Von Jonas Labrenz
Aus dem Stadtbild und für viele Pendler sind sie nicht wegzudenken: Die Straßenbahnen der Rhein-Neckar-Verkehr GmbH (RNV), die in Heidelberg sechs Strecken bedienen. Selten werfen die Fahrgäste dabei einen Blick in den Führerstand. Dabei hat die RNV ein altes Konzept wiederbelebt und lässt nun auch Studenten die Bahnen steuern. Nicolai Kaschta ist einer von zwölf frisch gebackenen studentischen Straßenbahnfahrern. Die letzten absolvierten den siebenwöchigen Kurs vor etwa 20 Jahren. "Ich habe mit Entsetzen festgestellt, dass es das nicht mehr gibt", erinnert sich RNV-Personalchef Steffen Grimm an seinen Dienstantritt Anfang letzten Jahres. Er hat sich schnell für die Wiedereinführung eingesetzt - schließlich fuhr er als Student auch noch selbst.
Vor etwas mehr als einem Monat steuerte Kaschta das erste Mal allein die Bahn aus der Halle des Betriebshofs und startete seine Tour. Auf der Linie 26 ging es nach Kirchheim, erinnert sich der 27-Jährige. "Ich bin noch etwas unsicher gewesen", gibt der Student zu. Doch das legte sich bald. Große Probleme hatte er seitdem nie. Am liebsten sind ihm heute Nachtfahrten auf der ehemaligen OEG-Strecke, die jetzt Linie 5 heißt: "Man kommt aus der vollen Stadt und hat Platz", schmunzelt Kaschta.
Angefangen hatte die Liebe zu Eisenbahnen bereits im Kindesalter, "mit der Modelleisenbahn von Papa", erzählt der 27-Jährige. Einen genauen Zeitpunkt kann er nicht ausmachen, allerdings wollte er als Kind gerne Lokführer werden, erinnert er sich. "Die Straßenbahn ist da nah dran", lacht Kaschta. 2011 schrieb er sich dann allerdings in Karlsruhe für den Studiengang Informationswirtschaft ein. "Irgendwann mal in einem SWR-Bericht", so der 27-Jährige, habe er erfahren, dass man als Student auch Straßenbahn fahren könne. Für den gebürtigen Hockenheimer stand vorher jedoch ein Studienplatzwechsel an. Seit September 2013 belegt er in Heidelberg Angewandte Informatik - "mit mehr Erfolg", grinst er. Mittlerweile ist er im neunten Semester und wird der Uni wohl noch zwei Jahre die Treue halten.
Anfang dieses Jahres entdeckte er dann die Stellenausschreibung: "Ich habe gedacht, ich versuche mein Glück", erinnert sich Kaschta. Nach einem Einstellungstest, einem Besuch beim Betriebsarzt und einem Gespräch über die Einsatzbedingungen hielt er den unterschriebenen Arbeitsvertrag in Händen, mit der Einladung, "mich am 2. August am Betriebshof einzufinden, zwecks Ausbildungsbeginn", zitiert Kaschta amüsiert. Den Test hatte er mit Bravour gemeistert. Er gibt der Bescheidenheit halber allerdings zu, dass er durch seine lang anhaltende Begeisterung für den Schienenverkehr bereits einiges gewusst habe. Gelegentlich hatte er am Computer einen Zugsimulator gespielt.
Jetzt sollte es allerdings ernst werden. "Am zweiten Tag sind wir das erste Mal rausgefahren", erinnert sich Kaschta. Mit dem weißen "Kurbelwagen". In modernen Zügen ist die Kurbel, mit dem man die Fahr- und Verzögerungsstufen durchschaltet, selten anzutreffen, sie gehört aber noch heute zur Ausbildung. Wenn jemand stark gebremst habe, habe das für unfreiwilliges Kopfnicken gesorgt, lacht Kaschta. Anschließend wurde Theorie gepaukt und der Umgang mit der Technik geübt.
Die ersten zehn Dienste wurde der 27-Jährige noch von einem erfahrenen Kollegen begleitet. "Wir haben natürlich das Fahren gelernt, aber nicht das Leute mitnehmen", so Kaschta. Da hatte er schon die anfängliche Verwirrung durch die weißen Signalanlagen hinter sich, von denen wie am Römerkreis vier nebeneinander hängen: In der Fahrschule habe es noch geheißen, dort sei das entsprechende Signal, worauf Kaschta und seine Kollegen noch dachten "wir sehen viele, welches ist unseres?", erklärt der Student schmunzelnd.
"Die Arbeit prägt natürlich", meint Personalchef Grimm. Als der 46-Jährige Anfang der 1990er Jahre sein Studium in Mannheim absolvierte, fuhr er selbst auch als "studentischer Wagenführer: So war die Begrifflichkeit damals", lacht er. Die RNV gab es noch nicht und die Mannheimer Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft (MVV) war für den Straßenbahnverkehr zuständig. "Man lernt da eine absolute Selbstständigkeit", ist Grimm überzeugt. Und in seiner jetzigen Führungsrolle ist er froh, diese Erfahrung gemacht zu haben, um "Nöte und Sorgen" der Menschen im Kerngeschäft zu verstehen. Grimm hat Zwischenstationen bei Heidelberger Druckmaschinen und in der Schmuckindustrie gemacht, ist jedoch zum öffentlichen Nahverkehr zurückgekehrt. "Für mich hat sich da ein Kreis geschlossen", sagt er heute. Viele andere sind dem Unternehmen ebenfalls treu geblieben.
Für Kaschta ist das ebenfalls eine Perspektive: "Wenn bei der RNV die richtige Stelle frei ist, bin ich da offen", erklärt er optimistisch.