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Drittstaaten-Lösung in Deutschland? So realistisch sind Ruanda und Albanien

Es sollte der große Durchbruch in der Asyl-Frage werden: Der Bund-Länder-Gipfel hat sich auf die Prüfung sogenannter Drittstaaten-Lösungen geeinigt. Der Weg dorthin ist aber schwierig. Was haben Ruanda und Albanien miteinander gemein? Auf den ersten Blick wohl nicht allzu viel – abgesehen davon, dass sie ungefähr gleich groß sind. Die deutschen Ministerpräsidenten würden diese Frage womöglich erheblich ausführlicher beantworten. Denn: Sowohl das zentralafrikanische als auch das südosteuropäische Land sind derzeit im Gespräch für die Lösung der Migrationskrise. Genauer gesagt: als Vorbild für unterschiedliche Modelle einer sogenannten Drittstaatenregelung. Die Ministerpräsidenten der Länder hatten sich am Donnerstagabend darauf geeinigt, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aufzufordern, "konkrete Modelle" für Asylverfahren in sogenannten Drittstaaten oder Transitländern vorzulegen. Diese will die Bundesregierung nun prüfen und bis Dezember Ergebnisse vorlegen. Denn: Die Modelle in Ruanda und Albanien sind höchst umstritten. Abschiebung, Bezahlkarte, Grenzkontrollen: Darauf haben sich Bund und Länder geeinigt t-online macht daher den Realitätscheck – und erklärt, wie machbar die Vorschläge tatsächlich sind. Idee 1: Ruanda-Modell So soll es funktionieren: Großbritannien plant die Auslagerung von Asylverfahren in das afrikanische Ruanda . 6.000 illegal eingereiste Menschen sollen dorthin abgeschoben werden, ohne dass deren Herkunft oder ihr Asylantrag vorher geprüft werden. Das Asylverfahren findet dann in Ruanda, das als sicherer Drittstaat eingestuft wurde, nach dortigem Recht statt. Selbst bei einer Anerkennung dürfen die Betroffenen nicht nach Großbritannien zurück. Die Idee dahinter ist auch: Abschreckung. Wenn Menschen damit gedroht wird, im Zweifel nach Ruanda abgeschoben zu werden, werden sie gar nicht erst versuchen einzureisen. So zumindest ist die Hoffnung im Vereinigten Königreich. Machbarkeit: Kaum machbar. Der Sachstandsbericht, in dem Dutzende Experten vor dem Bund-Länder-Gipfel befragt wurden, kommt zu dem Schluss, dass internationales und EU-Recht Asylverfahren in Drittstaaten "zwar nicht grundsätzlich ausschließt". Weder das Ruanda- noch das Albanien-Modell seien aber "unter den gegebenen rechtlichen und praktischen Rahmenbedingungen in dieser Form" auf Deutschland übertragbar. Zudem wurden in Großbritannien in der Vergangenheit bereits eine ganze Reihe von Klagen gegen die geplanten Abschiebungen eingereicht. Die Experten warnen zudem "vor einer allzu großen politischen Abhängigkeit", die durch solche Deals entstehen könnte. Die Mehrzahl der Sachverständigen hielt es auch nicht für erwiesen, dass solche Modelle tatsächlich einen Abschreckungseffekt auf Migranten hätten, wie es von den Befürwortern vorgebracht wird. Und: Die Experten verweisen auf ethische Bedenken, die es in Bezug auf das Ruanda-Modell gibt. Zumal Richter des Obersten Gerichtshofs 2022 auf die große Gefahr von Misshandlungen und Menschenrechtsverletzungen in Ruanda verwiesen. Lediglich zwei Experten gaben ein optimistisches Votum in Bezug auf das Ruanda-Modell ab. Der Konstanzer Rechtswissenschaftler Daniel Thym hält ein Ruanda-Modell für rechtlich machbar. Dafür brauche es aber Gesetzesänderungen: Vor allem werde eine EU-weite Regelung benötigt, damit Asylsuchende nur in Länder abgeschoben werden, zu denen sie einen Bezug haben, entweder durch Herkunft oder Durchreise. Nur so sei ein solches Modell "im größeren Stil" umsetzbar. Sozialwissenschaftler Gerald Knaus spricht sich ebenfalls für das Ruanda-Modell aus. Knaus vertritt die These, dass nur wenige Fälle als Abschreckung dienen könnten. Allerdings müssten die Asylbewerber bereits an den EU-Außengrenzen aufgegriffen werden. Kosten: Laut britischem Rechnungshof kostet es mehr als 500 Millionen Pfund (592 Millionen Euro), die ersten 300 Asylbewerber nach Ruanda zu bringen. Umgerechnet also knapp zwei Millionen Euro pro Flüchtling. Dagegen liegen die Kosten für einen Asylbewerber in Deutschland bei jährlich rund 12.000 Euro. Besonders beim Ruanda- und Albanien-Modell verweisen die Experten "auf mögliche immaterielle Kosten". Sie meinen damit, dass die Wahrnehmung entsteht, "Deutschland ziehe sich zulasten anderer, deutlich ärmerer Staaten aus dem globalen Flüchtlingsschutz zurück". Offene Fragen: Es gibt eine Vielzahl offener Fragen, etwa: Wie hoch sind die tatsächlichen Kosten für Deutschland? Wie können die rechtlichen Bedenken ausgeräumt werden? Und vor allem: Welche Länder kommen neben Ruanda noch infrage? CDU-Politiker Thorsten Frei hat etwa mit dem Senegal und Ghana zwei weitere afrikanische Länder vorgeschlagen, die als sichere Herkunftsstaaten gelten. "Wir dürfen bei der Drittstaatenlösung nicht immer nur von Ruanda sprechen", sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion t-online vor wenigen Wochen. Wahrscheinlichkeit: Sehr unwahrscheinlich. Idee 2: Albanien-Modell So soll es funktionieren: Als erstes EU-Land plant Italien Asylverfahren in einem anderen Staat. Dabei würden im Mittelmeer aufgegriffene Flüchtlinge nach Albanien gebracht werden. Anders als beim Ruanda-Modell würde Italien vor Ort die Asylverfahren selbst nach italienischem und EU-Recht mit eigenen Beamten organisieren. Wer als schutzbedürftig anerkannt wird, würde nach Italien gebracht. Abgelehnte Asylbewerber würden von Albanien aus abgeschoben. Dieses Modell mit Bootsflüchtlingen, die im Mittelmeer aufgegriffen werden, ist zwar nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar. Es könnte aber aus Sicht der Union als ein Vorbild dienen, an dem man sich orientieren kann. Machbarkeit: Schwierig. Auch beim Albanien-Modell ergibt sich laut den Experten eine Vielzahl rechtlicher Fragen. Die Probleme hier sind jedoch besonders die Unterbringung der Menschen in dem anderen Land als auch die Kosten für das Asylverfahren vor Ort. Die Experten verweisen auf einen "erheblichen logistischen und finanziellen Aufwand". Ein weiteres Problem ist, dass "Personen mit anerkanntem Schutzgrund nach Abschluss des Verfahrens zur Schutzgewährung nach Deutschland zurücktransferiert werden müssten", heißt es in dem Gutachten. Dadurch entstünden "verwaltungsökonomische" Bedenken. Auch Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach sich dagegen aus, Asylverfahren in Staaten außerhalb der Europäischen Union auszulagern. Das könne lediglich ein "Bausteinchen" sein, würde aber nicht die Migrationslage in Deutschland grundlegend ändern, sagte die SPD-Politikerin am Donnerstag. Faeser verwies insbesondere auf das italienische Modell mit Albanien und sagte: "Da ist eine Höchstgrenze von 3.000 Geflüchteten vereinbart. Das ist auch ein sehr kleiner Teil." Es nicht der "Gamechanger", betonte Faeser. Kosten: Die Kosten, die den Bau von zwei Aufnahmelagern für bis zu 3.000 Migranten umfassen, werden über fünf Jahre auf mindestens 650 Millionen Euro beziffert. Pro Flüchtling also: 217.000 Euro. Offene Fragen: Auch hier steht eine Frage im Vordergrund. Welche Länder kommen für diese Lösung überhaupt infrage? Doch es gibt noch weitere Fragen: Wie sollen die Rückführungen nach Deutschland für anerkannte Asylbewerber organisiert werden? Und wie kompliziert oder aufwendig ist es, nicht anerkannte Personen aus dem Drittstaat abzuschieben? Wahrscheinlichkeit: Unwahrscheinlich. Idee 3: Hinweg-Modell So soll es funktionieren: Bei dem Hinweg-Modell (abgeleitet vom Rückweg) werden auf den Transitrouten etwa in afrikanischen Ländern Anlaufstellen geschaffen, bei denen zumindest eine Vorprüfung des Asylgesuchs stattfinden würde. Der Vorteil: Schutzsuchende müssten sich nicht auf die gefährliche Reise nach Deutschland begeben, um einen Asylantrag zu stellen. Machbarkeit: Eher schwierig. Derzeit ist es nach deutschem Recht nicht möglich, Asylanträge in deutschen Botschaften im Ausland zu stellen, wie die Experten im Gutachten schreiben. Deutschland könnte indes Migrationszentren im Ausland einrichten, die unter deutscher Kontrolle stehen. Auch für diesen Fall ergäbe sich eine Vielzahl von rechtlichen Fragen. Anlaufstellen oder Migrationszentren in Drittstaaten könnten dort zudem zu erheblichen Problemen führen und große Zahlen von Migranten anziehen. Die betroffenen Länder könnten "schnell von einer hohen Zahl von Interessenten überfordert werden", heißt es weiter. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende, Konstantin Kuhle, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): "Um dieses Vorhaben voranzubringen, sollte der Bund schnellstmöglich ein Pilotprojekt starten, um eigene Erfahrungen zu sammeln." Kuhle sagte der Deutschen Presse-Agentur, er befürworte nicht das britische Ruanda-Modell, sondern sei vielmehr dafür, europäische Asylprüfungen in Transitstaaten zu ermöglichen. Kosten: Schwer zu beziffern. Klar ist: Arbeitet Deutschland mit dem UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR zusammen – weil das Hinweg-Modell anders nicht möglich wäre – dürften die Kosten nochmals steigen. Zu diesem Schluss kommt auch das Gutachten im Auftrag der Bundesregierung. Offene Fragen: Eine zentrale Frage wäre: Schließt die Ablehnung von Asylgesuchen im Drittstaat spätere Anträge in Deutschland aus? Auch entscheidend sind die tatsächlichen Kosten – und die Frage, ob nicht mehr Menschen durch das Hinweg-Modell angezogen würden. Wahrscheinlichkeit: Unwahrscheinlich. Fazit Alle debattierten Modelle sind höchst umstritten – und zahlreiche Fragen sind noch offen. Auch Bundeskanzler Scholz sieht die Modelle skeptisch. Ein Modell, wie von Italien vorgesehen, komme angesichts der anderen geografischen Lage für Deutschland so nicht infrage, so Scholz. Das Gleiche gelte für das britische Modell. Bei diesen Ländern gehe es außerdem nur um wenige Tausend Betroffene. Mit der Größenordnung, die Deutschland bewältigen müsse, habe das "nur ein bisschen was zu tun". Selbst in Großbritannien ist es unwahrscheinlich, dass das Ruanda-Modell tatsächlich umgesetzt wird. Erste Abschiebeflüge hat die britische Regierung für den kommenden Monat angekündigt. Ob es dazu kommt, ist nicht nur wegen der vorgezogenen Parlamentswahl am 4. Juli höchst ungewiss: Die in den Umfragen haushoch führende linksgerichtete Labour-Partei hat schon angekündigt, das Vorhaben der Konservativen einzustampfen. Auch die Ministerpräsidenten und der Bund sind sich ob der Modelle alles andere als sicher. Im gemeinsamen Beschlusspapier des Bund-Länder-Gipfels heißt es daher vorsichtig: Man werte "nun die im Nachgang eingereichten Stellungnahmen der Sachverständigen aus und wird hieraus Schlussfolgerungen ziehen".

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