Wie Recherchen des französischen Onlinemagazins Mediapart ergaben, wird das vermeintlich unabhängige Netzwerk für investigativen Journalismus OCCRP (Organized Crime and Corruption Reporting Project) maßgeblich von der US-Regierung finanziert. Die Untersuchungen des Magazins ergaben auch, dass die USA ein Vetorecht über die Leitung und die redaktionelle Ausrichtung von OCCRP ausüben. An den Enthüllungen waren neben Mediapart auch Il Fatto Quotidiano aus Italien, Reporters United aus Griechenland sowie das US-amerikanische Medium Drop Site News beteiligt.
Die neuen Enthüllungen sind auch für die Bundesrepublik brisant, denn zahlreiche deutsche Mainstream-Medien, darunter der Spiegel, die Süddeutsche Zeitung und der NDR, zählen zu den Kooperationspartnern des OCCRP. Insbesondere die Rolle des NDR wirft Fragen auf, da dieser die Recherche mit angestoßen haben und die eigenen Untersuchungen später zensiert haben soll.
Das OCCRP wurde 2008 gegründet und konzentrierte sich zunächst auf die Aufdeckung von Korruption und organisiertem Verbrechen auf dem Balkan. Heute verfügt das OCCRP über ein Jahresbudget von 20 Millionen Euro sowie ein Team von 200 Journalisten weltweit und arbeitet mit über 70 Medienpartnern zusammen, darunter die New York Times, die Washington Post, der Guardian und die erwähnten deutschen Medien.
Nach Eigendarstellung gilt die Organisation als "die größte Organisation für investigative Berichterstattung auf der Welt". Bekannt wurde die OCCRP vor allem durch die Veröffentlichung der "Panama Papers", der "Pandora Papers", des "Projekt Pegasus" sowie von "Cyprus Confidental".
Laut Mediapart wird das OCCRP maßgeblich vom US-Außenministerium und auch der George-Soros-Stiftung "Open Society Foundation" finanziert: Zwischen 2014 und 2023 habe die US-Regierung 52 Prozent des von OCCRP tatsächlich ausgegebenen Geldes zur Verfügung gestellt. Seit der Gründung im Jahr 2008 seien mindestens 47 Millionen US-Dollar in die vermeintlich "unabhängige" Nachrichtenredaktion geflossen. Die geht dem Bericht zufolge aus einer Aufstellung der jährlichen Prüfberichte des OCCRP hervor, der mit den Haushaltsdokumenten des amerikanischen Staates abgeglichen worden war.
Im Jahr 2023 begann auch der NDR zu dem Thema zu recherchieren, veröffentlichte seine Ergebnisse jedoch nicht. OCCRP-Gründer Drew Sullivan hatte den Journalisten nach Anfragen vorgeworfen, Methoden zu verwenden, die er als "böswillig und unprofessionell" bezeichnete, und diffamierte den NDR-Journalisten John Goetz als "möglichen russischen Aktivposten". Auf eine Anfrage der Berliner Zeitung, die ebenfalls über das Thema berichtete, erklärte der NDR:
"Den Vorwurf, Druck nachgegeben zu haben, weist der NDR zurück, er entbehrt jeder Grundlage und entspricht in keiner Weise den Tatsachen."
Demnach habe man eine Recherche über das OCCRP begonnen und über einen längeren Zeitraum fortgeführt. "Mehrere Redaktionen des NDR haben sich unabhängig und autonom gegen die Fortführung oder Veröffentlichung der Recherche entschieden." Weiterhin behauptete der Sender, dass die Recherche nach Auffassung der Redaktionen und des zuständigen NDR-Justiziariats in keinem veröffentlichungsreifen Stadium gewesen sei.
"Zu keinem Zeitpunkt lagen abnahmefähige Texte oder Filme vor."
Nach dieser Begründung stellt sich allerdings die Frage, weshalb Mediapart in der Lage war, auf Grundlage derselben Sachverhalte eine veröffentlichungsreife Recherche zu publizieren. In einer Mitteilung von Mediapart liest sich die Begründung zudem etwas anders. Dort heißt es: Demnach hätten
"die Redakteure der Nachrichten- und aktuellen Informationssendungen des NDR, deren Ziel es sei, 'ein breites Publikum' anzusprechen, die Ausstrahlung der Untersuchung 'wegen mangelnder Relevanz' für ihre Zuschauer abgelehnt."
Der NDR gab zudem bekannt, dass man zu diesem Zeitpunkt die Zusammenarbeit mit der Organisation vorerst "auf Eis gelegt habe – seit der kritischen Recherche von NDR-Autoren am OCCRP habe der Sender an keinen Rechercheprojekten des OCCRP mehr teilgenommen".
"Der vorliegende Recherchestand wurde dann mit anderen, ausländischen Redaktionen geteilt. Es wurde den anderen Medien ausdrücklich freigestellt, die Recherchen fortzusetzen."
Auf eine Konfrontation mit der Frage, ob der NDR-Mitarbeiter John Goetz ein "russischer Aktivposten" sei (wie vom OCCRP behauptet) antwortete man beim NDR knapp mit:
"Nein."
Vielsagend ist im Übrigen auch die Reaktion der weiteren Medienpartner des OCCRP: Während der NDR, obwohl er seine eigene Recherche zensierte, die Kooperation immerhin auf Eis legte, scheinen sich Spiegel, Süddeutsche und weitere Medien nicht an den Enthüllungen über die Einflussnahme der US-Regierung zu stören und arbeiten anscheinend weiter mit der Organisation zusammen. Zumindest weigerten sich die Zeitungen, wie auch die Washington Post und der Guardian, Fragen zu der Partnerschaft zu beantworten.
Auch wenn OCCRP bereits vorher mitgeteilt hatte, dass man auf staatliche Mittel zurückgreife, dürften sämtliche journalistische Standards spätestens dann verletzt worden sein, als das OCCRP sich verpflichtete, im Gegenzug für das bereitgestellte Geld aus dem US-Außenministerium nicht in den USA zu recherchieren, wie Mediapart unter Berufung auf Aussagen Sullivans berichtet.
Mit der entsprechenden Finanzierung habe die USA zudem Recherchen vorangetrieben, die sich mit den Interessen der US-Außenpolitik decken. Die betreffe insbesondere Länder wie Russland und Venezuela, die Washington "als Feinde betrachtet".
In einer E-Mail, die 2023 an OCCRP-Journalisten geschickt wurde, habe Sullivan außerdem zugegeben, dass es "größtenteils wahr" sei, dass das Netzwerk "in den ersten Jahren keine Geschichten über die USA [...] machte", weil ihr gesamtes Budget von Washington und von der von Milliardär George Soros gegründeten Open Society Foundations bezahlt wurde. "Wir konnten kein Geld der US-Regierung oder von Soros für US-Geschichten verwenden", so Sullivan laut Mediapart.
Das OCCRP behauptet allerdings weiterhin, dass die Finanzierung durch die US-Regierung keinen Interessenkonflikt darstelle. Demnach werde in allen Finanzhilfen anerkannt, dass der Geldgeber kein Recht habe, in die redaktionelle Politik einzugreifen. Die Organisation weigerte sich allerdings, Mediapart Kopien solcher Vereinbarungen zur Verfügung zu stellen.
In diesem Zusammenhang ist auch erwähnenswert, dass die Berichte des OCCRP von den USA auch als "Waffe" eingesetzt werden, indem sie auf der Grundlage der Erkenntnisse der Organisation gerichtliche Untersuchungen, Sanktionen und Lobbyarbeit anregen. Das 2016 gegründete und von den USA mitfinanzierte Global Anti-Corruption Consortium (GACC) nutzt die OCCRP-Untersuchungen, um Sanktionen und rechtliche Initiativen gegen Länder und Einzelpersonen voranzutreiben, die von Washington als "korrupt" angesehen werden. Im Mai 2024 hatte das OCCRP einen Bericht über die Umgehung von Russland-Sanktionen erstellt.
"Der Bericht wurde in Zusammenarbeit mit dem Royal United Services Institute (RUSI), einem britischen Thinktank, erstellt und vom britischen Außenministerium finanziert", berichtet Mediapart. Bei einem der Vizepräsidenten von RUSI handelt es sich im Übrigen um US-General David Petraeus, einem ehemaligen CIA-Direktor.
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