Der Streit zwischen den Kneipengängern ereignete sich am frühen Samstagmorgen im Kölner Vorort Hürth. Auch die Kneipenbesucher standen unter dem Eindruck der blutigen Amokfahrt auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg, die am vorangegangenen Abend das ganze Land erschütterte. Es war zum damaligen Zeitpunkt schon bekannt, dass der mutmaßliche Täter arabischer Herkunft war und in Deutschland politisches Asyl beantragt hatte. Auch wenn er kaum ins gewohnte Bild eines terroristischen Gewalttäters hineinpasste, war seine Herkunft offenbar auch das Thema im Kneipengespräch. Nur: Am Tresen saßen Vertreter zweier sehr unterschiedlicher Parteien. Und das hatte Konsequenzen.
Auf einem Überwachungsvideo, das von der AfD-Fraktion in NRW am Montag veröffentlicht wurde und bundesweit für Aufsehen sorgte, ist zu sehen, wie der Fraktionschef der SPD im Hürther Stadtrat Lukas Gottschalk und sein Begleiter auf den AfD-Politiker Norbert Raatz und dessen Begleiter einprügelten. Wie der Kölner Stadt-Anzeiger berichtete, war laut Gottschalk aber nur ein kleiner Teil der ganzen Szenerie zu sehen. Ihm zufolge waren er, seine Verlobte und ein Parteifreund nach einer Weihnachtsfeier am frühen Samstagmorgen gegen 3.50 Uhr in der Kneipe Adlerhof in Alt-Hürth gelandet. Zufällig war auch Raatz da, den Gottschalk aus dem Stadtrat kennt. Gottschalk sagt:
"Die Gäste an der Theke, unter ihnen das AfD-Ratsmitglied Norbert Raatz, nahmen den Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt zum Anlass, um lautstark rassistische und menschenverachtende Reden zu schwingen."
Gottschalk weiter: "Nachdem dann meine Verlobte vom Wirt auch noch sexistisch beleidigt wurde, kam es auch zu Handgreiflichkeiten. Da uns ein Verlassen der Gaststätte aufgrund der mit einem Rollladen verschlossenen Tür nicht möglich war, schaukelte sich die Situation hoch."
Die AfD veröffentlichte in den sozialen Medien ein Überwachungsvideo, das nur die folgenden zwei Minuten zeigt. In der Sequenz – laut Zeitstempel von 5.35 Uhr morgens – ist zunächst ein lauter Streit zu hören. Raatz steht am Tresen, der SPD-Politiker langt zunächst Richtung Wirt. Andere Gäste versuchen, Gottschalk zu bremsen. Sein Begleiter ruft dem Wirt zu: "Was für Schmarotzer?" Dem Vernehmen nach soll es vorher um "Sozialschmarotzer" gegangen sein.
Sekunden später schubst Gottschalk AfD-Mann Raatz von hinten, sein Begleiter wirft einen anderen Gast um. Gottschalk versetzt Raatz einen Kung-Fu-Tritt in den Bauch. Schließlich prügeln Gottschalk und sein Begleiter auf Raatz und den anderen Gast ein. Wenig später endet das Video.
AfD-Politiker Raatz sagte dem Kölner Stadt-Anzeiger, dass die Polizei zehn Minuten später eingetroffen sei. Da sei der SPD-Mann schon weg gewesen. Raatz habe aber inzwischen den Beamten seinen Namen gesagt. Er war nach eigenen Angaben später beim Arzt, der ihm Prellungen und ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma attestiert habe.
Für Raatz war das keine normale Kneipenschlägerei, sondern "eindeutig eine politisch motivierte Tat". Es sei gegen ihn gegangen. Zuvor habe Gottschalk auch "Nazischwein" gerufen. NRW-AfD-Chef Martin Vincentz wurde am Montag in einer Pressemitteilung zitiert, die Tat sei "eine Zäsur in der nordrhein-westfälischen Kommunalpolitik". Er fordere "alle Parteien auf, sich entschieden von Gewalt im Wahlkampf zu distanzieren und ihre Solidarität mit dem Opfer zu erklären".
Das tat die SPD in NRW zwar nicht, ein Parteisprecher erklärte aber, dass man jede Form der Gewalt verurteile. Der Vorfall sei der Landeszentrale der SPD bekannt. "Es handelt sich dabei allerdings um eine rein private Auseinandersetzung, die nicht mit dem Wahlkampf oder dem politischen Engagement der Beteiligten zu tun hat", teilte die SPD in Hürth in einer Stellungnahme mit. Gottschalk und seine Begleitung seien von Gästen zunächst angepöbelt worden, woraus eine verbale Auseinandersetzung entstand, so die SPD.
Der AfD-Stadtverband Hürth machte hingegen deutlich:
"Von unserem Parteifreund Norbert Raatz ging zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für irgendwen aus; er griff niemanden an. Im Gegenteil: Er blieb äußerst professionell und ruhig. Der Aggressor ist, wie auch in der Öffentlichkeit immer wieder zu sehen, unser politischer Gegner, in diesem Fall ein 31-jähriger SPD-Funktionär."
Das heimlich aufgenommene und rechtswidrig verbreitete Video zeigte nur einen kleinen Ausschnitt des Vorfalls, betonte Gottschalk am Montag. Die vorausgegangenen rassistischen Parolen seien auf dem Video natürlich nicht zu hören. "Rückblickend bedauere ich zutiefst, dass ich in dieser Situation nicht die Besonnenheit bewahren konnte, die notwendig gewesen wäre, um auf diese üblen Provokationen angemessen zu reagieren", so Gottschalk weiter. Seine Begleiter und er hätten Anzeige wegen Volksverhetzung, Beleidigung, Körperverletzung sowie der Verbreitung der Videoaufnahmen erstattet. "Mein politisches Engagement werde ich bis zur Klärung des Vorfalls vorübergehend ruhen lassen", teilte der SPD-Stadtrat abschließend mit.
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