Hunderttausende Kinder sollen im Gazastreifen geimpft werden. Dafür will Israels Armee nun zeitweise in einigen Gebieten ihre Kampfhandlungen unterbrechen.
Im Zentrum des umkämpften Gazastreifens hat die Kampagne zur Impfung Hunderttausender Kinder gegen das Polio-Virus begonnen. Das bestätigten die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf sowie das Gesundheitsministerium in Gaza. Die Massenimpfung werde von den lokalen Gesundheitsbehörden, dem UN-Kinderhilfswerk Unicef und dem UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA durchgeführt, sagte eine WHO-Sprecherin.
Ein Krankenhaussprecher in Deir al-Balah sagte der Deutschen Presse-Agentur, es werde zunächst in mehreren Zentren und Schulen im zentralen Abschnitt des Küstenstreifens geimpft. Dies betreffe auch mehrere Flüchtlingsviertel in dem Gebiet.
Während der Impfkampagne, die insgesamt gut eine Woche dauert und auf andere Teile des Gazastreifens ausgeweitet werden soll, wollte die israelische Armee zeitlich und örtlich begrenzte Kampfpausen einhalten.Koubi Interview 10.16
Kliniken, Arztpraxen und mobile Teams sollen nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) rund 640.000 Kinder im Gazastreifen gegen das hochansteckende Virus impfen, das zu den für Polio typischen Lähmungen führen kann. Üblicherweise werden zwei Impfdosen im Abstand von vier Wochen verabreicht.
Nachdem es kürzlich den ersten Fall von Kinderlähmung seit 25 Jahren in dem umkämpften Palästinensergebiet gab, soll mit der Impfkampagne ein massiver Ausbruch der Krankheit vermieden werden.
Seit Beginn des Gaza-Kriegs nach dem Terrorangriff der Hamas auf das israelische Grenzgebiet am 7. Oktober vergangenen Jahres konnten viele Babys in dem abgeschotteten Küstengebiet nicht geimpft werden. Die schlimmen hygienischen Zustände im Gazastreifen, wo sauberes Wasser knapp ist, viele Menschen auf engstem Raum ausharren und sich auch zahlreiche Vertriebene drängen, können laut WHO zu einer raschen Ausbreitung der Krankheit beitragen.
Bei einer Pressekonferenz der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde im Gazastreifen war am Samstag bereits vor dem offiziellen Beginn der Kampagne einigen Kindern eine erste Impfung verabreicht worden. Die WHO sprach von einer Eröffnungszeremonie.
Das israelische Militär hat in der Vergangenheit mehrfach mehrstündige Pausen seiner Aktivitäten in Gebieten des Gazastreifen verkündet, meist um dort mehr Hilfslieferungen zu ermöglichen. Unklar war zunächst, ob der Fund der Leichen von sechs Geiseln im Gazastreifen durch die israelische Armee Auswirkungen auf die Ankündigungen von Kampfpausen haben würde.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu betonte nach Angaben seines Büros, dass es sich bei den geplanten Kampfunterbrechungen nicht um eine Waffenruhe im klassischen Sinne handeln solle. Eine solche hatte es im November vergangenen Jahres im Rahmen eines Deals zwischen der israelischen Regierung und der Hamas gegeben. Innerhalb dieser einwöchigen Feuerpause wurden auch rund 100 Geiseln im Gegenzug für 240 palästinensische Häftlinge freigelassen.
PAID 41_22 Kinderlähmung und Sinn des Impfens 17.16
Es würden lediglich sichere Gebiete für die Impfungen und ein humanitärer Korridor eingerichtet, den die Menschen auf dem Weg zu Impfungen ohne Gefahr passieren könnten, teilte Netanjahus Büro mit.
Polio wird auch Kinderlähmung genannt, weil der Erreger einst so verbreitet war, dass der Kontakt damit meist schon im Kindesalter erfolgte und vor allem Kleinkinder von Lähmungen betroffen waren. Verbreitet wird das hochansteckende Virus meist über kontaminierte Hände als sogenannte Schmierinfektion, in Ländern mit unzureichendem Hygienestandard auch über verunreinigtes Wasser.
Nur in etwa einem von 200 Fällen führt eine Infektion zu den für Polio typischen irreversiblen Lähmungen – und das zudem nur bei Ungeimpften. Eine Heilung gibt es bisher nicht.
Durch die 1988 initiierten weltweiten Impfkampagnen konnten laut WHO bis heute rund 20 Millionen Menschen vor einer Lähmung und anderthalb Millionen vor dem Tod bewahrt werden. Vor Einführung von Schutzimpfungen gab es allein in Deutschland tausende Erkrankte und hunderte Todesfälle jährlich. Inzwischen sind die Impfquoten vielerorts allerdings viel zu niedrig.