Von Wolfgang Bittner
Allgemein bekannt ist, dass in der Vergangenheit Kritiker der Obrigkeit und auch Menschen, die andere als die gängigen oder verordneten Vorstellungen von gesellschaftlichem Leben hatten, verfolgt wurden. In Rom wurden Christen verbrannt, im europäischen Mittelalter Hexen, bis vor kurzer Zeit gab es in manchen Landesteilen Deutschlands noch Aufregung, wenn eine Katholikin einen Protestanten heiratete. Auch die Verfolgungen in der Nazi-Diktatur bleiben unvergessen.
Weniger bekannt ist mittlerweile, dass nach 1945 eine regelrechte Kommunistenjagd stattfand. 1951 hatte die Bundesregierung einen Antrag auf Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) gestellt, dem das Bundesverfassungsgericht am 17. August 1956 durch ein Urteil stattgab. Die Folgen des Verbots für die linke Bewegung in der sich neu formierenden Gesellschaft der BRD waren gravierend. Die Partei wurde aufgelöst, das Parteivermögen eingezogen, Büros wurden geschlossen, Zeitungen verboten, Druckereien, Buchhandlungen und Wohnungen durchsucht, viele Funktionäre verhaftet. Der Parteivorsitzende Max Reimann und mehrere Spitzenfunktionäre flüchteten in die DDR, um einer Verhaftung zu entgehen.
Die Repressionen und Tausende von Urteilen gegen Kommunisten hatten schon vor dem KPD-Verbot zu einem dramatischen Mitgliederschwund geführt, wodurch die kommunistische Bewegung in der bundesdeutschen Politik bedeutungslos wurde. Es wurden sogar Linke wegen "verfassungsfeindlicher Beziehungen", also wegen einer "Kontaktschuld", zu Freiheitsstrafen verurteilt, weil sie an Veranstaltungen in der DDR teilgenommen hatten. Es kam vor, dass sie vor denselben Richtern standen, die sie während des Nationalsozialismus ins Konzentrationslager geschickt hatten.
1968 gründete sich als kommunistische Nachfolgeorganisation die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die aus politischen Erwägungen geduldet wurde. Aber die Mitglieder standen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes, und schon drei Jahre später gab es den sogenannten Extremisten-Erlass, auch Radikalen-Erlass genannt, dem viele Andersdenkende, überwiegend Kommunisten, anheimfielen. Diese Opfer, von denen manche während des Nationalsozialismus in Konzentrationslagern überlebt hatten, wurden nicht selten von Beamten, Staatsanwälten und Richtern verhört und drangsaliert, die schon vor 1945 Jagd auf sie gemacht hatten.
Gemeinsam mit Bundeskanzler Willy Brandt einigte sich am 28. Januar 1972 die Ministerpräsidentenkonferenz darauf, dass Bewerber und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst künftig auf ihre Verfassungstreue hin überprüft werden sollten. Der unter dem Titel "Grundsätze über die Mitgliedschaft von Beamten in extremistischen Organisationen" ergangene Beschluss führte zu einer erneuten Hetzjagd auf Sozialisten und Kommunisten. Hunderttausende von Bewerbern für den öffentlichen Dienst wurden auf ihre politische "Zuverlässigkeit" überprüft.
Zahlreiche Behördenbedienstete und Tausende von Verfassungsschutzbeamten hatten alle Hände voll zu tun. Betroffen von der Überprüfungspraxis waren nicht nur Personen, die sich für bedeutende öffentliche Ämter, für Hochschullehrstellen oder Tätigkeiten im sicherheitsempfindlichen Bereich bewarben, sondern ebenso Lehrer, Juristen, Mediziner, Volkswirte, Landvermesser und so weiter. Sogar Lokomotivführer, Briefzusteller und Friedhofsgärtner fielen dem Radikalen-Erlass zum Opfer.
Verdachtsgründe für die Anhörungen waren vor allem die Mitgliedschaft in der DKP, Aktivitäten innerhalb dieser Partei, Tätigkeiten für ein "Organisationskomitee Vietnam" und Reisen in die DDR. Einem Postboten aus Frankfurt am Main wurde seine Entlassung mit der Begründung angekündigt, aufgrund seiner "Aktivitäten in der DKP" und ihren "Hilfsorganisationen" sei seine "Entlassung aus dem Beamtenverhältnis unabweisbar", wenn es ihm nicht gelänge, die an seiner "Verfassungstreue bestehenden Zweifel auszuräumen".
Diese Praxis mit einer Umkehrung der Beweislast, mit Spitzeleien, Verdächtigungen, Anhörungen und Berufsverboten war – daran gibt es keinen Zweifel – verfassungswidrig. Nach Artikel 33 des Grundgesetzes hat jeder Deutsche "nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte". Gemäß Artikel 3 darf niemand wegen seiner politischen Anschauungen benachteiligt werden; gemäß Artikel 4 ist die Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich; Artikel 9 billigt jedem Deutschen das Recht zu, Vereinigungen zu bilden. Nach Artikel 21 wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit und ihre Gründung ist frei. Zwar heißt es weiter: "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig." Über die Frage der Verfassungswidrigkeit hat jedoch – so steht es in Absatz 4 – das Bundesverfassungsgericht in einem förmlichen Verfahren zu entscheiden.
Daraus ergibt sich, dass Angehörigen einer nicht verbotenen Partei die Mitgliedschaft in dieser nicht im Geringsten zum Vorwurf gemacht werden kann. Dennoch hat das Bundesverwaltungsgericht in einer grundlegenden Entscheidung vom 6. Februar 1975 (im Fall der Lehrerin Anne Lenhard, Mitglied der DKP) eine mehr als zweifelhafte, aber gewünschte Rechtsansicht vertreten, wenn es ausführt: "Das Bekenntnis zu den Zielen einer (nicht verbotenen) politischen Partei, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar sind, und erst recht der aktive Einsatz für diese Ziele machen den Beamtenbewerber […] untauglich für den Beamtendienst […]."
Das Bundesverfassungsgericht hat dagegen am 21. März 1961 festgestellt:
"Das in erster Linie die Parteiorganisation schützende Privileg des Art. 21 Abs. 2 erstreckt sich auch auf die mit allgemein erlaubten Mitteln arbeitende parteioffizielle Tätigkeit der Funktionäre und Anhänger einer Partei. Ihre Tätigkeit ist durch das Parteienprivileg auch dann geschützt, wenn ihre Partei durch eine spätere Entscheidung des BVerfG für verfassungswidrig erklärt wird […]. Die Anhänger und Funktionäre einer solchen Partei handeln, wenn sie die Ziele ihrer Partei propagieren und fördern, sich an Wahlen beteiligen, im Wahlkampf aktiv werden, Spenden sammeln, im Parteiapparat tätig sind oder gar als Abgeordnete sich um ihren Wahlkreis bemühen, im Rahmen einer verfassungsmäßig verbürgten Toleranz. Das Grundgesetz nimmt die Gefahr, die in der Gründung oder Tätigkeit einer solchen Partei bis zur Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit besteht, in Kauf."
Im Widerspruch dazu und entgegen Art. 21 Abs. 4 des Grundgesetzes hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof in einem Urteil vom 27. Juli 1977 zum Fall der Lehrerin Sylvia Gingold in den Leitsätzen rechtsfehlerhaft festgestellt: "Die DKP ist eine verfassungsfeindliche Partei." Hier, wie auch in anderen Fällen, haben Verwaltungsrichter ihre ideologische Befangenheit offenbart, indem sie verfassungswidrige Urteile gefällt haben.
Es zeigt sich immer wieder, dass die Justiz konservativ und regierungskonform ist; das war im Kaiserreich so, im Nationalsozialismus, und ist auch heute so. Man mag von der DKP oder auch von der AfD halten, was man will, aber das Grundgesetz lässt ein weites Parteienspektrum zu. Wer mit der Zielsetzung einer zugelassenen Partei nicht einverstanden ist, muss sich im demokratischen Diskurs damit auseinandersetzen.
Bis die Bundesregierung 1976 unter Helmut Schmidt die Extremismus-Regelungen auf Bundesebene abschaffte, wurden Schätzungen zufolge bis zu 3,5 Millionen Regelanfragen zu Sicherheitsüberprüfungen für Anwärter des öffentlichen Dienstes an die Verfassungsschutzbehörden gestellt; etwa 1250 als linksextrem bewertete Personen, überwiegend Lehrer und Hochschullehrer, wurden nicht eingestellt, etwa 260 Personen entlassen. Nach neuen Richtlinien von 1979 sollten dann Informationen zu einer Person beim Verfassungsschutz nur noch beim Vorliegen konkreter Verdachtsmomente angefragt werden. Die Länder hoben den Radikalen-Erlass ab Ende der 1970er Jahre nach und nach auf, Bayern erst 1991.
1995 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall einer niedersächsischen Lehrerin, ihre Entlassung wegen Mitgliedschaft in der DKP verstoße gegen das Recht auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit der Europäischen Menschenrechtskonvention. Diese Entscheidung und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21. März 1961 könnten aufgrund der zunehmenden Überwachung und Bevormundung der Bevölkerung und auch im Hinblick auf die Ausgrenzung der AfD (einer zugelassenen Partei) und ihrer Mitglieder wieder Bedeutung erlangen. Denn für die rechtliche Bewertung der Zulassung einer Partei ist es unerheblich, ob sie dem rechten oder linken Spektrum angehört.
Vorabdruck aus einem im September im Verlag zeitgeist erscheinenden Buch von Wolfgang Bittner mit dem Titel: "Niemand soll hungern, ohne zu frieren" Untertitel: "So wie es ist, kann und wird es nicht bleiben." Erstveröffentlichung: www.nachdenkseiten.de/?p=114932
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