Wut, Trauer, Enttäuschung: Männern kann es schwerfallen, die eigenen Gefühle anzunehmen. Was können sie tun, um sich besser zu spüren? Svenja Napp hat den Männercoach Sebastian Hofer um Rat gefragt.
Manchmal habe ich den Eindruck, einige Männer haben Angst vor sich selbst. Als würde etwas Unheimliches in ihnen schlummern, das es um jeden Preis zu verstecken gilt. Beim Sex fürchten sie, mich zu übergehen, mir wehzutun. Dann fragen sie wieder und wieder, sichern sich ab und ihre Unsicherheit kriecht in die Laken und irgendwann zwischen uns. Oder sie haben Angst, mir als Frau nicht genug zuzutrauen. Dann wählen sie jedes Wort mit Bedacht, wollen mir nichts erklären, wonach ich nicht explizit gefragt habe. In der Fortbildung begegnen mir Männer, die immer nett sein müssen. Die niemandem zeigen wollen, dass sie auch ärgerlich oder wütend sein können. Und wenn man diese bösen Gefühle dann doch hervorlockt und sie sich im Körper immer mehr Präsenz verschaffen, wenn der Kiefer fest wird und die Hände angespannt, bringen einige unter zusammengebissenen Zähnen hervor, dass wenn sie jetzt diese Wut zulassen würden, wenn sie sie jetzt rauslassen würden, schlügen sie hier alles kaputt, dann würden sie hier alles zerstören.
"Eigentlich sind Männer ziemlich arm dran", sagt Sebastian Hofer, Heilpraktiker für Psychotherapie und Männercoach aus Hamburg. Er weiß, dass dieser Satz provoziert. "Männer haben diese ganzen Privilegien im Patriarchat, die Macht, die Statussymbole, das Geld – aber das reicht nicht für eine emotionale Balance." Hofer beschreibt eine Art Zwickmühle, in der sich sein Geschlecht befindet. Um eine mögliche Erklärung zu liefern, geht er einen großen Schritt in der Zeit zurück. "In den beiden Weltkriegen wurden massenweise Männer getötet und die, die wiederkamen, waren in der Regel traumatisiert – genauso wie die Frauen." Danach sei sich die Gesellschaft in dem Wunsch einig gewesen, dass es nie wieder Krieg geben darf. "Gefühle wie Wut und Trauer und auch Aggression als Überlebensinstinkt - gerade von Männern - wurden unterdrückt. Schließlich waren sie für das ganze Leid verantwortlich."
Jeder kennt die stereotypen Bilder der Kriegsgeneration: Männer, die sich hart gemacht haben, die nicht über das Erlebte reden können. Viele von ihnen haben andere sterben sehen oder selbst getötet und tragen diese Schuld und das Erschrecken über die eigenen Handlungen nach Hause in das Familienleben. "Generationen von heranwachsenden Jungen und Männern wachsen mit unterdrückter oder mit unkontrolliert ausgelebter Wut und Aggression auf und lernen folglich keinen gesunden Umgang damit. Stattdessen wächst der Druck: Wohin damit?"
In unserer Fortbildung lenken wir den Blick auf die Dinge, die wir verstecken und unterdrücken. Das hat seinen Grund. Die Männer, die damals vor Wut schäumend vor mir standen, haben natürlich nicht alles in Schutt und Asche gelegt. Stattdessen durften diese Gefühle einen Weg nach draußen finden. Es wurde geschrien, in Kissen geboxt, die dreckigsten Wörter wurden herausgeschleudert. Aber zerstört wurde nichts. Das Haus stand auch hinterher noch, genauso wie die Menschen darin. Und die Wütenden? Die waren danach meist tief berührt. Weil ihre Gefühle einen Platz haben durften, weil sie in diesen vermeintlich bösen Emotionen gesehen und trotzdem nicht verurteilt wurden. Vielleicht ein Ausbruch aus dieser Enge, aus der Zwickmühle, die Hofer beschreibt? Aber was ist diese Zwickmühle genau?
STERN PAID Kolumne Schamlos "Ist mein Partner für meine Gefühle verantwortlich?" 20.25
"Auf der einen Seite wissen Männer oft nicht, wohin mit ihrer Kraft und Energie oder fürchten sich sogar vor ihr. Häufig führt das zu unterdrückten Impulsen und zur Kanalisierung in kurzfristige Befriedigung aller Art. Andererseits erlauben sich viele nicht, ihren weicheren Seiten Raum zu geben: Das Innehalten, das Nicht-Können, das Anlehnen, das Spüren, das Zarte." Das sind Qualitäten, die das Patriarchat Männern nicht zugesteht. Der erlaubte Spielraum wird also ziemlich eng – und mit ihm die Bandbreite an Gefühlen, die gespürt und gezeigt werden dürfen.
Hofer bietet Männerkreise an, in denen Männer zusammenkommen und über das sprechen, was sie bewegt. Während ich das schreibe, glaube ich schon zu hören, wie sich jetzt einige darüber lustig machen und denken: Ach jaa, die armen Männer, jetzt brauchen die auch noch Selbsthilfegruppen. Aber ich halte diese Arbeit für wichtig. In der Kritik an patriarchalen Strukturen und dem dringenden Wunsch nach Veränderung habe ich manchmal den Eindruck, wir haben die Männer auf dem Weg verloren. Das sind die, die sich heute darüber aufregen, nichts mehr sagen zu dürfen, die sich in Dominanzgehabe reinsteigern oder in dem Wunsch, alles richtig zu machen, völlig verunsichert sind.
Ich kenne Männer, die sich dafür schämen, ein Mann zu sein oder sich als Mann überflüssig fühlen – und das geht zu weit. Gesellschaftliche Veränderung muss alle mitdenken, anstatt vorschnell zu urteilen und auszuschließen. Niemandem ist geholfen, wenn wir alle Vertreter des männlichen Geschlechts über einen Kamm scheren und für bedrohlich erklären. Männer sind nicht per se bedrohlich oder übergriffig. Bedrohlich sind Gefühle, die nicht zugelassen werden dürfen. Die haben nämlich die miese Angewohnheit, sich hinterrücks in passiven Aggressionen, in Macho-Irrsinn oder anderen Dingen zu zeigen, die wir absolut nicht brauchen. Was wir in uns erkennen und annehmen, müssen wir nicht fürchten. Was wir verdrängen, schon. "Ich bin überzeugt, dass unsere Gesellschaft friedlicher wird, je mehr wir uns mit unserer Wut und unserer Aggression beschäftigen und sie in einem sicheren Rahmen ausdrücken können", sagt Hofer.
Es gibt immer mehr Workshops und Seminare, in denen Männer im Schlamm wühlen, miteinander ringen oder mit brachialer Gewalt Dinge kaputt schlagen. Natürlich ist das auch ein bisschen witzig, aber ich finde es gut. Wenn sie es dort machen, müssen sie es nicht mehr unkontrolliert im Alltag ausleben. Und wir müssen aufhören, so zu tun, als würde es diese Anteile nicht geben. Das gilt übrigens genauso für Frauen (wie oft hab ich während meiner Ausbildung lauthals geflucht und geschrien), aber hier geht es ja heute um die Männer (puh).
Gut, wir haben also ganz plakativ schon eine Lösung für den Wut-Anteil: Solange es im sicheren Rahmen passiert, raus damit! Hofer empfiehlt übrigens Kampfsport. Und wie kommen die Männer jetzt wieder in Verbindung mit ihrer zarten Seite? Mit dem vom Patriarchat gefürchteten weichen Kern? "Indem sie lernen, sich zu spüren", sagt er. Das klingt erst mal banal, ist aber gar nicht so einfach. Wenn Hofer jeden Mann in seiner Gruppe reihum fragt, wie es ihm geht, antworten einige mit einem knappen "gut". Mehr fällt ihnen dazu nicht ein. "Dann animiere ich denjenigen, in seinen Körper zu spüren. Gibt es ein präsentes Gefühl oder Verspannungen, Wärme oder Kälte, Empfindungen von Schwere oder Leichtigkeit? Kannst du es benennen?" Das sind die ersten Schritte. Im weiteren Verlauf werden die Teilnehmer immer wieder darin ermutigt, ihre Gefühle und Bedürfnisse zu erforschen und offen mit der Gruppe zu teilen. "Darin gesehen und gehört zu werden und oftmals festzustellen, dass man mit den eigenen Emotionen nicht alleine ist, dass hier Männer sind, die sie kennen, ist eine ganz wesentliche Erfahrung in dieser Arbeit und sehr berührend."
Kolumne Svenja Napp "Trennung" 8.13
Selbstredend war ich als Frau nie bei einem solchen Treffen dabei. Aber ich habe in den letzten Jahren immer wieder erlebt, wie verbindend es ist, wenn Menschen sich voreinander zeigen können, mit allem, was da ist. Und wenn ich mir eins für unsere Gesellschaft wünsche, dann ist es mehr Verbindung. Deshalb freue ich mich über Männerkreise, über merkwürdige Schlammschlachten oder therapeutische Wutausbrüche, es ist mir alles recht. Jeder Raum, der Männer oder Frauen dazu einlädt, sich selbst besser kennenzulernen und anzunehmen, dient unserer gesamten Gesellschaft. Wir brauchen das. Kein "Männer sind scheiße"-Plädoyer, keine Ausgrenzung wird dazu führen, dass wir wieder näher zusammenrücken und gemeinsame Werte leben. Das geht nur, wenn wir uns in unserer Ganzheit begegnen können. Und dafür müssen wir selbst erst einmal lernen, uns darin anzunehmen.