Nach dem Terrorakt in Solingen fühlen sich viele Menschen wie erstarrt. Der Psychologe und Therapeut Jens Förster gibt Tipps, wie wir wieder angstfrei feiern können.
Herr Förster, was macht eine Katastrophe wie die von Solingen akut mit unserem Körper und unserer Seele?
Angst ist eine gute und wichtige Emotion, um uns vor gefährlichen Situationen zu schützen. Und es ist völlig in Ordnung, Ängste einzugestehen. Übertrieben wäre es nur, wenn man jetzt gar nicht mehr auf die Straße gehen wollte. Dann sollte man etwas gegen diese übertriebene Angst tun.
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Welche Rolle spielt es, wo so ein Terrorakt passiert?
Solingen ist uns geografisch so nahe, dass wir die Folgen der Angst oft sogar körperlich spüren können. In diesem Moment, wo wir gerade darüber reden, bekomme ich selbst eine Gänsehaut. Mein Mann wohnt in Köln, ganz in der Nähe von Solingen, und hätte ja auch unter den Opfern sein können. Das trifft uns mehr als ein Terrorakt in Italien.
Wann lässt die Angst nach?
Mit der Zeit ebbt die Angst bei den meisten Menschen auf ganz natürliche Weise ab. Aber es gibt auch Menschen, die durch solche Ereignisse chronische Ängste und Phobien entwickeln. Diese brauchen Hilfe und sollten in eine psychologische Praxis geht.
Wie können Sie ihnen helfen?
Wenn die Angst groß wird, sogar chronisch, müsste man therapeutisch arbeiten. Ich würde beispielsweise über die Wahrscheinlichkeiten sprechen, dass das tatsächlich etwas passieren könnte. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie selbst zum Opfer werden ist tatsächlich sehr gering und wirkt durch das schockierende Ereignis größer, als sie ist. Auch Selbstverteidigungskurse können einen positiven Einfluss haben.
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Woran merke ich konkret, dass mich die Angst nicht loslässt?
Wenn immer wieder körperliche Angst-Symptome auftreten, es mir die Kehle zuschnürt, ich eine Gänsehaut bekomme oder erstarre. Manchmal wird eine daraus resultierende Angststörung so schlimm, dass die Betroffenen gar nicht mehr vor die Tür gehen und damit ihre familiären und beruflichen Verpflichtungen vernachlässigen.
Was kann ich in der akuten Situation tun, wenn mich die Angst übermannt?
Es ist auf jeden Fall wichtig, darüber zu sprechen. Das hat einen kathartischen Effekt, und meist ist die Angst dann auch irgendwann weg. Wenn ich die Angst in mich hineinfresse, dann häuft sie sich an. Dann habe ich irgendwann Angst vor der Angst und schäme ich mich vielleicht noch dafür.
Und wenn ich mich trotzdem nicht mehr traue, zu einer Party oder einem Volksfest zu gehen?
Auf die nächsten Feste könnten Sie vielleicht zusammen mit mehreren Freunden gehen. Ich würde in den Situationen auch immer meiner Intuition trauen. Also wenn ich das leiseste Gefühl habe, dass das brenzlig werden könnte, dann auch gehen.
Freitagabend vor einem Open-Air-Konzert in Hamburg gab es Probleme beim Einlass. Die Leute drückten von hinten und vorne ging es nicht richtig weiter. Was tun, wenn alle anderen scheinbar cool wirken und man selbst weiche Knie bekommt?
Auch bei mir kommen dann wieder Bilder hoch, wie die von der Love Parade in Duisburg mit vielen Toten. Unser Gedächtnis hat solche Ereignisse abgespeichert und holt sie wieder hervor, wenn es entsprechend getriggert wird. Nach so einer Katastrophe sagen viele Leute, hätte doch mal jemand was gesagt oder sich über bestimmte Umstände beschwert. Oft kann Angst auch eine Massenkatastrophe verhindern.
Wie denn?
Indem ich beispielsweise deutlich sage, ich möchte hier mehr Abstand. Wenn Freunde mit dabei sind, sollte ich mit ihn über die unangenehme Situation sprechen und dann vielleicht gemeinsam als Gruppe eine Entscheidung treffen, was zu tun ist.
Letztendlich ist es doch genau das, was Terror erreichen will: eine diffuse Angst auslösen, die verhindert, dass wir das tun, was wir eigentlich tun wollen. Wie können wir es vermeiden, als Gesellschaft genau in diese Falle zu tappen?
Indem wir uns trotzig dagegen wehren. Ich gehe jetzt erst recht mit meinen Freunden zur nächsten Kirmes. Das hilft.