Von Anastasia Kulikowa und Jewgeni Posdnjakow
Wie das Wall Street Journal berichtet, plant Russland die Verlegung seiner Flugabwehrraketensysteme S-300 und S-400 von Syrien nach Libyen. Der Zeitung zufolge sei dieser Prozess bereits im Gange. So sollen Radargeräte für die genannten Systeme in dem Land eingetroffen sein. Das beteiligte Transportschiff des russischen Katastrophenschutzministeriums habe auf dem Weg nach Mali zweimal in einer Woche in der Republik einen Zwischenstopp eingelegt.
Reuters meldete zudem die Ankunft von zwei An-124-Flugzeugen in dem Land. Mehreren Berichten zufolge transportiere Moskau Ausrüstung in die östlichen Regionen Libyens. Diese Informationen wurden von Russland jedoch nicht bestätigt.
Experten zufolge wäre ein solcher Schritt nach dem Sturz des Regimes von Baschar al-Assad in Syrien und vor dem Hintergrund des der Bestrebungen der EU nach einer Auflösung der russischen Stützpunkte in Hmeimim und Tartus jedoch logisch, auch in Anbetracht der logistischen Besonderheiten der russischen Interaktion mit Afrika. Der Militärexperte Juri Ljamin ist der Ansicht, dass die Bedeutung Libyens in diesem Zusammenhang kaum überschätzt werden kann.
"Unsere nach Mali, Burkina Faso und in andere afrikanische Länder fliegenden Flugzeuge landen dort, um aufgetankt zu werden. Libyen ist für Russland vor allem in logistischer Hinsicht wichtig", betont der Analytiker. Er weist darauf hin, dass die Flugabwehrraketensysteme S-300 und S-400 unsere Flugzeuge bei Bedarf beschützen könnten. Außerdem weist der Experte darauf hin, dass Russland bereits den Hafen im Osten Libyens sowie einen Luftwaffenstützpunkt im zentralen Teil des Landes für seine Belange nutzt.
Seiner Meinung nach könnten russische Waffen aus Syrien dorthin gebracht werden. "Die Bedingungen für ihre Stationierung sind eine diplomatische Angelegenheit. Die libysche Seite hat zwar eine Menge 'Flausen im Kopf', aber ich denke, dass es möglich sein wird, bei den Verhandlungen eine Einigung zu erzielen", so der Gesprächspartner.
Die Region wird derzeit von Marschall Chalifa Haftar kontrolliert, der die Idee der Zusammenarbeit zwischen der Republik und Moskau positiv betrachtet. Im vergangenen Jahr wurde die Möglichkeit erörtert, langfristige Liegeplatzrechte für russische Schiffe in den Häfen von Bengasi oder Tobruk zu erhalten. In Tobruk erwog Russland auch die Möglichkeit, seine Einrichtungen für die Stationierung von Kriegsschiffen zu modernisieren. Libyen befindet sich seit 2014 in einer politischen Krise und hat derzeit zwei unabhängige Regierungen.
Bloomberg zufolge kritisierte jedoch der Chef der sogenannten Regierung der Nationalen Übereinkunft Libyens, Abdul Hamid Dbeiba, die in den Medien geäußerte Idee, russische Truppen aus Syrien nach Libyen zu verlegen. "Niemand wird eine ausländische Kraft akzeptieren, die dem Land und seiner Bevölkerung ihre Hegemonie und Macht aufzwingen will", betonte er.
Nach Ansicht von Experten dürfte es trotz der Krise in Libyen keine Probleme geben, sollte Russland beschließen, einen Teil seiner Waffen von Syrien nach Libyen zu verlegen. "Seit dem Sturz von Muammar Gaddafi herrscht in der Republik ein Bürgerkrieg. Mehrere Machtzentren erheben einen Führungsanspruch für das Land. Mit einem von ihnen, nämlich Marschall Haftar, unterhält Russland gute Beziehungen", erklärt Fjodor Lukjanow, Chefredakteur der Zeitschrift Russia in Global Affairs und Forschungsdirektor am Internationalen Diskussionsklub Waldai.
Nach Ansicht des Politologen wäre es jedoch riskant, auf Libyen als vollwertigen Ersatz für Syrien zu setzen. "Es gibt in dem Land keine klare legitime Autorität, die die Situation mehr oder weniger kontrolliert, wie es Baschar al-Assad in Damaskus bis vor Kurzem getan hat", präzisiert er. Seiner Meinung nach sei es möglich,
"dass die russischen Streitkräfte einige Manöver 'unter Beteiligung der befreundeten libyschen Streitkräfte' durchführen werden. In der gegenwärtigen Situation kann man jedoch nicht von einer stabilen Stationierung sprechen."
Angesichts der Syrienkrise sei es für Moskau jedoch wichtig, seinen Einfluss im Nahen Osten aufrechtzuerhalten, da dies eine Schlüsselregion sei, von der aus der Mittelmeerraum und der gesamte afrikanische Kontinent kontrolliert werden könne, fügt Simon Tsipis, ein israelischer Experte für internationale Beziehungen und nationale Sicherheit, hinzu.
"Wenn Russland wirklich Luftverteidigungskräfte von syrischen Stützpunkten nach Libyen verlegt, kann dies meiner Meinung nach als ein kluger und logischer Schritt bezeichnet werden", sagte er. Gleichwohl, so stellt der Gesprächspartner klar, bedeute die Information über diese Verlegung nicht, dass es Moskau nicht gelungen sei, mit den neuen syrischen Behörden eine Einigung über die Stützpunkte zu erzielen. "Die Regierung in Damaskus ist noch nicht gebildet, und die die Republik kontrollierenden Kräfte sind uneinheitlich. Unter diesen Bedingungen ist es schwierig, einen konstruktiven Dialog zu führen", erklärt er.
Darüber hinaus wies Tsipis auch auf die Ambitionen Ankaras hin. "Die Türkei erobert nach und nach syrisches Territorium. Das ist eine neue Herausforderung für die lokalen Gruppierungen", sagt der Experte. Seinen Einschätzungen zufolge wird es Monate dauern, um "dieses Gewirr von Widersprüchen" in der Republik zu entwirren. Vor diesem Hintergrund, so der Gesprächspartner, verlegt Russland, "ohne Zeit zu verlieren, einen Teil seiner Streitkräfte und Waffen auf den libyschen Schauplatz".
Er glaubt, dass Haftar – Moskaus Verbündeter – froh sein wird, wenn er unter anderem russische Luftabwehrtechnik in den von ihm kontrollierten lokalen Stützpunkten erhält.
Der Interviewpartner schließt nicht aus, dass sich die syrischen Ereignisse von 2014, als Russland tatsächlich das Regime von Baschar al-Assad rettete, wiederholen könnten. Schlimmer wäre es nach Ansicht des Analytikers, wenn die Medien über die Rückkehr der russischen Truppen berichten würden. "In diesem Fall wären die Folgen für den Nahen Osten extrem destruktiv. Es wäre ein Sieg für den globalen Westen, Israel, die Rebellen und die Islamisten. Aber die Verlegung nach Libyen würde zeigen, dass das Kräftegleichgewicht in der Region nicht ins Wanken geraten ist. Und die Versuche der westlichen Länder, den Einfluss Moskaus zu verringern, würden hier auf Widerstand stoßen", betont Tsipis.
Das Kräfteverhältnis in Libyen selbst verdient eine gesonderte Betrachtung, meint Ljamin. "So kontrolliert die Regierung von Dbeiba den Nordwesten der Republik – das Gebiet, das früher Tripolitanien hieß. Türkische Berater befinden sich weiterhin in den Schlüsselstädten Tripolis und Misrata. Der Einfluss Ankaras auf dieses Zentrum ist also extrem groß", so der Gesprächspartner.
Die andere Regierung stehe unter der Führung von Chalifa Haftar. "Seine Armee kontrolliert den Nordosten Libyens – die historischen Regionen Kyrenaika und Fessan, während das Parlament in Tobruk sitzt", erläutert Ljamin. Haftar werde von Russland, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt. Darüber hinaus unterhalte der Marschall enge Beziehungen zur Regierung von Baschar al-Assad. Die Kritik Dbeibas an möglichen Manövern russischer Streitkräfte in der Region sei irrelevant, so der Analytiker.
"Tatsächlich wird die Waffenverlegung – sollte sie stattfinden – in dem von Haftars Armee kontrollierten Gebiet erfolgen. Die Regierung der Dbeiba kann dies nicht beeinflussen, und die Türkei als ihre Schutzmacht ist derzeit mit Syrien und den Kurden beschäftigt."
"Vor diesem Hintergrund sollten wir meiner Meinung nach keine riskanten Schritte seitens Dbeibas erwarten", argumentiert er. Der Gesprächspartner betont: In der aktuellen Situation sei die Unterstützung durch Moskau für Haftar äußerst wichtig. "Eine Verstärkung unserer Präsenz könnte für Libyen von Vorteil sein, schon allein wegen des von Russland gewährten Luftschutzschirms."
Sollte es den russischen Diplomaten nicht gelingen, mit den neuen syrischen Behörden eine Einigung über die Stützpunkte zu erzielen, werde Libyen zu einem kritischen Punkt. "Darüber hinaus wird unsere Präsenz im gesamten Nahen Osten eine etwas andere Bedeutung erlangen", so Ljamin abschließend.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 22. Dezember 2024 zuerst in der Zeitung Wsgljad erschienen.
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