon vor dem Parteitag war die Debatte über die Zukunft des Schwaben gezielt befeuert worden. "Dass Du weiter eine führende Rolle spielst im Bund, das wollen wir", bekennt auch Kretschmann, schwärmt von einem "Spitzenpolitiker in Bestform", "jemandem mit echtem Format". Landes-Parteichefin Sandra Detzer ruft gar ein fast flehendes "Wir brauchen Dich, Cem" von der Bühne. "Cem sollte die Fraktion führen", geht sie später gegenüber der RNZ noch einen Schritt weiter. Schiebt jedoch sicherheitshalber hinterher: "Aber das entscheidet natürlich ganz allein die Bundestagsfraktion."
Und dort stehen seine Chancen weniger gut. Denn die Kehrseite der offenen Lobhudelei ist das gallenbittere Hintergrundgrummeln der Özdemir-Gegner vom linken Flügel. Der Parteichef sei keineswegs so unersetzbar, wird da geschimpft. Ob schon vergessen sei, dass die Grünen noch vor kurzem bei mickrigen sechs Prozent in Umfragen rumkrebsten? Unter Özdemir? Dem strategisches Geschick fehle? Die 13-köpfige Landesgruppe, da darf man sich sicher sein, würde bei einer Kampfabstimmung in der Fraktions keinesfalls geschlossen für Özdemir stimmen.
Mutigere Signale für ihre Karriereambitionen senden am Sonntag sowieso andere. Zunächst bewirbt sich die Potsdamerin Annalena Baerbock als Parteichefin. "Ich fände es fatal, wenn in einer solchen Situation nun auch noch von uns Grünen der Eindruck entstünde, es drehe sich alles um die Männer", begründet die 36-Jährige selbstbewusst ihren Schritt. Die Mutter zweier Töchter - zwei und sechs Jahre alt - sitzt seit 2013 im Bundestag.
Und dann zieht Robert Habeck nach, Umweltminister in Schleswig-Holstein. Endlich, sagt manch einer aus der Partei. Der 48-Jährige ließ sich außergewöhnlich lange bitten, gilt aber spätestens seit seinem bemerkenswerten Urwahl-Ergebnis (75 Stimmen fehlten zur Spitzenkandidatur), als zu Höherem berufen. Klugerweise sendete er frühzeitig Entspannungssignale ins linke Parteilager: "Es tut mir Leid, dass wir damals so hart mit euch umgegangen sind", entschuldigte er sich für die Kritik nach der Wahlschlappe 2013.
Entschieden ist aber nichts. Ins komplizierte Mann-Frau-Links-Realo-Gefüge der Grünen passt die Realo-Kombi ᠆Baerbock-Habeck nämlich nicht. Und selbst wenn die Partei das akzeptierte: Özdemirs Chancen in der Fraktion bessert das nicht. Zumal das bisherige Spitzenduo Katrin Göring-Eckardt (Reala) und Anton Hofreiter (Linker) dort nicht schlecht gelitten ist. Also doch nach Stuttgart?