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Verdrängung | Längst gerufene Geister

Die Geschichten von Entmietung hinterlassen oft ein Gefühl der Machtlosigkeit. Das Peng! Kollektiv will den Entmieteten nun wenigstens kurzzeitig eine Stimme geben

Unweit des Bahnhofs Berlin Ostkreuz, zwischen S-Bahn-Gleisen, Spree, Brachflächen und Neubauten mit Blick aufs Wasser, erinnern nur noch wenige Häuser an ein Berlin, wie es früher einmal war. Die alten, angegrauten Häuser umgeben einen gepflasterten Hof, daneben steht eine alte Garage. Im Treppenhaus blättert der Putz von den Wänden, und geht man abends an den Häusern vorbei, sind nicht alle Fenster erleuchtet. Einige Wohnungen stehen leer, sagen die Anwohner – und bald sollen es noch einige mehr sein. Denn ein Großteil der Mietverträge seien auf ein bis zwei Jahre befristet, im September haben die Bewohner erfahren, dass die Verträge nicht verlängert werden sollen. Und so erzählen die Häuser nicht nur die Geschichte eines Berlins, wie es wohl einmal gewesen sein mag, sondern auch die Geschichte der aktuellen Entwicklung in der Stadt, was den Wohnraum angeht: hier der teure Neubau, direkt daneben die Entmietung älterer Wohnhäuser.

Mara und Frederik leben in einem der Häuser. Eigentlich heißen sie anders, wollen ihre Namen jedoch lieber nicht veröffentlicht lesen. Das hat ihnen ihr Anwalt geraten, der sie bei ihren Auseinandersetzungen mit dem Hausbesitzer unterstützt.

Inzwischen hätten sie erfahren, dass die befristeten Mietverträge mit unterschiedlichen Begründungen befristet sein. Mal solle die Wohnung komplett saniert werden, mal abgerissen. Auch jenseits der Befristung werde es den Bewohnern nicht leicht gemacht, erzählen Mara und Frederik: „Wir kriegen immense Betriebskostenabrechnungen, zum Beispiel horrende Wasserkosten oder Gebäudeversicherungen, die ansteigen.” Auch komme es vor, dass sie von der Hausverwaltung beleidigende Briefe erhielten. In einem ist von „erbärmlich” die Rede. In den Gesprächen mit ihren Nachbarn hätten Mara und Frederik erfahren, dass es in anderen Wohnungen mitunter erhebliche Mängel gebe, von Löchern in den Decken und rostigem Wasser aus dem Hahn sei die Rede.

Einige geben auf – andere wehren sich

Seit die Bewohner wissen, dass sie das Haus bald verlassen müssen, haben sie sich zusammengeschlossen und organisieren Widerstand. Sie gehen zu Rechtsberatungen, informieren sich und machen sich gegenseitig Mut. All das kostet enorm viel Zeit, sagt Mara. Unter normalen Umständen, würde er nicht so viel Zeit in derartige Themen investieren, meint auch Frederik. Doch trotzdem gewinnen sie der bedrückenden Erfahrung auch etwas Positives ab. Denn sie hätten durchaus das Gefühl, etwas zu erreichen. Zwar würden einige aufgeben, sich zurückziehen und schon nach einer neuen Wohnung suchen, aber viele wollten sich auch wehren.

Die Geschichte vom Ostkreuz, sie ist in Berlin kein Einzelfall. Und auch jenseits der Stadtgrenzen, in Frankfurt oder Leipzig, gibt es ähnliche Erlebnisse. Es sind Geschichten von Verdrängung und Entmietung, die nicht eben ungewöhnlich sind, und doch – oder vielleicht gerade darum – schnell übersehen werden. In Zeiten der steigenden Mieten sind Mieter mit älteren Mietverträgen eine Gewinneinbuße, verspricht jeder Mieterwechsel höhere Einnahmen. „Wo hohe Gewinne locken, wird Verdrängung zum Standard”, hat der Soziologe Andrej Holm es einmal treffend zusammengefasst. Den Maßnahmen sind dabei keine Grenzen gesetzt, mit Eigenbedarf kann ebenso gearbeitet werden, wie mit ausbleibenden Reparaturen oder Sanierungen, die die Miete steigen lassen – bis ins unbezahlbare.

Nur selten erfahren diese Geschichten die nötige Aufmerksamkeit, falls etwa große Gruppen versuchen, Zwangsräumungen zu verhindern. Doch wenn das Alltagsleben immer schwerer wird, bis man schließlich einfach auszieht, macht das keine große Welle. Entsprechend gibt es keine Statistiken, die das Maß an Entmietung und Verdrängung messbar machen würden. Nicht einmal für Zwangsräumungen gibt es das auf einem einheitlichen Niveau, heißt es auf Nachfrage beim Deutschen Mieterbund. Doch das, was nicht statistisch erfasst wird, ist zumeist auch weniger greifbar und verschwindet so aus dem Blick der Öffentlichkeit. So schließt sich der Kreis.

Dass einige dieser Geschichten nun doch gehört werden, dafür will das Peng! Kollektiv mit dem Projekt "Haunted Landlord" sorgen. Sie haben einen Bot programmiert, der im Laufe der Woche die Besitzer von sechs Häusern in Berlin, Leipzig und Frankfurt anruft und die von Schauspielern eingelesenen Anklagen der Verdrängten vorliest. Auch die Häuser in der Nähe des Berliner Ostkreuzes sind darunter. Gerne hätten wir den Vermieter zu den Vorwürfen und der Aktion des Peng! Kollektivs befragt. Doch auf Nachfrage wollte man sich dort nicht äußern. Der Bot jedoch ruft trotzdem an. Die Zahl der Anrufe liegt knapp zwei Tage nach Beginn der Aktion bereits bei 92.

„Die Mittel, zu denen Immobilienbesitzer*innen greifen, um ihre Häuser zu entmieten und aufzuwerten, sind mitunter unmenschlich und hinterlassen tiefe Spuren in den Leben der Betroffenen. Doch weil es sich in der aktuellen rechtlichen Lage finanziell enorm lohnt, finden Entmietungen mit skrupellosen Methoden sowie Zwangsräumungen überall und immer wieder statt”, heißt es auf der Seite der Aktion.

„Wir versuchen auf drei Ebenen zu handeln”, sagt Nora Moll vom Peng! Kollektiv zu den Zielen der Aktion. „Einerseits wollen wir eine Sichtbarkeit erzeugen. Denn oft verschwinden die Betroffenen schnell von der Bildfläche. Wir wollen die Leute direkt ansprechen und ihnen sagen: Ihr seid nicht allein, und ihr könnt euch vernetzen. Andererseits wollen wir eine öffentliche Debatte über Stadtpolitik anstoßen, und nicht zuletzt wollen wir auch die Akteure, die unsichtbar sind, also die Entmieter, präsent machen. Sie sind es ja auch, die ganz konkret angerufen werden.”

Die Vorwürfe gegen die Immobilienbesitzer und Vermieter haben es in sich. In einem Haus in Frankfurt am Main etwa sollen den Mietern unter anderem das warme Wasser abgestellt und die Toiletten und Armaturen ausgebaut worden sein. „Ich hab Angst. Vor euch. Viele Leute sind weggegangen wegen der Angst. Aber ich hab noch nichts gefunden”, so ein Teil der Botschaft, die der Bot dem Hausbesitzer dort überbringt. Dem Besitzer eines Hauses in Leipzig werden auf der Seite der Aktion Drohungen, Anrufe zu Unzeit, unangemeldete Besuche und eine später wieder zurückgezogene Räumungsklage vorgeworfen. Bei anderen Häusern in Berlin ist auf der Seite der aktivistischen Künstler unter anderem von Security vor dem Haus, versuchter Videoüberwachung im Hausflur oder Ratten im Wohnzimmer die Rede.

"Hinter den Einzelschicksalen steckt eine strukturelle Dynamik"

Bemerkenswert sei gewesen, so Nora Moll, wie sehr sich die Geschichten teilweise ähnelten. „Das zeigt uns: Hinter den Einzelschicksalen steckt eine strukturelle Dynamik.” Doch rechtfertigt das Ziel den „Telefonterror?” Ja, meint Nora Moll: „Im Vergleich zu den Maßnahmen der Eigentümer sind ein paar Anrufe, die sie nur daran erinnern, dass das nicht okay war, relativ harmlos.”

Mara und Frederik empfinden die Anrufe ein Stück weit als Genugtuung – auch wenn sie nicht denken, dass die Aktion wirklich etwas ändern wird: „Das Ungerechte heutzutage in dieser Welt ist, dass die Verantwortlichen nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Und auch wenn der Vermieter sich den Anruf wahrscheinlich nicht anhören wird, ist es ein gutes Gefühl, dass er mit dem, was ich ihm schon immer mal sagen wollte, konfrontiert wird und er sich aktiv entscheiden muss, wieder aufzulegen.”

Dass das bei den Vermietern am Ende wirklich etwas verändern wird, ist in der Tat mehr als fraglich. Doch zumindest die Aufmerksamkeit sei mit Sicherheit hilfreich, meint auch Ulrich Ropertz, Pressesprecher des deutschen Mieterbundes. „Alle Aktionen gegen Entmietung finde ich erst einmal gut. Ich glaube, dass man mit abstrakten Zahlen nicht weit kommt. Persönliche Geschichten geben da ein anderes Gewicht.” Zumal Entmietung und Verdrängung ganze Stadtviertel verändern. Denn nicht nur die Mieten werden teurer, auch die Geschäfte, das Umfeld. Am Ende sind ganze Viertel herumgedreht. Um das zu verhindern, braucht es politische Maßnahmen, ist sich Ulrich Ropertz sicher. „Bestimmte Entwicklungen können nicht zurückgedreht werden – aber gebremst und gestoppt. Wir brauchen mehr Wohnungen, Verdichtung und Aufstockung. Die Mietpreisbremse muss wirklich wirksam gemacht werden. Und wir müssen den Begriff der ortsüblichen Vergleichsmiete so verändern, sodass er kein exponentielles Steigen der Mieten mehr ermöglicht.”

Überhaupt könnten politische Maßnahmen Problemen wie dem der Entmietung entgegenwirken. So waren Linkspartei und Grüne mit der Forderung nach einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit in den Wahlkampf gegangen, an deren Ende mehr Sozialwohnraum in öffentlicher Hand stehen sollte. Dass mehr dauerhaft bezahlbarer Wohnungsbau entsteht, ist nach der Wahl jedoch eher unwahrscheinlich – selbst nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen. Dabei wäre das etwas, was sich viele Mieter wünschen würden. So meint auch Mara vom Haus am Ostkreuz: „Ich finde, dass Wohnraum nicht immer weiter privatisiert werden darf. Das geht einfach nicht.” Oder wie es das Peng! Kollektiv fordert: "Die Häuser denen, die sie brauchen!"

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.

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