Der Turnschuh sieht aus wie eine Socke, wird von einem Roboter gesprüht und ist in drei Minuten fertig: Die Schweizer Firma "On" bringt das sonderbarste Modell der Olympischen Spiele an den Start.
Großer Andrang vor einem eher schmucklosen Ladenlokal unweit des Canal Saint-Martin: Es geht um einen Sportschuh. Soweit nicht ungewöhnlich, ist ja schließlich Olympia. Allerdings spricht die Kollegin aus China bereits auf dem Bürgersteig derart aufgeregt in ihre mikroskopisch kleine Webcam, dass man nur denkt, Donnerschlag, was da wohl kommt. Nicht weniger euphorisch klingt die TV-Journalistin aus Mexiko: "Innovation" und "einzigartig" sind bei ihr die bevorzugten Vokabeln.
"You will witness the future", sagt wenig später auf dem Podium dann auch Caspar Coppetti, Mitbegründer der Laufschuhmarke "On" aus Zürich. Wir werden also gleich der Zukunft beiwohnen. Zumindest ein bisschen.
Zur Vorgeschichte und für alle, die in der Welt der Turnschuhe nicht so beheimatet sind: Die Firma "On" begann 2010 als Start-up, getragen von der ambitionierten Überzeugung, dass in der Branche noch Platz sei für große Ideen aus kleinem Haus. Dann ging alles recht schnell und offenbar auch reibungslos – inzwischen ist Tennisprofi Roger Federer mit an Bord, der Börsengang ist absolviert, die Umsätze sind millionenschwer, und die Marke ist zu einer ernsthaften Konkurrenz für die Platzhirsche geworden.
Nun also wollen die Schweizer ein völlig neues Produkt erfunden haben. Und zwar eines – davon sind zumindest die Hersteller überzeugt – das die gesamte Produktion revolutionieren könnte. "Cloudboom Strike LS" heißt das Modell, das nur wenig von dem hat, was man üblicherweise mit dem Wort "Schuh" verbindet. Die Schnürsenkel fehlen zum Beispiel. Und auch die Nähte. Während ein herkömmlicher Sneaker auf über dreißig Einzelteile kommt, sind es beim Neuankömmling nur sieben. Die meisten davon stecken in der Sohle. Das Obermaterial hingegen besteht aus etwa 1,5 Kilometer Synthetikgarn, das per Roboter auf eine rotierende Fußform gesprüht wird: Die Buchstaben "LS" im Namen stehen für "Lightspray".
Die Ursprungsidee hatte der Produktdesigner Johannes Voelchert, und zwar, so erzählt er es, nachdem er ein Halloween-Video gesehen hatte, in dem mit einer Heißkleberpistole künstliche Spinnennetze gewebt wurden. Das Verfahren faszinierte ihn, in seinem Kopf wurde ein Schuh daraus. Seinen ersten von Hand gesprühten Füßling präsentierte er auf der Design-Messe in Mailand. Von dort aus fand die Idee – und mit ihr auch Voelchert – zur Schweizer Firma.
In rund fünf Jahren wurde die inzwischen patentierte Spray-Technologie verfeinert und der Roboterarm entwickelt, der die hauchzarten Synthetikfäden präziser in Fußform wickelt, als es einem Menschen möglich wäre. Ein zweiter Arm injiziert Farben und das Marken-Logo in das Gewebe. Die Fertigstellung eines Schuhs dauert nur drei Minuten. Für die Unternehmer liegt darin ein Vorteil des Verfahrens: Zwar werde die Sohle in Asien, vor allem in Vietnam, hergestellt. Aufgrund der wenigen Arbeitsschritte werde der CO2-Ausstoß jedoch um 75 Prozent reduziert. Auch überschüssiges Material falle kaum an. Das Synthetikgewebe sei außerdem "recyclebar wie eine PET-Flasche".
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Gute Geschichte, aber nun muss der Schuh auch zeigen, was er kann. Einen ersten Härtetest hat er bereits hinter sich: Beim Boston-Marathon im April ging die Läuferin Hellen Obiri mit der kaum mehr als 170 Gramm schweren Innovation an den Start – und sie gewann. Auch in Paris wird er nun aller Voraussicht nach zum Einsatz kommen. Für Spitzensportler ist nicht nur die Leichtigkeit angenehm – der Sprühschuh kann nach individuellen Bedürfnissen maßgerecht um den Athletenfuß geschmiegt werden.
Ab Herbst soll der sockenartige Minimalist dann in Serie gehen und die Begehrlichkeiten der Normalo-Läufer wecken. Kosten: rund 330 Euro pro Paar.