Nach dem Rückzug von Joe Biden kursieren absurde Verschwörungserzählungen bis hin zum angeblichen Tod des US-Präsidenten. Die Unterschrift unter seiner Verzichtserklärung wirft Fragen auf – zumindest auf den ersten Blick. Der scheidende US-Präsident Joe Biden hat nach Angaben seines Arztes Kevin O'Connor kaum noch Covid-Symptome. Puls und Blutdruck seien wieder normal, die Lunge frei, schreibt der Arzt in seinem jüngsten Bulletin. Das ist nicht schlecht für jemanden, der in Teilen des Netzes für tot erklärt wird. Das nämlich ist die absurdeste These, die nach dem Rückzug des 81-Jährigen in den sozialen Medien kursiert. Nicht ganz so weit geht eine andere: Biden habe die Erklärung zumindest nicht selbst unterzeichnet, mit der er am Sonntag, 19.46 Uhr deutscher Zeit, seinen Rückzug von der Kandidatur erklärte. Das Dokument, das Biden auf der Plattform X postete, sieht so aus: Angeblich, so raunen es vor allem Nutzer und Influencer aus dem Lager der Republikaner, soll Biden den Brief selbst nie gesehen haben. Für die einen war er gesundheitlich nicht in der Lage selbst zu signieren, für die anderen wurde er gar nicht gefragt, sondern wurde so quasi weggeputscht. "Bei Geiselnahme kein Lebensbeweis" Beweise dafür gibt es nicht. Als vermeintlichen Beleg jedoch verbreiten Trump-freundliche Influencer und Verschwörungsideologen in den USA , dass Joe Bidens Unterschrift unter dem auf X inzwischen mehr als 400 Millionen Mal abgerufenen Brief gefälscht sei. So schreibt etwa die rechtsextreme Influencerin Laura Loomer, die schon vielfach mit Lügen aufgefallen ist, aber mit 1,1 Millionen Abonnenten bei X eine große Reichweite hat: "Die Demokraten geben vor, Joe Biden zu sein, dessen Leiche im Weißen Haus buchstäblich verrottet." Und X-Besitzer Elon Musk kommentierte, das Ganze habe Schwingungen einer Geiselnahme. Zuvor hatte der Milliardär Bill Ackmann eine Reihe von Tweets mit der Bemerkung geschlossen: "Wenn es sich um eine Geiselnahme handeln würde, wäre dieser Brief kein Lebensbeweis." Tatsächlich weicht die Unterschrift von einigen verfügbaren anderen Signaturen Bidens ab. Von t-online befragte Schrift-Forensiker halten das aber keinesfalls für ungewöhnlich. "Es können sehr plausible Erklärungen für die – leichten – Unterschiede zu den sonstigen öffentlich zugänglichen Unterschriften von Joe Biden herangezogen werden", sagt etwa Erwin Sadorf, Psychologe und Sachverständiger für Handschriftenuntersuchung. Aus seiner Sicht sehe die aktuelle Unterschrift sogar "besser aus, als man das in Anbetracht der allgemeinen motorischen Verfassung des Namenseigners erwarten könnte, soweit sie aus den Fernsehaufnahnen bekannt ist." Verdächtiges sei für ihn anhand dieser Unterschriften nicht zu erkennen: "Sie enthält freilich eine geringfügig nachlassende Strichspannung, geringe Dynamik." Unabhängig davon lässt sich auf Basis von Recherchen diverser US-Medien nachvollziehen, wie es letztlich zum Brief kam. Demnach ist klar, wer in den Stunden vor dem Gang an die Öffentlichkeit bei Biden war. Berater überzeugten Biden von Rückzugserklärung Bidens Sinneswandel, sich von der Kandidatur zurückzuziehen, ist demnach im Laufe des Samstagabends entstanden, als seine langjährigen Berater Steve Ricchetti und Mike Donilon, sein Kampagnenleiter, dem Präsidenten Umfragedaten, Spendenaufkommen und Einschätzungen zum schwindenden Rückhalt aus der demokratischen Partei vortrugen. Das berichtet unter anderem das Magazin "Politico". Biden beugte sich, in einer Videokonferenz informierte er fast zeitgleich mit dem Tweet auch weitere Mitarbeiter seines engsten Stabs. Schon da gab es Zeugen, die die Verkündung durch Biden erlebten. Wenn man sich auf diese Frage nach einer gefälschten Unterschrift einlässt, stellt sich direkt die erste logische Frage: Falls ominöse Kreise tatsächlich unter ein Schreiben ohne Bidens Mitwirkung seine Unterschrift gesetzt haben sollten – wieso haben sie eine auffällig anders wirkende Unterschrift genutzt? Der Stab des Präsidenten hat natürlich eine digitalisierte Unterschrift, die aktuelle Version wird mindestens seit 2021 auch für diverse veröffentlichte Briefe genutzt. Schriften zu analysieren und auf mögliche Fälschungen zu untersuchen, ist eine Aufgabe für Experten; mit der Gesellschaft für Forensische Schriftuntersuchung (GFS) e. V. gibt es einen Verband für Schrift- und Urkundensachverständige. Nur wenige und nur digital vorliegende Proben in kurzer Zeit zu beurteilen, habe mit einer erschöpfenden Untersuchung wenig gemein, heißt es von mehreren Befragten. Einhelliger Tenor jedoch: Abweichungen sind ganz normal. Namenszüge verändern sich und sind auch abhängig vom Gesundheitszustand, auch die seelische Verfassung kann eine Rolle spielen. Ein früherer Polizeisachverständiger, der nicht genannt werden will, sagte: "Wenn jemand stark unter dem Eindruck einer sehr schwerwiegenden Entscheidung steht, kann sich das auch schon niederschlagen." Reine Spekulation: Der unübliche Unterstrich unter dem "Biden" könne auch ein Signal sein – hier zieht jemand buchstäblich einen Schlussstrich.