Ein Attentat, ein Rückzug aus Altersschwäche, eine Covid-Infektion und eine Hoffnungsträgerin aus dem Hintergrund. Dieser US-Wahlkampf hat viel von einer völlig überdrehten Fernsehserie – unsere Gastautorin Gayle Tufts kann einfach nicht mehr wegsehen. Eigentlich hab’ ich mich auf die luftigen Sommerblockbuster "Alles steht Kopf 2“ und die "Minions 4" ("Ich - einfach unverbesserlich 4") eingestellt, aber jetzt kann ich nicht mehr schlafen, habe Herzrasen, Schweißausbrüche, Wutanfälle und extreme Stimmungsschwankungen. Das klingt wie die Wechseljahre: Sind sie aber nicht, weil ich seit Jahren schon durch bin. Es sind the US-Präsidentschaftswahlen 2024. Die verrückteste, angst-machendste und skurrilste Serie ever. I am Binge-Watching, gefangen in einer Achterbahnfahrt der Emotionen. Gerade, als ich dachte, I could kick back auf dem Sofa für ein paar Wochen Sommer-Chillen, explodierte meine Heimat in einem eigenen Voting-Comic-Universum voller Intrigen, Drama, Bösewichte, unvorhersehbarer Plot-Twists – und genug Sturm und Drang für alle Bayreuther Wagner-Inszenierungen der nächsten Jahrzehnte. Ich bin ein amerikanisches Kind der 60er-Jahre und vor dem Fernseher groß geworden. Nicht nur die Kennedys, Martin Luther King und der Vietnamkrieg haben mich geprägt, sondern auch die tägliche Ausstrahlung der Watergate-Prozesse, die never-ending Soap-Opera of Bill Clinton und Monica Lewinsky, das Auszählungs-Gerichtsdrama von George W. Bush und Al Gore, und die Wahl eines Reality-TV-Superstars zum Präsidenten. Ich sollte mich daran gewöhnt haben. Aber die letzten Tage haben diese Realpolitik-Reality auf ein neues Niveau gebracht. Who needs the Kardashians, when we have the Wahlkampf? Was für eine Story! Ein verwirrter, altersschwacher Präsident möchte sein Amt nicht loslassen. Sein machtbesessener, rechtsgerichteter Gegner – ein verurteilter Schwerverbrecher-Ex-Präsident – wird auf einer Wahlkampfveranstaltung angeschossen, überlebt, reckt die Faust siegesgewiss in die Höhe, und wird ein paar Tage später auf seinem Parteitag als auferstandener Messias gefeiert. Er verkündet dort seinen Vizepräsidentschaftskandidaten: Einen Bestsellerautor eines Buches über seine Hillbilly-Wurzeln und seine OxyContin-süchtige Mutter, die mittlerweile Hauptfigur einer Netflix-Serie ist, starring Glenn Close. Sein Sieg scheint jetzt nicht mehr zu verhindern zu sein (wenn selbst Gott seine Hand schützend über den Kandidaten legt). Aber halt! Der Opa kriegt Covid, hat Zeit, um nachzudenken – und Wahlkampfspenden-Quittungen zu sortieren. Er gibt plötzlich auf und macht den Weg frei für seine Vizepräsidentin: Eine deutlich jüngere Woman of Color. Eine gesunde, fotogene, ehemalige Staatsanwältin aus Kalifornien , gekleidet in einen Power Suit. Eine Retterin der Demokratie. Wie "House of Cards" und "24" in einem Das ist "House of Cards", "The West Wing", "Scandal", "The Good Fight" und "24" in einem, mit einer Prise Marvel-Superkraft und Zitaten aus der Bibel. Es wäre alles extrem unterhaltsam, wenn es nicht so gefährlich wahr wäre. Hassverbrechen, Waffenbesitz und Extremismus are at an all-time high in den USA . Das Land ist zerrissen zwischen Arm und Extrem-Reich, Stadt und Land, Schwarz und Weiß. Was uns vereint, ist die Irrealität von Reality-TV. Seit Jahren sage ich, dass das Nationalmotto der USA nicht "In God We Trust" ist, sondern "There’s no Business Like Showbusiness". Trump hielt seine Rede auf dem Republikaner-Parteitag vor der riesigen Leuchtschrift seines Namens: TRUMP, wie ELVIS oder LIZA. Das sah mehr aus wie eine Vorstellung des Musicals "Chicago" als ein seriöses politisches Event. Bidens Rücktritt wirkt wie das Ende von "Top Chef", der französischen Kochshow, die ihren Teilnehmern alles abverlangt: Schafft er es, alles zu erledigen, bevor die Zeit vorbei ist? Und die aktuelle Staffel ist längst noch nicht beendet. Was kommt als Nächstes? Kamala Harris nimmt Taylor Swift als Vizekandidatin? Trump gibt auf, kehrt zurück zu seinen TV-Wurzeln und wird Kandidat von "The Bachelor", wo er seine Liebe für Putin endlich zugibt? Die beiden heiraten auf Hawaii und übernehmen schließlich die Moderation von "RuPaul’s Drag Race"? Ich sitze gebannt vor meinem Endgerät. Und kann mir plötzlich alles vorstellen.