Diese Regierung ist nur Übergang, hat der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour gesagt – und der Ampel ein baldiges Ende prophezeit. Olaf Scholz wehrt sich als Kanzler so verzweifelt wie erfolglos gegen diesen Todeskuss. Vielleicht hat ja alles einen guten Grund. Vielleicht hatte der Bundeskanzler in seinem verdienten Urlaub ein paar gute Bücher gelesen. Zum Beispiel die wirklich spektakulär gelungene neue Übersetzung des Tolstoi-Meisterwerks "Krieg und Frieden", ein wuchtiges Schlachtengemälde aus der Zeit der Eroberungsfeldzüge Napoleons. Oder er hatte nach etwas Existenzphilosophischem gegriffen und dem Vanitas-Gedanken zum Beispiel in den Sonetten des Barockdichters Andreas Gryphius nachgespürt. Jedenfalls kam Olaf Scholz philosophisch-metaphorisch aus seiner Auszeit zurück. Der Pulverdampf (der einem bei Tolstoi ununterbrochen um die Nase weht) der Koalition verstelle den Blick auf das, um im Bild zu bleiben, was die Ampelkoalition auf dem Schlachtfeld des Regierens alles an Siegen und Erfolgen zu feiern habe. Das ist erst mal ein ganz schönes Bild, aber jenseits des zu überprüfenden Wahrheitsgehalts irgendwie auch schief. Denn während Tolstoi grandios die Schlachten zwischen den Feinden Napoleon und den alliierten Truppen der Österreicher und Russen beschreibt, entsteht der Pulverdampf über dem Berliner Boden aus dem, was man im Militärischen "friendly fire" nennt, also das Schießen nicht auf den Gegner, sondern in die eigenen Reihen hinein. Das hat man so noch nicht gesehen Selbst hartgesottene und jahrzehntelange Beobachter des politischen Geschehens tun sich schwer dabei, sich in den letzten 40 Jahren, wenn denn in der Geschichte der Bundesrepublik, an vergleichbare Zerrüttungen und öffentliche Auseinandersetzungen dieser Dimension zu erinnern. Ein Großteil der Schwaden, die Scholz da für Pulverdampf hält, erweisen sich tatsächlich eher als Ausdünstungen von Nebelkerzen ohne jeden politischen Geländegewinn in der Sache. Vor allem das Finanzministerium lässt die Nebelmaschine gerne im Dauerbetrieb laufen. Und damit zur Vanitas, der Vergänglichkeit. Am Wochenende hat der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour diese Ampel zur "Übergangsregierung" bezeichnet und damit wie auf einem Joghurtbecher deren Verfallsdatum markiert. Diesem schweren Wirkungstreffer in die eigene Magengrube hinein begegnet der Kanzler nach seiner Rückkehr mit einem Exkurs ins Philosophische: Ist denn nicht alles Übergang?, sinniert er bei einem Bürgerdialog und dann noch einmal in einem Fernsehinterview. Und gebe es nicht auch einen Übergang, der wieder in das Bestehende münde? Oder, wie es mal dadaistisch in einem Werbespot hieß: Sind wir nicht alle ein bisschen Bluna? Bücherwände sind voll davon Klar, das ganze Leben ist der Übergang von der Geburt zum Tod. Die Sinnfrage dieses Zwischenraums unseres Seins zwischen Kommen und Gehen hängt daran. Bücherwände sind dazu vollgeschrieben worden. Am kürzesten hat es eben jener Andreas Gryphius 1637 in seinem Sonett "Es ist alles eitel" gefasst. Eitel hier gemeint in seiner ursprünglichen Bedeutung: vergänglich. Das ist aber nichts weiter als der billige Versuch, den sehr konkreten Hinweis Nouripours, dass diese Koalition ihren absehbaren Tod schon in sich trägt, ins Ungefähre zu transzendieren. Dieses Wissen darum, dass alles ein Ende hat, wurde übrigens von den Barockdichtern immer um einen Zusatz ergänzt – weil man das sonst gar nicht aushält. Das "Memento mori", das Bewusstsein des unausweichlichen Todes und Endes, war immer ergänzt um ein "Carpe diem". Eben drum! Nutze den Tag! Mach was draus! Ergehe dich nicht in grüblerischen Gedanken! Hier wird kein Tag mehr gepflückt Und genau das fehlt dieser Ampel. Carpe diem, pflücke den Tag, packe die Dinge beim Schopf, das war mal ihr Vorsatz als "Fortschrittskoalition". Sie wollte alles anpacken. Aber wie sich bald erwies: Ein jeder an einem anderen Ende. Und Scholz hat von Anbeginn die Kraft gefehlt, dem eine gemeinsame Richtung zu geben. Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie. Hat er mal gesagt. Der Kanzlersatz hallt heute im Kopf nach wie eine Persiflage seiner selbst. Die Ausflüchte des Olaf Scholz ins Nebulös-Existenzphilosophische haben einen ganz konkreten harten Grund: ihn selbst. Denn wenn hier eine Übergangsregierung am Werke ist, dann ist er der Übergangskanzler. Solche hat es in der Geschichte des Landes nur sehr wenige gegeben. Die meisten haben dem Land ihren Stempel aufgedrückt. Adenauer, Brandt, Schmidt, Kohl, Schröder, Merkel. Scholz ist auf dem Weg in die Kategorie Kiesinger und Erhard zu geraten. Das ist eine ganz bittere Aussicht. Für ihn persönlich . Aber auch für das Land. Weil mit der Ampel schon lange nichts mehr geht. Diese Koalition pflückt keinen einzigen Tag mehr. Sie wartet nur noch auf ihren Tod.