Bei der EM fiebern Millionen Menschen mit – und sind oft genervt. Welche Experten Lust auf mehr machen und bei welchen man lieber umschaltet: der TV-Überblick. Bei mehr als 30 Gesichtern, die in diesem Jahr auf den verschiedenen TV-Kanälen die EM begleiten, kann man schon mal den Überblick verlieren. Allein ARD und ZDF schicken 16 Fachleute auf den Platz oder ins Studio, um die Europameisterschaft zu moderieren, zu kommentieren oder zu analysieren. Dazu zählt altbewährtes Personal wie Katrin Müller-Hohenstein beim ZDF oder Experte Bastian Schweinsteiger im Ersten. Doch wer fällt mit verbalen Fouls auf, grätscht unüberlegt von der Seite rein oder stottert sich mit unkontrollierter Satzführung ins Abseits? t-online macht den EM-Check und legt nach der Vorrunde des Heim-Turniers ein erstes TV-Zwischenzeugnis vor. ARD-Team zur EM: Ein Überraschungssieger Alexander Bommes: Vielleicht der große Verlierer der Heim-EM bisher. Der sonst so sympathisch-lockere ARD-Moderator überreizt seine Stärken. Er wirkt weniger lässig als vielmehr flapsig. Spricht mal den italienischen Weltmeister Alessandro Del Piero vor laufenden Kameras an, weil der sich für den Sieg gegen Deutschland im Halbfinale 2006 entschuldigen soll, und versucht zum Ende der Hinrunde auf Krampf Fangesänge zu imitieren. Auch das Zusammenspiel mit Bastian Schweinsteiger läuft ähnlich schleppend wie das Spiel der englischen Nationalmannschaft unter Gareth Southgate. Note: 5. Esther Sedlaczek: Dagegen blüht Moderationspendant Esther Sedlaczek auf. Sie macht keine unnötigen, bemühten Witze, sondern dribbelt sich souverän bis munter durch Vor- und Nachberichterstattung bei den Spielen. Ihr enges Zusammenspiel mit Bastian Schweinsteiger avanciert schon jetzt zum Kult unter den EM-Fans. Sie befragt den Weltmeister von 2014 immer mit einer frischen, zuweilen frechen Art und entlockt ihm so überraschende Aussagen. Ihre Kompetenz steht außer Frage, ein echter Gewinn für die ARD. Note: 1. Bastian Schweinsteiger: Dreh- und Angelpunkt im Ersten, über ihn läuft das gesamte Spiel, so wie einst unter Joachim Löw. Das war nicht immer so. Schweinsteiger galt im TV lange als Phrasendrescher, sagte Sätze ohne tieferen Sinn: "In der zweiten Halbzeit müssen sie mehr Zug zum Tor entwickeln." Jetzt erstrahlt er vor allem neben Sedlaczek im neuen Glanz, spart sich Floskeln und liefert Insiderwissen, wenn er zum Beispiel über Rituale vor einer wichtigen Partie spricht. Sein größter Trumpf: Die ganze Fußballwelt kennt ihn. So kommt es schon mal vor, dass Legenden anderer Nationen ihn vor laufenden Kameras grüßen – oder mit Thomas Müller vor Anstoß ein Schlagabtausch entsteht. Note: 2. Thomas Hitzlsperger: Er ist vor und hinter der Kamera zu finden, besticht vor allem mit Expertise. Was der Ex-Profi sagt, hat Hand und Fuß: "Die Niederländer waren defensiv schlecht organisiert, lethargisch – ich bin nicht überrascht, dass Österreich das Spiel gewonnen hat", analysiert er das 2:3-Spektakel zum Abschluss der Gruppe D treffend. Was ihm fehlt, ist der Witz, das Überraschungsmoment. Emotional spielt Hitzlsperger eher Kategorie Eistonne. Da geht mehr, denn seine Beobachtungsgabe ist exzellent. Note: 3. Almuth Schult: Die Torhüterin ist ein Gewinn, keine Frage. Ihre Einschätzungen liefern Mehrwert, vor allem mit Blick auf das Torwartspiel. Ihre Schwäche ist, die Mechanismen der Fernsehunterhaltung nicht zu kennen – und das spürt man als Zuhörer, wenn sie als Co-Kommentatorin im Einsatz ist. Denn zu oft verliert sie sich in länglichen Ausführungen und geht beim Kommentieren ohne Not dazwischen. So untergräbt sie selbst ihre eigentlich sympathische Art. Note: 4. Thomas Broich: Keiner kann das Spiel so taktisch klug analysieren wie der neue Leiter der Dortmunder Nachwuchsabteilung. Aus jeder Pore seiner Ausführungen quillt Fachwissen – und genau das kann bisweilen zu seinem Problem werden. Manchmal wirkt ein Fußballspiel unter ihm wie ein Proseminar im DFB-Trainerlehrgang ("Wenn dich ein Rechtsfuß andribbelt, kann man die Intention ja lesen"). Spart er sich die allzu akademischen Kommentare, punktet er dreifach: mit seinem fast feuilletonistischen Fußballblick, der Ruhe am Mikro und der erkennbaren Erfahrung eines Ex-Profis. Note: 2-. ZDF-Team zur EM: An Kramer kommt keiner vorbei Jochen Breyer: Seine "Spielermaterial"-Belehrung hat ihm viel Gegenwind eingebracht. Damit wirkte der ZDF-Moderator unnötig neunmalklug, den Kommentar hätte er sich besser für eine Sendepause aufsparen sollen. Doch er nahm es sportlich – und konterte in den Folgetagen mit Anspielungen auf seinen Fauxpas. Seine Stärke ist ohnehin die schlagfertige, aber nie aufgesetzte Art. Anders als bei ARD-Kollege Bommes wirkt Breyers Humor unverkrampft. Manchmal eine Spur zu kumpelig mit seinen Experten, dann wirkt die Lockerheit eine B-Note drüber. Note: 3. Katrin Müller-Hohenstein: Sie ist der gesetztere Part im ZDF. Bei KMH, wie sie in den Medien auch mal genannt wird, sind keine Wunderdinge zu erwarten, keine humoristischen Ausreißer. Dadurch kaum Fettnäpfchengefahr. Aber: Auch das risikoarme Spiel hat Schwächen, wirkt manchmal etwas zu steif – zumal die Moderatorin zuweilen fahrig wird, sich gelegentlich der Fehlerteufel einschleicht. So kann sie nach den letzten Spielen der Gruppe C nicht korrekt erklären, warum Dänemark statt Slowenien Zweiter wird. Erst das Intervenieren ihrer Expertenrunde rettet sie. Note: 4. Christoph Kramer: Der formvollendete Fußballexperte. Er vereint Expertise und Emotion, spricht geradeheraus und scheut keine unbequeme Wahrheit. So kommen Frankreich und England bei ihm schlecht weg, weil sie laut Kramer weit unter ihren spielerischen Möglichkeiten agieren. Kann auch deutlich werden: "Hierarchie ist das Unterschätzeste, das es gibt", redet er sich in Rage, um dann mit Blick auf Per Mertesacker zu erklären: "Der Mann hat 104 Länderspiele, und wenn er sagt 'so und so ist das', dann hab' ich die Schnauze zu halten." Ihm hört man immer gern zu. Note: 1. Per Mertesacker: Die ideale Ergänzung neben Lautsprecher Kramer. Deutlich ruhiger, aber nicht weniger kenntnisreich – vor allem seine langjährige Premier-League-Erfahrung verleiht seinen Ausführungen Autorität. In bester "Eistonnen"-Manier gelingt auch ihm gelegentlich eine gepfefferte Analyse: "Tristesse pur", urteilt er über den Auftritt der Engländer im Turnier. Dennoch "nur" der Sidekick neben Kramer. Muss zudem aufpassen, dass seine Gelassenheit nicht als Lustlosigkeit interpretiert werden kann. Note: 2-. Moritz Volz: Er ist das ZDF-Pendant zum Kollegen Thomas Broich. Vor allem taktisch versiert, analysiert gerne technische Details des Spiels. Er muss noch lernen, dass er nicht für ein Fachpublikum auf der 11Freunde-Messe Co-kommentiert. Wechselt er das Fach und spricht über Emotionen von den Rängen oder wie viele EM-Stadien in der 2. Bundesliga beheimatet sind (Volz meint "vier", dabei sind es fünf), gerät er ins Schleudern. Darf ruhig öfter austeilen, wie hier: "Gareth Southgate sitzt im Ferrari, aber fährt wie meine Oma." Note: 3. Hanno Balitsch: Er kann sich bisher kaum Gehör verschaffen, schmiert im Vergleich mit seinen Expertenkollegen ab. Mal sieht er ein klares Abseits nicht, dann schweigt er gefühlt das ganze Spiel über. Nur gelegentlich flackert sein Können auf, als er sich enttäuscht über die Franzosen zeigt und ihnen "Standfußball" attestiert, oder als er im Spiel Belgiens, als Romelu Lukakus Tore wiederholt einkassiert werden, unkt: "Zumindest ist er VAR-Torschützenkönig." Note: 4.