Politiker fordern, dass künftig die Nationalität von Tatverdächtigen genannt wird. Doch wer Kriminalität bekämpfen will, muss die Ursachen erforschen.
Seit Tagen herrscht in einigen Städten Großbritanniens eine Art Ausnahmezustand. Bilder von Randalierern, von brennenden Häusern und Autos gehen um die Welt. Hintergrund ist ein Messerangriff in Southport bei Liverpool. Ende Juli hatte ein 17-jähriger Teenager einen Kinder-Ferientanzkurs gestürmt. Er erstach drei kleine Mädchen, verletzte acht weitere Kinder und zwei Lehrerinnen.
In sozialen Netzwerken wurde anschließend die falsche Nachricht gestreut, dass der Täter ein muslimischer Asylbewerber sei. Offenbar rechtsgerichtete Kreise nutzten den Fall für Krawalle, griffen zum Beispiel in Birmingham Asylsuchende an.
Während diese Bilder aus Großbritannien verbreitet werden, nutzen Politiker in Deutschland das Sommerloch für ihre Forderung, die Polizei möge künftig grundsätzlich bei Tatverdächtigen die Nationalität nennen. "Die Menschen in Deutschland müssen sich sicher fühlen und darauf vertrauen können, dass die Politik das Problem der Ausländerkriminalität ernst nimmt", sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai der "Bild am Sonntag". Es dürfe nicht der "Eindruck entstehen, dass Probleme unter den Teppich" gekehrt würden. Britische rechtsradikale Krawalle 18.09
Ins gleiche Horn stieß Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. "Grundsätzlich sollten Behörden in Zusammenhang mit Straftaten auch die Nationalität von Tatverdächtigen benennen", sagte er der "Welt am Sonntag". "Das wird zwar nicht immer taterheblich sein, dürfte aber häufig dem Interesse der Öffentlichkeit entsprechen. Insofern dient dies einfach auch der Transparenz und Glaubwürdigkeit."
Transparenz und Glaubwürdigkeit? Tatverdächtige, das dürfte Volljurist Frei wissen, sind nicht verurteilt. Gegen sie besteht lediglich ein Tatverdacht.
"Wir sehen eine gestiegene Gewaltkriminalität, mehr Jugend- und mehr Ausländerkriminalität", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) 2023 im April. Die PKS zählt Anzeigen. 2023 wurden in der PKS fast sechs Millionen (genau 5.940.667) angezeigte Straftaten registriert – "so viele Straftaten wie seit 2016 nicht mehr". 41,1 Prozent der Tatverdächtigen waren Ausländer. Wenn man die ausländerrechtlichen Verstöße rausrechnet, sind es 35 Prozent.
"Mir ist wichtig, dass der Rechtsstaat hart gegen Gewalt durchgreift. Hier gilt: null Toleranz. Das heißt konkret: schnelle Verfahren, spürbare Strafen. Ausländische Täter müssen Deutschland deutlich schneller verlassen. Die von uns geschaffenen strengen Abschieberegeln gilt es jetzt durchzusetzen", so die Bundesinnenministerin.
Dabei unterschlägt Faeser, dass die Zahl der angezeigten Straftaten in den letzten 20 Jahren um über eine halbe Million (etwa 597.000 Fälle) zurückgegangen ist – obwohl die Bevölkerungszahl zugenommen hat und mehr Migranten nach Deutschland gekommen sind.
1994 waren in der Polizeilichen Kriminalstatistik über 6,5 Millionen (genau 6.537.748) "Verstöße gegen die Strafgesetze des Bundes registriert" worden – ohne Verkehrs- und Staatsschutzdelikte. Deutschland sei ein "Tummelplatz ausländischer Krimineller" geworden, warnte Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) damals. Heute gehört Deutschland noch immer zu den sichersten Ländern der Welt.
Es gibt auch eine Statistik über die rechtskräftig Verurteilten. Sie wird nicht so häufig zitiert, ist aber aufschlussreich. Noch immer werden mehr Deutsche als Ausländer gerichtlich belangt, im Verhältnis werden aber Ausländer häufiger rechtskräftig verurteilt.
Wenn man die demografischen Faktoren berücksichtigt, kommen Studien zum Ergebnis, dass etwa zwei Prozent der Deutschen kriminell werden und vier Prozent der Ausländer. Meist sind es junge Männer, die vom rechten Weg abkommen.
FAQ Änderungen Staatsbürgerschaft Deutschland 14.09
Sind Ausländer also grundsätzlich krimineller als Deutsche? Nein. Wer Kriminalität bekämpfen will, muss die Ursachen erforschen. Viele Kriminologen sind sich in dieser Frage erstaunlich einig: Kriminalität ist keine Frage der Nationalität, sondern eine soziale.
Menschen, die keine Perspektive haben, laufen eher Gefahr, kriminell zu werden. Arbeit, Wohnung, Freunde sind sehr gute Voraussetzungen, um zum braven Staatsbürger (die meisten Kriminellen sind Männer) zu werden. Sagt unter anderem der amerikanische Kriminologe Travis Hirschi.
Vielleicht wäre es daher eher angezeigt, über die Integrationspolitik nachzudenken. Darüber, ob es wirklich Sinn ergibt, ausländische Abschlüsse gar nicht oder nur schleppend anzuerkennen. Junge Männer in Sammelunterkünften unterzubringen, wo sie aufeinander losgehen, weil sie nichts zu tun haben.
Und dort die drohende Abschiebung fürchten müssen, selbst, wenn sie sich integriert haben wie der 18-jährige Ghanaer, der in Hamburg in die elfte Klasse ging und abgeschoben werden sollte. Mit vier Jahren war er nach Deutschland gekommen. Als mit 18 seine Duldung auslief, sollte er gehen. Kurz vor dem Abi und nachdem Deutschland in seine Schulbildung investiert hatte. Erst die Härtefallkommission der Bürgerschaft setzte dem Vorhaben kürzlich ein Ende.
18-jähriger Joel wird nicht aus Hamburg abgeschoben 14:26
Die Nennung der Nationalität von Tatverdächtigen löst keine Probleme. Vor Jahrzehnten war es ein Tabu, die Nationalität von Tatverdächtigen zu veröffentlichen. Heute nennen längst viele Polizeipressestellen die Nationalität der Tatverdächtigen.
Auch der Presserat spricht kein Verbot aus, die Herkunft von Straftätern und Verdächtigen zu nennen. Allerdings mahnt er: "In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte." So steht es im Pressekodex, der ethische Standards für die journalistische Arbeit festlegt. Die Richtlinie ergibt Sinn.
Wohin es führen kann, wenn man glaubt, die Nationalität würde eine Rolle spielen, zeigt sich gerade in England. Die Information wird als Fake News missbraucht. Von interessierten Kreisen.