Inzwischen äußern demokratische Politiker ihre Kritik an Joe Biden auch öffentlich. Für seine Nachfolge kommt nur eine Person in Frage. Doch die Zeit wird knapp. Für Tim Ryan ist die Lage klar: "Wir müssen das Pflaster abreißen! Es steht zu viel auf dem Spiel." Für den Kongressabgeordneten der Demokraten aus Ohio hat das Pflaster auf der Wunde der gespaltenen Partei einen Namen: Joe Biden . Er ist in seinen Augen das mächtigste und größte Problem der Demokraten. Ryan nennt direkt seine Alternative: Kamala Harris , Bidens Vize. Die, so Ryan, könnte Trump in einem TV-Duell "zerstören" – im Gegensatz zu Biden, schwingt unausgesprochen mit. Tim Ryan weicht mit seiner deutlichen Kritik nur auf den ersten Blick von der Parteilinie ab. Öffentlich schließen die Demokraten zwar die Reihen um Biden. Doch anonym stechen die Parteivorderen seit dem TV-Duell zwischen Biden und Donald Trump ihre Zweifel an die Medien durch. Ryan, seit über 20 Jahren im Kongress, ist nur der erste halbwegs prominente Demokrat, der öffentlich seinen Namen unter die Biden-Kritik setzt. Zeitungsbericht heizt Spekulationen an Am Mittwoch heizte ein Bericht der "New York Times" die Debatte weiter an. Demnach soll der US-Präsident in einem Gespräch mit einem von der Zeitung nicht näher genannten Vertrauten erklärt haben, dass Biden seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit infrage gestellt haben soll. Das Weiße Haus dementierte den Bericht zwar umgehend und warf der "New York Times" vor, den Sprecherinnen und Sprechern des Präsidenten zu wenig Zeit gegeben zu haben, um gegenüber den Behauptungen in dem Artikel Stellung zu beziehen. Doch der Schaden war angerichtet. Und jetzt? Könnte sich Biden wirklich zugunsten seiner Vizepräsidentin zurückziehen? Harris statt Biden: Die Idee gewinnt zu Recht in Parteikreisen an Zustimmung. Sie ist tatsächlich die einzige Kandidatin, die für seine Nachfolge infrage kommt. Das zeigen auch jüngste CNN-Umfragen. Die rütteln am stärksten Argument, das bisher gegen die Vizepräsidentin ins Feld geführt wurde: dass sie nicht beliebter sei als Biden, im Gegenteil. Harris' Nähe zu Biden wurde zum Problem Denn Harris schlägt Biden im direkten Umfrage-Duell mit Trump. Der Präsident hat demnach landesweit eine Unterstützung von 43 Prozent, Trump kommt auf 49. Anders Harris: Sie stände in der Konfrontation mit dem Ex-Präsidenten bei 45 Prozent, Trump nur zwei Prozentpunkte vor ihr – und das, obwohl für Harris als Präsidentschaftskandidatin bisher nicht geworben wird. Genau das ist das Problem. Dass Biden alt ist, ist keine Überraschung. Doch weder er noch seine Partei haben in den vergangenen vier Jahren einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin aufgebaut – der ja nicht mal von Biden hätte übernehmen müssen, aber in einem Notfall wie diesem zumindest schnell zur Verfügung gestanden hätte. Im Gegenteil: Oft wirkte es, als wollte Biden Harris verstecken oder gar sabotieren. Dabei ist Harris durch ihr Amt als Vizepräsidentin so dicht an Biden dran wie niemand sonst. Hätte der Präsident sie als mögliche Nachfolgerin aufbauen wollen, hätte er Erfolge seiner Regierung klar mit ihr verknüpfen können und müssen. Im Wahlkampf hätte Harris sogar entscheidende Vorteile: Während Trump in den vergangenen Monaten von Gerichtstermin zu Gerichtstermin eilte, hätten die Demokraten auf Harris' Vergangenheit als Staatsanwältin verweisen können – ein glaubhaftes Gesicht von Recht und Ordnung gegen einen Ex-Präsidenten Trump, der stets an der Grenze zum Gesetzesbruch arbeitet. Harris führt in zwei wichtigen Wählergruppen Doch Harris, die noch in den Vorwahlen 2020 sowohl ihre Bissigkeit als auch ihre rhetorische Beschlagenheit unter Beweis gestellt hatte – auch und besonders gegen Biden –, wurde als Vizepräsidentin plötzlich still. Gefühlt ohne jede öffentliche Sichtbarkeit arbeitete sich Harris durch die Biden-Jahre. Nur ein hochkarätiges Projekt gönnte Biden seiner Stellvertreterin, es war ein vergiftetes Geschenk: Harris wurde mit der Situation an der Grenze zu Mexiko betraut – ein politisches Problem, an dessen Lösung seit Jahren jeder scheitert, der sich daran versucht. "Darf uns nicht an Trump ausliefern": Parteigenosse fordert Biden zum Rückzug auf Umso bemerkenswerter, dass Harris nun Biden in den Umfragen überholt. Besonders auffällig sind Harris’ Werte bei zwei Wählergruppen, die für die Demokraten von höchster Wichtigkeit sind, wenn sie Trump schlagen wollen: Unter den Unentschlossenen liegt Harris drei Prozentpunkte vor Trump, Biden dagegen volle zehn Punkte hinter dem Ex-Präsidenten. Bei nicht weißen Wählern führt Biden zwar mit 21 Prozentpunkten vor Trump, doch auch hier überholt Harris ihren Chef: Sie schlägt den Republikaner um fast 30 Prozentpunkte. Eine mögliche Erklärung: Eine Wahl zwischen Biden und Trump wäre eine Abstimmung über die Eignung eines alternden Biden. Träte Harris gegen Trump an, stünden Trumps Charakter und seine juristischen Probleme im Mittelpunkt. Auch Buttigieg und Newsom haben Biden überholt Biden schneidet nicht nur im Vergleich mit Harris schlecht ab, sondern auch mit anderen jüngeren Demokraten: Verkehrsminister Pete Buttigieg (42 Jahre alt) liegt in Kopf-an-Kopf-Umfragen vier Punkte hinter Trump, Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom (56) fünf. Zur Erinnerung: Bidens Rückstand auf Trump beträgt trotz seiner seit Monaten laufenden Wahlkampfmaschine sechs Punkte. Die Schwierigkeit für Kandidaten wie Buttigieg und Newsom ist allerdings organisatorischer Natur: Die Milliarden an Spenden, die die Biden-Kampagne bisher eingesammelt hat, fielen als dessen Stellvertreterin fast gänzlich Harris zu. Außerdem ist unklar, ob ein neuer Kandidat noch in allen Staaten zugelassen werden kann – Harris’ Name steht dagegen ohnehin bereits neben dem Bidens auf den Stimmzetteln. Organisatorisch, finanziell, politisch: Es muss auf Harris hinauslaufen, egal, ob Joe Biden sich nun stur ans Amt klammert oder nicht. Wenn die Demokraten Donald Trump als Gefahr für die Demokratie ernst nehmen, müssen sie ihm eine Konkurrentin entgegenstellen, die eine realistische Chance hat. Biden kann es nicht mehr, doch es ist noch nicht zu spät, ihn zu ersetzen. Allerdings bleibt wenig Zeit: Der Nominierungsparteitag der Demokraten findet Mitte August statt.