Was treibt Führungskräfte um und hält sie in der Nacht wach? Das hat Fredmund Malik Entscheidungsträger in Unternehmen gefragt. Der Managementexperte nennt sieben Einsichten, um die Tranformation zu überstehen – und Komplexität zu nutzen.
"Echte Führer brauchen kein Charisma", sagte Fredmund Malik einmal. Skandale wie die um Sam Bankman-Fried oder auch Elon Musk dürften den Unternehmensberater daher kaum überrascht haben. Gleiches gilt für die aktuelle Systemkrise. "Was bis vor kurzem noch zuverlässig funktionierte, gerät plötzlich aus den Fugen", schreibt der Bestsellerautor, der früher an der Universität St. Gallen lehrte, in seinem neuen Buch. Doch wie bereitet man sich auf eine Zukunft vor, die ungewiss ist?
Malik warnt seit weit über zehn Jahren vor einem massiven Umbruch, den er die "Große Transformation" nennt. Die war immer wieder auch Thema in seinem Newsletter, der nach eigenen Angaben ohne Unterbrechung seit 1993 erscheint (anfangs monatlich, später einmal pro Woche). Der Autor des Standardwerks "Führen Leisten Leben" hat nun in dem Buch "Was lässt Sie nachts nicht schlafen? Erste Hilfe für Führungskräfte" eine Auswahl bislang unveröffentlichter Texte seit 2019 zusammengefasst.
Die titelgebende Frage hatte Malik (Jahrgang 1944) einer Reihe von Top-Führungskräften gestellt. Sie nannten ihm zufolge vor allem sieben Einsichten, die für eine erfolgreiche Zukunft entscheidend sind:
"Die heutigen Herausforderungen können wir mit herkömmlichen Mitteln nicht mehr meistern", warnt Malik. Die Betonung liegt auf "herkömmlich". Die von ihm befragten Führungskräfte hätten verstanden, dass für die speziellen Herausforderungen unserer Zeit auch eine neue Art von Management nötig ist, mit eigenen Praktiken, Methoden und Tools.
An Einsicht mangelt es häufig nicht. Doch oft enttäuscht die Umsetzung, schreibt Malik und nennt die Digitalisierung als Beispiel. Der Grund für diese Enttäuschung liegt für ihn auf der Hand. "Weil die bisherigen Prozesse weitgehend unverändert geblieben sind", warnt er vor nur scheinbarer Modernisierung. "Man hat also zwar digitalisierte Prozesse – die aber weiterhin die alten sind. Wirklich neue Lösungen fordern auch eine radikal neue Art der Umsetzung."
Der weitverbreiteten Kritik an Change-Managern schließt sich Malik an. Die bisherige Art des Change-Managements sei nicht stark genug für die massiven Umwälzungen. "Es entstehen Erwartungen, die man nicht erfüllen kann. Die Menschen sind enttäuscht und entmutigt", warnt der Autor. Seine Forderung: "Lass die Menschen so, wie sie sind." Ein gutes Beispiel ist seiner Ansicht nach der Siegeszug des Smartphones. Das habe sich nahtlos in die Gewohnheiten der Nutzer eingefügt und so einen grundlegenden Wandel ohne Brüche herbeigeführt: "Als Folge – nicht als Ursache – haben die Menschen dann auch neue Kommunikationsgewohnheiten entwickelt."
Nur eine einzige grandiose Strategie für die Transformation nach Ansicht Maliks nicht genug. Er plädiert für eine dreigleisige Transformation:
Digitalisierung war bereits in den 1970er-Jahren ein Thema. "Mit häufiger Verwendung des Wortes ‚Digitalisierung‘ ist im Unternehmen noch nichts gewonnen", kritisiert Malik deshalb. Entscheidend sei die Erkenntnis, was dahinter stecke, nämlich Vernetzung. Die mache Dinge aber vielschichtiger. "Je stärker die Vernetzung ist, desto komplexer ist das System", gibt der Managementexperte zu bedenken. Wer also hofft, dass durch Digitalisierung alles simpler wird, wird von der (zudem häufig globalen) Dynamik digitaler Prozesse böse überrascht.
STERN PAID 18_24 Im Land der Erfinder, 19.20
"Komplex" ist für Malik aber mitnichten dasselbe wie "kompliziert". "Kompliziertheit soll man reduzieren", fordert er mit Blick auf Bürokratie. Komplexität ist für den Experten hingegen die "Goldmine" der Zukunft. "Komplexität ist die Quelle von Intelligenz, Kreativität und Innovation", unterstreicht er.
"Wir haben Kultur-Stress", schreibt Malik in seinem neuen Buch. Der ist seiner Ansicht nach aber weitgehend selbstgemacht. Denn alles, was in Betrieben nicht gut laufe, werde gern fehlender oder falscher Unternehmenskultur zugeschrieben. Wenn etwas nicht funktioniert, hat das laut Malik aber häufig ganz andere Ursachen. "Unzureichende Strategien, ungeeignete Strukturen, falsche Personalentscheide, mangelhaftes Managementwissen und dysfunktionale Kommunikation", zählt er auf. All das wirke sich zwar auch negativ auf die Kultur aus: "Aber die Ursachen dafür liegen meist woanders."