Carsten Sostmeier berichtet seit Jahrzehnten über den deutschen Pferdesport. Beim Olympiasieg von Vielseitigskeitsreiter Michael Jung in Paris überschlug sich seine Stimme mehrmals – es war ein großer TV-Moment.
Am Ende überschlägt sich die Stimme, sie bricht, sie stockt, sie quietscht. Sie klingt wie eine Mischung aus der Animationsserie South Park und Donald Duck. Dazwischen scheint sie kurz zu versagen: "Freunde, das ist unglaublich, das ist unglaub..." Offenbar hat ARD-Reitsportkommentator Carsten Sostmeier vor lauter Euphorie das Mikrofon weggeschlagen und sich für einen winzigen Augenblick selbst still gelegt, bevor er weiter euphorisch jubelt. "Freunde! Chapeau, Chapeau, Chapeau! Boah, was für eine Tour d'honneur der Emotionen, die förmlich in unsere Herzen galoppiert". Sostmeier kriegt sich gar nicht mehr ein, als der Gold-Coup von Vielseitigskeitsreiter Michael Jung feststeht.
Es war ein kurzer, aber großer TV-Moment, den die Zuschauer am Montagnachmittag bei der Olympia-Liveübertragung in der ARD sahen und hörten. Die herausgeschleuderten Worte von Sostmeier waren von der Art, über die man sich noch Jahre später redet. Selbst wer mit Pferdesport nicht viel anfangen kann, wurde in diesen Sekunden zum Fan, hatte quasi den Stallgeruch von frischem Heu in der Nase.
Jung holte sich bei einem fehlerlosen Hindernisspringen die Goldmedaille in der Einzelwertung, zum dritten Mal in Folge. Das ist noch keinem Vielseitigkeitsreiter zuvor gelungen. Besonders spannend war der letzte Ritt auch deshalb, weil Jung auf seinem Pferd Chipmunk am Vortag im ersten Springen vier Strafpunkte kassiert hatte. Seine Führung auf den Australier Christopher Burton schrumpfte, die Goldmedaille war nun nicht mehr ganz so sicher. Jung musste, um die Führung zu verteidigen, im letzten Springen fehlerlos bleiben.Lukas Märtens Olympia Finale 200 Meter 06.13
Doch Jung, der als aktuell bester Vielseitigkeitsreiter der Welt gilt, behielt die Nerven. Nach 60 Sekunden Nervenanspannung auf dem Parcours vor der Kulisse des Versailler Schlosses war der große Moment da – und Sostmeier lieferte das Glanzstück eines emotionalen Sport-Kommentars. Wäre das Vielseitigskeitsreiten so populär wie Fußball, Sostmeiers Auftritt würde ab jetzt in einem Atemzug mit dem legendären Kommentar von Herbert Zimmermann zur Fußball-Weltmeisterschaft 1954 genannt werden.
"Ach Freunde, jetzt braucht der Puls erst mal einen Tag, um wieder runterzukommen bei so manchem von uns – bei mir vielleicht sogar zwei Tage", sagte ein ergriffener Sostmeier, der den Reitsport seit den frühen 90er Jahren kommentiert. Für viele war der 64-Jährige schon vorher ein Kultkommentator. Von professionellen TV-Kritikern oder in den sozialen Medien wird er seit jeher als "Pferdeflüsterer" gefeiert.Olympia_Momente 19:32
Dabei müsste man eher von "Pferdesportflüsterer" reden. Sostmeiers Expertise ist legendär. Er gehört seit jeher zu den Kommentatoren, denen man einfach gerne zuhört, weil sie einen Sport und das, was ihn ausmacht, mit Hingabe und höchster Kompetenz vermitteln. Hört man Sostmeier zu, wird man selbst zum gefühlten Experten, auch man man im Leben nie auf einem Pferd gesessen hat. Springreiten und Dressur sind auf einmal ganz nah. Das ist die große Kunst.
In seiner Begeisterung nannte Sostmeier den Goldmedaillengewinner Jung den "König der Reiterei von Versailles" und ergänzte: "Sie schreiben olympische Reitsport-Geschichte. Herzlichen Glückwunsch, ich verneige mich vor diesem Pferd. Es ist sowas Faszinierendes. Ja, ich ziehe meinen Hut oder meinen Kopfhörer vor dieser Leistung." Das Kompliment gilt auch für Sostmeier, der in Versailles einen großen, olympischen Moment lieferte.
Quellen: DPA, "Sportschau"