Vincent Kompany ist seit einem halben Jahr Bayern-Trainer. Dabei wurde er von der Notlösung zum Glücksgriff. Eine Sache muss er jetzt aber beweisen. Nach dem 5:1 gegen Leipzig im letzten Pflichtspiel des Jahres drehten die Profis des FC Bayern noch eine abschließende Ehrenrunde in der Allianz Arena. In den 90 Minuten zuvor hatten sie sich mit einem deutlichen Sieg als Tabellenführer in die Winterpause verabschiedet. Das erste halbe Jahr unter dem neuen Cheftrainer Vincent Kompany , der im Sommer auf Thomas Tuchel gefolgt war, ist damit Geschichte. Höchste Zeit also, um darauf zurückzublicken und eine erste Zwischenbilanz zu ziehen. Kompany wird von der Notlösung zum Glücksgriff Nach der Absage mehrerer Wunschkandidaten wie Xabi Alonso , Julian Nagelsmann und Ralf Rangnick galt der vergleichsweise unerfahrene 38 Jahre alte Belgier im Sommer noch als vermeintliche Notlösung auf dem Trainerposten. Von der ist er mittlerweile aber zu einem "Glücksgriff" für die Bayern geworden. Als solchen hatte ihn der ehemalige Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge zuletzt im "Kicker" bezeichnet. Wie Kompany diese erstaunliche Wandlung geschafft hat? Bisweilen war von ihm als D-, E-, F-, G- oder gar H-Lösung geschrieben worden. Er selbst sah sich aber immer nur als eins: Die K-Lösung – Kompany eben. Mit dem FC Burnley war er zwar in die englische Premier League auf-, aber eben auch direkt wieder abgestiegen. Gab es da denn gar keine Zweifel, dass der FC Bayern da als nächste Station nicht eine Nummer zu groß für ihn sein könnte? Bei dieser Frage wurde Kompany emotional Genau mit dieser Frage wurde Kompany nach seinem gelungenen Start in München und dem fulminanten 9:2-Erfolg gegen Zagreb Mitte September konfrontiert. Er antwortete überraschend und äußerst emotional. "Ich bin in der Region Brüssel geboren. Mein Vater war ein Flüchtling, der aus dem Kongo nach Belgien kam", sagte Kompany. "Wie groß war meine Chance, dass ich jemals als Spieler einen Fuß in die Premier League setzen würde, dass ich dort etwas gewinnen und für die Nationalmannschaft spielen würde? Die Chance, dass all das passiert, lag für mich bei 0,001 Prozent. Und nun bin ich der Trainer." Beim FC Bayern. Die Frage sei, so Kompany, "ob du aufhörst, an dich zu glauben, wegen dem, was andere Leute sagen. Ob du aufhörst, daran zu glauben, weil andere Leute sagen, dass die Chance sehr gering ist. Es geht um die Mentalität, weiterzumachen. Wir sollten andere Leute dazu ermutigen, Erfolg zu haben und Grenzen zu verschieben." Genau das lebte er schon als Spieler seinen Teamkollegen vor. Und macht es jetzt genauso als Trainer. Kompany startet mit Peps Segen bei Bayern durch Einer, der von Anfang an daran glaubte, dass Kompany das kann, ist Pep Guardiola. Der katalanische Starcoach machte Kompany bei Manchester City einst zu seinem Kapitän. Und er sieht in Kompany nun auch einen Trainer ohne Grenzen. Deshalb empfahl Guardiola, der die Münchner von 2013 bis 2016 trainiert hatte, ihn auch wärmstens den Bayern-Bossen, als die sich seinen Rat zu dem Trainer-Novizen holten. Mit Peps Segen überzeugt Kompany in München bislang auch deshalb, weil er die fußballerischen Leitlinien seines Mentors Guardiola verfolgt. Unter ihm spielen die Bayern nun wieder auf Ballbesitz ausgelegten, dominanten und offensiven Fußball. Bei den Stars kommt Kompany nicht nur mit seinem klaren taktischen Plan, sondern auch mit seiner warmen, positiven, aber gleichzeitig auch bestimmten Art an. Immer wieder ist zu vernehmen, dass der Ex-Profi die Sprache der Spieler spricht und ihnen gegenüber genau den richtigen Ton trifft. Damit schaffte es Kompany, auch Härtefälle, wie den des von ihm zwischenzeitlich aussortierten Leon Goretzka , zu moderieren. Dreesen über Kompany: "Er hat den Spaß zurückgebracht" Die Verantwortlichen der Bayern hat er damit längst von sich überzeugt. Der Vorstandsvorsitzende Jan-Christian Dreesen bestätigte das zuletzt bei seiner Rede auf der Mitgliederversammlung. "Vincent Kompany ist genau der 'Glücksgriff', als den ihn jüngst Karl-Heinz (Rummenigge; Anm. d. Red.) bezeichnete. Vincent hat uns gezeigt, wie wichtig Leidenschaft und Akribie sind. Vom ersten Tag an hat er Identität und Mentalität verkörpert und seine klare Vision auf das Team übertragen", sagte Dreesen. "Vincent hat den Spaß zurückgebracht beim FC Bayern – auf dem Platz, in der Kabine, bei den Fans und auch bei uns auf der Tribüne." Im Umkehrschluss gab Dreesen damit indirekt Ex-Trainer Tuchel noch mal eine kleine verbale Watschn mit. Mit Kompany gehen die Bayern jetzt zwar als Tabellenführer in die Winterpause. Was den Bossen allerdings nicht gefallen dürfte: Tuchel hatte zum gleichen Zeitpunkt nach 15 Ligaspielen im vergangenen Jahr mit 38 Punkten zwei Zähler mehr auf dem Konto. Flick erteilt Kompany eine Lehrstunde Ganz so rosarot, wie es Dreesens Worte vermuten lassen, ist die Bayern-Welt also auch unter Kompany nicht. Auch er musste bereits empfindliche Rückschläge verkraften. Neben der ersten Niederlage in der laufenden Bundesliga-Saison zuletzt in Mainz (1:2) gehörten dazu unter anderem auch die Niederlagen bei Aston Villa (0:1) und dem FC Barcelona (1:4) in der Champions League . Ausgerechnet Ex-Trainer Hansi Flick erteilte Kompany mit Barça eine Lehrstunde und nutzte die Schwächen in Bayerns bedingungslosem Offensivsystem gnadenlos aus (mehr dazu lesen Sie hier: Verflickst!) . "Das, was ich mit Bayern erfahren habe, waren Siege, Niederlagen – gute Leistungen, schlechte Leistungen – daraus lernt man", sagte Kompany auf t-online-Nachfrage zu seiner persönlichen Zwischenbilanz. "Bei jedem Schritt, den wir bislang gemacht haben, habe ich mich zu Hause gefühlt. Da geht es auch darum, wie man durch schlechte Phasen geht", so Kompany weiter. Er sprach konkret die empfindliche Niederlage in Barcelona an. "In dem Moment nach dem Spiel war es außen kritisch, was auch richtig ist", sagte er, "aber intern war es ruhig." Bestärkt durch das Vertrauen der Bosse in ihn zog Kompany damals offenbar die richtigen Schlüsse und startete anschließend mit seinem Team eine sieben Spiele anhaltende Siegesserie, bei der die Münchner keinen einzigen Gegentreffer kassierten. Bayerns Pokalfluch setzt sich unter Kompany fort Umso härter traf die Bayern dann aber der unmittelbar darauffolgende Pokal-K.-o. im Achtelfinale gegen Leverkusen (0:1). Damit setzte sich der Pokal-Fluch der Bayern auch im fünften Jahr in Folge fort. Der erste Titel dieser Saison ist damit schon wieder verspielt. Auch Präsident Herbert Hainer konnte da bei der Jahreshauptversammlung nur ernüchtert feststellen: "Das Pokal-Aus wird leider zur Routine." Zu beweisen gilt es für Kompany in der Rückrunde nun vor allem, dass sein Fußball auch gegen Gegner der oberen Kategorie erfolgreich sein kann. Unter anderem die Bundesligatopspiele bei Borussia Dortmund (1:1), Frankfurt (3:3) und gegen Leverkusen (1:1) konnte Bayern nämlich nicht gewinnen. Trotzdem liegt der Rekordmeister in der Bundesliga weiter auf Titelkurs. In der Champions League hat man es nach einem Fehlstart mit zwei Niederlagen in den beiden noch ausstehenden Spielen nun wieder in der eigenen Hand, sich einen der ersten acht Tabellenplätze und damit die direkte Qualifikation fürs Achtelfinale zu sichern. Hainer: "Wenn der Ehrenpräsident etwas zusagt ..." Die traditionell ohnehin schon großen Ambitionen der Bayern sind in der europäischen Königsklasse in diesem Jahr noch mal etwas größer. "2025 lautet das Motto: Volle Konzentration auf große Ziele!", sagte Hainer. "Wir alle wissen, dass am Ende der Saison das Finale der Champions League in München ansteht." Es müsse "unser Anspruch sein", stimmte Dreesen mit ein, "dass wir im Finale in unserem Stadion dabei sind". Mehr noch: "Und dieses Mal nennen wir es nicht Finale dahoam, sondern Titel dahoam!", kündigte Dreesen vollmundig an und fügte noch hinzu: "Mir ist klar, dass ich gewaltig auf die Nase bekomme, wenn es nicht klappt." Vor dem großen Finale, stellte Hainer fest, "müssen wir noch unsere Hausaufgaben machen". Mit einem Augenzwinkern richtete sich der Präsident direkt an Kompany. "Uli Hoeneß hat die Meisterschaft bereits zugesagt", sagte er. "Lieber Vincent, no pressure (auf Deutsch: kein Druck; Anm. d. Red.) – aber wenn der Ehrenpräsident etwas zusagt… dann sollten wir das auch einhalten." Gemessen wird ein Cheftrainer beim FC Bayern am Ende schließlich vor allem an einem: an Titeln. Das ist bei Kompany nun nicht anders.