Hai-Alarm in der französischen Hauptstadt: Der Film "Under Paris (Im Wasser der Seine)" hat großen Zuschauererfolg – obwohl er so trashig anmutet. Warum sind Hai-Filme so beliebt?
Ein weiblicher Riesenhai namens Lilith schwimmt durch die Katakomben von Paris. Die Weltmeere sind vermüllt und vergiftet, aber die Evolutionsmeisterin Lilith hat sich an die veränderte Umgebung angepasst: Sie kann jetzt auch im Süßwasser überleben, zur Fortpflanzung braucht sie kein Männchen mehr. Unzählige Nachkommen strömen aus ihr. Die Seine wird zur bedrohlichen Brutstätte einer neuen Spezies Monsterhai. Doch in ein paar Tagen soll in der Seine ein großer Schwimmwettbewerb stattfinden, mit Gästen aus aller Welt. Lässt sich ein Blutbad noch verhindern?
Darum geht es im neuen Netflix-Hit "Under Paris (Im Wasser der Seine)". Der Plot klingt wahnsinnig trashig, aber der Film feiert extreme Streamingerfolge: über 40 Millionen Zuschauer in der ersten Woche nach Erscheinen. Die "BBC" nennt ihn "den Popcorn-Film des Sommers", der "Guardian" kürt ihn gar zu "einem der besten Hai-Filme aller Zeiten". Warum ist dieser Film so erfolgreich? Und größer gefragt: Warum fesseln uns Hai-Filme so sehr?
Es ist kein Zufall, dass "Under Paris" kurz vor Beginn der Olympischen Sommerspiele erschienen ist. Die finden, oh Wunder, dieses Jahr in Paris statt. Geschwommen wird auch im freien Gewässer, also in der Seine. Die Dystopie des Filmtriathlons kracht in die Realität der Olympischen Spiele. So sehr, dass jetzt viele Menschen googeln, ob es wirklich Haie in der Seine gebe. Mehr noch: Sommerzeit ist Badezeit. Hai-Klassiker wie "Der Megalodon", "Open Water", "The Shallows – Gefahr aus der Tiefe" oder "Der weiße Hai" erschienen allesamt im Sommer, wenn der eigene Urlaub naht und Zuschauer plötzlich denken: Das Meer ist schön, das Meer ist schaurig.
Fesselnde Geschichten leben von ihrem Konflikt. Archetypen von Konflikten sind zum Beispiel: Mensch gegen Mensch, Staat gegen Mensch oder Mensch gegen Natur. Schon in "Der weiße Hai" war es so, aber auch jetzt in "Under Paris" kommen all diese drei Konflikttypen vor. Hai-Aktivisten streiten mit einer Hai-Forscherin darum, wie man das Riesenraubtier Lilith am besten los wird. Die Pariser Bürgermeisterin gefährdet ihre Bürger, weil sie von der Gefahr weiß, aber den Schwimmwettbewerb trotzdem nicht absagt. Und ganz offensichtlich kämpft Monsterhai Lilith gegen alle Menschen, die sie in Sekundenschnelle zerfetzen kann. Immer geht es um die Frage: Wer gewinnt?
Eine spitze Flosse, die plötzlich durchs Wasser schneidet. Ein brüllender Schwimmer, der panisch wegpaddelt. Tiefblaues Wasser, das sich rot verfärbt. Die Bilder, der Ablauf – alles altbekannt. Natürlich sieht man sie auch wieder in "Under Paris". Diese Symbole sind popkulturell derartig ikonisch, dass sie immer wieder reproduziert werden. Jüngstes Beispiel: Das Albumcover der Pop-Sängerin Dua Lipa. Goldener Bikini, entspannter Blick, nur ihr Kopf ragt noch aus dem Wasser. Vor ihr schnellt eine Hai-Flosse durchs Wasser. Der Albumtitel: "Radical Optimism".
Seit der Blockbuster "Der weiße Hai" im Sommer 1975 Filmgeschichte geschrieben hat, kennen alle diese blutdürstigen Bilder. Und die ikonische Perspektive: Die Kamera filmt aus der Hai-Perspektive, aus den Tiefen des dunklen Meeres schnellt er auf einen Schwimmer zu und greift an. Ausgleichend zur unbekannten Horrorhandlung eines Hai-Films verschafft dieser Wiedererkennungseffekt auf groteske Weise Sicherheit. Der Grusel ist eingeübt, die Angst erwartbar. Perfekter Eskapismus.
Allein optisch eignet sich der Hai, um ihm im Film das Image einer Killermaschine anzudichten: messerscharfe Zähne, tonnenschwerer Koloss, totwirkende Augen. Er verkörpert Macht, Brutalität und Dominanz. In Filmen werden seine Körpereigenschaften gerne ins Extreme überzogen. In "Under Paris" wird ungefähr 200-mal gesagt: "Dieser Hai ist größer, als wir je dachten – das ist unmöglich."
Im Film "Megalodon" geht es um ein lebendes Fossil, im Menschen aktiviert das eigentlich Unmögliche aus Urzeiten seine Urängste. In der Realität ist der Megalodon zwar längst ausgestorben, aber trotzdem gilt: Haie sind Evolutionsmeister. Lange bevor es Dinosaurier gab, durchkreuzten sie schon die Weltmeere. Seit etwa 400 Millionen Jahren bewohnen sie die Erde. Ihr Überleben hängt auch daran, dass sie besonders gut entwickelte Sinnesorgane zur Wahrnehmung haben. Sie können zum Beispiel fantastisch riechen und hören.
Aber mehr noch: Haie haben einen sechsten Sinn. Im Gegensatz zum Menschen können sie elektromagnetische Spannung fühlen. Über die sogenannten Lorenzinischen Ampullen, das sind Poren voller Nervenzellen in der Schnauze, spürt ein Hai die Muskelbewegungen oder den Herzschlag eines Lebewesens. Natürlich füttert dieser übermenschliche Sinn das Image eines Superkillers. Aber, wie Robert Hueter, der Direktor des Hai-Forschungszentrums von Sarasota, mal sagte: "Es ist wahrscheinlicher, von einer herabfallenden Kokosnuss getötet zu werden, als durch einen Hai-Biss."