Von Michael Abschlag
Mannheim/Heidelberg. Als die Polizisten das Haus betraten, eröffnete Wolfgang P. das Feuer. Der Fall des 49-Jährigen aus Georgensgmünd, der bei einer Waffenrazzia im Oktober 2016 einen Polizisten erschoss, sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Und lenkte die Aufmerksamkeit auf ein bis dahin kaum beachtetes Phänomen: die Reichsbürger.
Etwa 2200 von ihnen leben in Baden-Württemberg, so die Schätzung des Landesamtes für Verfassungsschutz - damit liegt das Land etwa im deutschen Durchschnitt. Einblick in die wenig bekannte Welt dieser Verschwörungstheoretiker bot am Dienstag eine Podiumsdiskussion in Mannheim.
"Die Reichsbürgerbewegung ist im Kern antisemitisch und rechtsextrem", sagt Jan Rathje. Der Politologe arbeitet für die Amadeu-Antonio-Stiftung und beschäftigt sich seit Längerem mit dem Thema. "Ihr Denken ist geprägt von Gebietsrevisionismus - der Wiederherstellung des Deutschen Reiches in früheren Grenzen - und Geschichtsrevisionismus, also der Umschreibung der Geschichte."
Reichsbürger lehnen die Bundesrepublik und ihre Organe ab. Ihrer Ansicht nach ist das Deutsche Reich nicht 1945 untergegangen, sondern besteht insgeheim fort. Die Bundesrepublik ist für sie nur eine "GmbH", verwaltet von den Politikern und kontrolliert von den Alliierten. Deshalb erkennen sie die Autorität staatlicher Behörden nicht an - und weigern sich etwa, Steuern zu zahlen.
"Im Grunde ist das eine anti-moderne Bewegung", erklärt Rathje. "Reichsbürger kommen nicht mit Widersprüchen zurecht, mit unterschiedlichen Ansichten, wie sie in einer pluralistischen Gesellschaft eben vorkommen." Ihr Bild von der Gesellschaft sei das einer homogenen Gruppe, die einen einheitlichen "Volkswillen" habe. "Sie suchen nach einem klaren Gut-Böse-Schema. Und wenn die Regierung nicht in ihrem Interesse handelt, dann liegt das für sie eben nicht an unterschiedlichen Auffassungen, sondern ist das Spiel böser Mächte."
Diese bösen Mächte sehen Reichsbürger im Ausland, bei den Siegermächten - und bei den Juden. "Da stößt man schnell auf den alten Mythos der ,jüdischen Weltverschwörung’", so Rathje. "Manchmal tarnen sie auch ihren Antisemitismus, indem sie Codes verwenden und statt ,die Juden’ etwa ,die Rothschilds’ sagen."
Doch wie wird jemand zum Reichsbürger? Die meisten sind männlich und älter - fast immer über 40, im Schnitt sogar über 50. Das unterscheidet sie von der übrigen rechtsradikalen Szene, deren Anhänger in der Regel deutlich jünger sind. "Oft geraten diese Männer vorher in persönliche oder finanzielle Krisen", erklärt Beate Bube, Präsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz. "Dann stoßen sie auf Verschwörungstheorien, radikalisieren sich und schotten sich ab."
Eine Untergruppe der Reichsbürger sind dabei die sogenannten Selbstverwalter. Sie rufen auf ihrem Grundstück eigene "Hoheitsgebiete" aus, drucken eigene Pässe und markieren ihr Territorium mit Fahnen oder Schildern. Mit Behörden - seien es Polizei, Stadtverwaltung oder das Finanzamt - arbeiten sie grundsätzlich nicht zusammen, und wo es zu Begegnungen kommt, werden sie immer wieder handgreiflich. "Auch besitzen sie eine Affinität zum Waffenbesitz", so Bube - eine gefährliche Kombination, wie der Fall in Georgensgmünd zeigte.
Obwohl sie persönlich zum Einzelgängertum neigen, sind viele Reichsbürger doch gut untereinander vernetzt. "Einige von ihnen sind auch in anderen rechtsextremen Gruppen", weiß Bube.
Deshalb schule der Verfassungsschutz Mitarbeiter von Ämtern und Behörden. "Zu den Strategien von Reichsbürgern gehört es, die staatliche Autorität zu unterlaufen, indem sie etwa Gerichtsverhandlungen stören", so Bube. "Da muss der Richter von Anfang an klar machen, dass das so nicht geht."
Wichtig ist aber auch die Prävention, betont Rathje: "Wenn jemand gefährdet erscheint, sollte man mit ihm reden - und sich zur Not an eine Beratungsstelle wenden", sagt er. "Wir dürfen da als Gesellschaft nicht wegsehen."