Die Ampel will manchen Geflüchteten die Geldleistungen komplett streichen. Doch darf sie das? Ein Experte erklärt, was rechtlich möglich ist. Marco Buschmann ist kein aufbrausender Mann, am Donnerstag aber wird er emotional. "Das muss aufhören", sagt der Justizminister von der FDP . Er meint damit die "Zehntausenden Fälle", in denen Abschiebungen jedes Jahr scheiterten, obwohl sie rechtlich möglich seien. Und zwar allein daran, dass die Behörden die Betroffenen an ihrem Wohnort nicht antreffen. Jetzt solle in der "Migrationspolitik gewissermaßen ein Realismus Einzug halten". Der Justizminister sitzt am Nachmittag mit Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Robert Habecks Staatssekretärin Anja Hajduk (Grüne) auf einem Podium im Innenministerium. Sie wollen der Presse signalisieren, dass sie verstanden haben. Dass Solingen etwas verändert hat, dass sich nun auch die Politik verändern wird. Es ist ein ganzer Katalog von Verschärfungen , den sie präsentieren. Einer der wichtigsten Punkte: Die Bundesregierung will den Druck auf Flüchtlinge erhöhen, tatsächlich das Land zu verlassen, wenn sie nach den Dublin-Regeln ausreisepflichtig sind. Denn der Attentäter von Solingen war über Bulgarien in die EU eingereist und hätte dorthin eigentlich längst abgeschoben werden können. Doch die Behörden trafen ihn am geplanten Abschiebetag in seiner Unterkunft nicht an. Deswegen blieb der Mann in Deutschland, erhielt sogar subsidiären Schutz. Den Dublin-Regeln zufolge ist der Staat für den Geflüchteten und seinen Asylantrag zuständig, über den er als erstes in das Gebiet der Europäischen Union einreiste und registriert wurde. Um den Druck auf diese Menschen zu erhöhen oder eine Weiterreise nach Deutschland sogar vorher schon unattraktiver zu machen, will die Ampel ihnen nun die Leistungen streichen, die sie für ihr Leben in Deutschland eigentlich bekommen. Doch geht das rechtlich überhaupt? Asylbewerbern gar kein Geld mehr zu geben? EU-Reform ermöglicht vollständige Streichung Winfried Kluth ist Experte für solche Fragen. Er ist Professor für Öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität in Halle, mit den Schwerpunkten Asylrecht und Völkerrecht. Seine Einschätzung, zusammengefasst: Nach jetziger Rechtslage ist das nicht möglich. Die aber könnte geändert werden. Und wegen einer neuen Rechtslage auf EU-Ebene sind die Hürden dafür gesunken. Derzeit gebe der Paragraf 1a im Asylbewerbergesetz genau vor, wie weit Leistungen gekürzt werden dürften, sagt Kluth zu t-online. "Absenkungen sind demnach möglich, ein vollständiges Streichen der Leistungen aber nicht." Aber: "Eine Änderung und Verschärfung des Gesetzes wäre möglich", sagt Kluth. Hier helfe die GEAS-Reform, die EU-Mitgliedsstaaten bis 2026 umsetzen müssten. Über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) stritten die EU-Mitgliedstaaten jahrelang, im April wurde sie verabschiedet. "Dort ist in der geänderten Aufnahmerichtlinie neu geregelt worden, dass die Leistungen für die sekundäre Migration – also Geflüchtete, die unter die Dublin-Regeln fallen und in einem anderen Land registriert wurden – gekürzt und auch vollständig gestrichen werden können", erklärt Kluth. Dahinter stecke der Gedanke: "Sie können Leistungen erhalten – aber eben in dem Staat, der für sie zuständig ist." "Deutschland könnte diese Richtlinie bereits jetzt umsetzen" Das bedeutet: Reist ein Geflüchteter über Bulgarien nach Deutschland ein und wird dort registriert, dürfte Deutschland seine Geldleistungen komplett kürzen – weil er in Bulgarien einen Anspruch auf Leistungen hat. Und, so Kluth: "Deutschland könnte diese Richtlinie bereits jetzt umsetzen." Genau darauf beruft sich nun auch die Bundesregierung. Innenministerin Faeser sagt, man wolle der GEAS-Regelung vorweggreifen. Es gehe um Dublin-Fälle, in denen das zuständige Land seine Zuständigkeit auch anerkannt habe und einer Rückreise zustimme. Das sei der Zeitpunkt, an dem die Bundesregierung in Zukunft die Geldleistungen kürzen wolle – und zwar "auf gar nichts". Wichtig ist dabei: Auch nach der neuen härteren GEAS-Richtlinie können nur Geldleistungen komplett gestrichen werden. "Eine Grundversorgung, zum Beispiel ein Schlafplatz, Nahrung und Hygieneartikel, müssen immer gestellt werden", sagt Kluth. Das betont auch Innenministerin Faeser bei der Pressekonferenz: "In Deutschland wird niemand verhungern und auch nicht auf der Straße schlafen." Anwendbar wäre die neue GEAS-Regelung außerdem nur auf Geflüchtete, die unter die Dublin-Regelung fallen. Bei Geflüchteten, die nicht in einem anderen EU-Land erstregistriert wurden, gelten "derzeit und auch nach der neuen Fassung der Aufnahmerichtlinie andere Grundsätze", sagt Kluth. "Sie erlauben eine vollständige Streichung der Leistungen nicht." Was sagt das Bundesverfassungsgericht? Nur: Hat diese Regelung am Ende auch vor deutschen Gerichten Bestand? Daran gibt es bei den Grünen durchaus Zweifel. "Das Bundesverfassungsgericht hat schon in der Vergangenheit darauf gepocht, dass auch für Geflüchtete das Existenzminimum gilt", sagt Erik Marquardt, Grünen-Europaabgeordneter und Migrationspolitiker, t-online. "Die GEAS-Reform erweitert den Spielraum für Kürzungen zwar auf EU-Ebene, aber das Bundesverfassungsgericht wird sich wohl anschauen, ob das mit dem Grundgesetz vereinbar ist." Ohnehin dürfte es im Parlament noch zu Diskussionen kommen, wie sinnvoll die Verschärfungen sind, auch bei den Regierungsparteien. "Solche Kürzungsideen mögen emotional nach dem schrecklichen Terroranschlag nachvollziehbar sein", sagt Grünen-Migrationspolitiker Marquardt. "Allerdings fürchte ich, dass sie kontraproduktiv sind." Radikalisierung entstehe vor allem dort, wo Menschen ausgegrenzt würden, sagt Marquardt. "Und das würden auch die vielen rechtschaffenen Geflüchteten, wenn sie nun weniger als notwendig bekommen sollen."