Depression ist mehr als traurig sein – und sie tritt bereits bei Kindern auf. Nun fordern Jugendliche in einer Petition Aufklärung über die Krankheit in der Schule.
Eine Krankheit wie ein nie endender Schlag gegen den Kopf, die alle Kraft raubt, alle Hoffnung nimmt und die Sinne vernebelt. Die Betroffenen leiden leise, gerade bei Kindern und Jugendlichen wird eine Depression oft erst spät erkannt, allzu leicht mit Schüchternheit oder den Nebenwirkungen der Pubertät verwechselt. Bei manchen fängt es schon im Grundschulalter an, ab der Mittelstufe sitzen dann in jeder Klasse durchschnittlich zwei Jugendliche mit Depression. Viele Betroffene leiden stumm, verkriechen sich in ihrem Zimmer, die Noten werden schlechter, die Besuche bei Freunden seltener. Eltern schimpfen, Lehrer fordern, Mitschüler lachen und niemand versteht.
Eine chronische Depression kann die Entwicklung gerade bei Kindern und Jugendlichen schwer beeinträchtigen. Das Risiko für Alkohol- und Drogenmissbrauch steigt, soziale Beziehungen leiden, die Motivation, die eigene Zukunft anzupacken, fehlt. Die Dramatik des stillen Leidens wird mitunter verkannt, bis es zu spät ist.
Depression kann tödlich sein. Rund 500 Jugendliche und junge Erwachsene sterben in Deutschland jedes Jahr durch Suizid. Depression ist eine der Hauptursachen für Selbstmord.
Damit sich das ändert, fordert der Jugendbeirat der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention in einer aktuellen Petition, die Aufklärung über Depression fest in den Lehrplan zu schreiben. Knapp 50.000 Menschen haben bereits unterschrieben, 100.000 Unterschriften sind das Ziel. Dann könnten die Jugendlichen ihr Anliegen vor der Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Christine Streichert-Clivot, vortragen.
STERN PAID 15_24 Depression Heft 11:22
Katharina Lachnitt ist Gründungsmitglied des Jugendbeirats. Sie war elf Jahre alt, als sie die Diagnose "ängstlich-depressive Störung" bekam. Dann starb ihr Bruder, die Depression wurde schlimmer, zusätzlich wurde bei ihr PTBS diagnostiziert, posttraumatische Belastungstörung. "Ich konnte mich schlecht konzentrieren, war ständig traurig, hatte Bauch- und Kopfschmerzen und Tinnitus", fasst Katharina zusammen. Es folgten Therapien und Krankenhausaufenthalte. Und die Gründung des Jugendbeirats, den die Deutsche Depressionshilfe ins Leben rufen wollte, um junge Betroffene und ihre Angehörigen zu unterstützen.
Im Juni 2021 kamen die ersten Interessenten zusammen, trafen sich in diesem zweiten Corona-Sommer im Freien und im Herbst in Videocalls. Sie sprachen über die Erkrankung, lektorierten Unterrichtsmaterial, drehten Videos für Lehrkräfte über Depression im Jugendalter. "Und dann kam uns die Idee, dass wir das verpflichtend machen", sagt Katharina.
Wer betroffen ist, würde so spätestens im Unterricht erfahren, dass Depression eine Krankheit ist, dass sie behandelt werden kann und muss, wo es Hilfe gibt. Eine frühe Diagnose und Behandlung kann den ganzen Lebensweg beeinflussen und die Leidenszeit verkürzen. Je eher eine Depression erkannt wird, desto nachhaltiger kann geholfen werden.
Wer nicht betroffen ist, kennt im Durchschnitt mindestens einen Menschen, der selbst an einer Depression leidet. Im Unterricht würden sie lernen, wie sie Betroffenen helfen können, und Verständnis für Erkrankte entwickeln.
"Meine Klassenkameraden sagten damals, ich hätte so ein Glück, wenn ich wegen einer Therapiestunde Mathe verpasst habe", erinnert sich Katharina. "Ich hätte aber viel lieber Mathe gehabt als eine Depression."
In welches Unterrichtsfach die Aufklärung über Depression eingebaut werden könnte, da legt sich der Jugendbeirat in seiner Petition nicht fest. Katharina schlägt den Biologieunterricht vor, wenn dort sowieso über Neurotransmitter im Gehirn gesprochen wird.
Katharina hat das ehrenamtliche Engagement im Jugendbeirat im Umgang mit ihrer Depression geholfen. "Ich kann für andere Menschen da sein, das hat mir einen Sinn im Leben gegeben", sagt sie. Sie unterstützt andere Betroffene, spricht auf Konferenzen, klärt auch im Internet auf. "Wegen dir hab ich mich getraut, ins Krankenhaus zu gehen", schrieb ihr eine junge Frau auf Instagram. "Ich bekomme ganz oft solche Nachrichten", sagt Katharina.
Sie selbst war zuletzt vor wenigen Wochen in der Klinik, zur Stabilisierung. Denn der Sog in die Dunkelheit in Kopf und Herz wurde wieder stärker, auch der Drang, sich selbst zu verletzen. "Nicht-suizidales selbstverletzendes Verhalten" ist eine eigene Diagnose, tritt aber häufig in Verbindung mit einer depressiven Erkrankung auf. Seit anderthalb Jahren habe sie sich nicht mehr geritzt, sagt Katharina. Wenn der Drang zu groß wird, sucht sie sich Hilfe. Hilfe suchen und annehmen zu können ist ein großer Erfolg für Menschen mit Depression.
Katharina ist jetzt 20 Jahre alt, sie macht eine Ausbildung zur Pflegefachfrau. "Ich hoffe, dass ich nicht mein Leben lang mit Depressionen zu kämpfen habe", sagt sie. "Ich habe schon große Fortschritte gemacht."