In einem Gastbeitrag für die NachDenkSeiten erklärt Dmitri Ljubinski, der russische Botschafter in Wien, der kollektive Westen greife aggressiv "zu seiner geliebten Peitsche", den völkerrechtswidrigen Sanktionen, obwohl diese ihr Ziel verfehlten. Für die Entscheidungsträger seien die Folgen der Sanktionsspirale jedoch irrelevant. Die Entscheidungen würden von Minderheitsstaaten de facto über das Völkerrecht gestellt:
"Der Rest der Weltgemeinschaft wird dann aufgefordert, solchen 'abgestimmten' Entscheidungen stumm zu folgen, die als 'einheitliche Meinung' ausgegeben werden. Diejenigen, die sich weigern, haben Sanktionen beziehungsweise andere Strafmaßnahmen hinzunehmen."
Ziel sei es, den Übergang zu einer multipolaren Weltordnung zu verhindern. Sanktionen seien zudem ein Instrument des unfairen Wettbewerbs. Sie zielten auf sensible Bereiche der Wirtschaft und bremsten die Entwicklung eines offenen und fairen Systems der Wirtschaftsbeziehungen, so der Botschafter.
So hätten die Sanktionen gegen Russland zu einem Ungleichgewicht in den internationalen Produktionsketten geführt und vielen europäischen Ländern den Zugang zu Waren, Finanzen und Technologien erschwert. Damit schieße sich die EU ins eigene Knie. Ljubinski zitiert Schätzungen des IWF, wonach das BIP der EU in diesem Jahr um nicht mehr als 1,1 Prozent wachsen werde.
"Der Gesamtschaden wegen der Abkehr von russischem Gas für die EU übersteigt bereits nach einigen Einschätzungen 1,5 Billion US-Dollar. Die Energiekrise und Dekarbonisationspolitik wird für Europa bald auch die Deindustrialisierung bedeuten."
Auch Österreich sei betroffen. Das Land habe weniger Umsatz als im Vorjahr. Der Endverbraucher bekomme dies an der Kasse im Supermarkt zu spüren. Zu dem Preisanstieg trügen auch die Restriktionen der EU gegenüber der russischen Landwirtschaft und Düngemittelindustrie bei.
Parallel dazu profitierten die USA von der "Solidarität" der Europäer. Die hohen Energiekosten führten zu einer Verlagerung von Produktionsstätten aus dem konkurrenzschwachen Europa in die USA und in Drittländer. Die europäischen Unternehmer gingen leer aus, ihre früheren Positionen auf dem russischen Markt würden von Firmen und willigen Partnern aus anderen Ländern besetzt, "deren Regierungen mehr Vernunft und Weitsicht haben". Ob sie diese Nischen jemals wieder ausfüllen können, sei fraglich, erklärt der Diplomat.
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