Manche Schönheitstrends braucht kein Mensch, vor allem, wenn sie schon vor rund zehn Jahren Müll waren, findet unsere Autorin. Warum das Revival der "Leggings Legs" auf Tiktok für junge Frauen und Mädchen so gefährlich ist.
So einige Revivals auf Social Media lassen Herzen höherschlagen – wie Sophie Ellis Bextors "Murder on the Dancefloor". Andere Wiedergeburten sollten besser in der Mottenkiste verotten. Wie die "Thigh Gap" (auf Deutsch: Oberschenkellücke). Dieser Schönheitskult aus der Hölle trendete bereits Anfang der 2010er Jahre auf dem sozialen Netzwerk Tumblr. Weg waren solche Schönheitstrends ja leider nie. Aber jetzt sind ausgerechnet die Oberschenkellücken zurück. Nur heißen sie heute "Leggings Legs".
Waren es früher Fotos, sind es heute Videos auf Tiktok. Mit der gleichen Message: Wer im Stand bei geschlossenen Beinen eine deutliche Lücke zwischen den Oberschenkeln hat, ist schön. Und nur jener ausgewählte Kreis an Frauen darf laut diesem Trend Leggins tragen. Die restlichen Frauen, tja, die werden als fett und hässlich degradiert. Oder heute geläufiger: gebodyshamed.
PAID Betroffene Magersucht_10.10Uhr
Mit den "Leggings Legs" wird einer weiteren Generation von jungen Frauen wieder einmal eingetrichtert, dass ihre Körper falsch sind, wie sie sind. Was viele Menschen nicht wissen: Unsere Anatomie entscheidet über die Lücke – die Stellung des Beckens sorgt dafür, dass die Lücke zwischen den Oberschenkeln unterschiedlich ausfällt. Oder eben auch mal nicht existiert.
Der Trend ist aber nicht deshalb mehr als bedenklich. Zwar spielen bei der Entwicklung von Essstörungen mehrere Faktoren eine Rolle, aber wenn in Medien und sozialen Medien extrem schlanke Schönheitsideale gezeigt werden, prägt das die Körperwahrnehmung von Mädchen. Unrealistische Schönheitsideale à la "Germany’s Next Topmodel" suggerieren uns, dass junge Mädchen über 1,75 Meter groß seien und dabei nur Kleidergröße 36 trügen.
Unzählige Videos und Posts auf Instagram oder Tiktok mit vermeintlichen Schönheitsidealen zeigen scheinbar perfekte Frauen. Tatsächlich wird das Foto oder Video mit zahlreichen Filtern aufgehübscht, die Realität bekommen wir auf Social Media nicht zu sehen. Aber: Teenagerinnen können die digital aufgepimpte Frau als Norm ansehen. Und sich daraufhin selbst minderwertig oder hässlich fühlen.
Der Wunsch nach einem perfekten Körper führt nicht geradewegs in die Magersucht. Wer aber schon mit dem eigenen Körper unzufrieden ist, ein geringes Selbstwertgefühl hat (welche Teenagerin nicht?!) und ständig mit vermeintlich perfekten Körpern mit Oberschenkellücken konfrontiert wird, läuft Gefahr, eine Essstörung zu entwickeln. "Junge Menschen betrachten vermeintlich perfekte Bilder von vermeintlich perfekten Körpern. Sie fühlen sich selbst minderwertig und verändern ihr Ess- und Trainingsverhalten", sagt Forscherin Eva Wunderer, die den Zusammenhang zwischen sozialen Medien und Essstörungen in Deutschland untersucht hat.
Und in den Kommentarspalten von Influencerinnen sehen Mädchen auch gleich, wie Frauen abgestraft werden, wenn sie den Magerkult nicht mitmachen. Dass sie zu dick seien, gehört noch zu den "nettesten" Kommentaren, die Influencerinnen wie Louisa Dellert oder Jana Klar auf Instagram bekommen, wenn sie sich mit ihren Körpern jenseits der Kleidergröße 36 in Unterwäsche zeigen. Zig positive Kommentare dagegen erhielt Influencerin Jule Popule, als sie ihre Schwangerschaftspfunde abtrainiert hatte. Doch das hat auch Schattenseiten: Die Influencerin hat erst kürzlich gepostet, dass sie dadurch ein gestörtes Verhältnis zu Essen entwickelt habe.
In einer Welt, die normalgewichtige und übergewichtige Frauen abstraft, beschämt und gleichzeitig Magerkulte feiert und Abnehmerfolge glorifiziert, sind Mädchen mit gestörtem Verhältnis zu Essen keine Seltenheit. Laut dem Robert Koch-Institut finden sich bei bald 30 Prozent der 11- bis 17-jährigen Mädchen in Deutschland Anzeichen für ein gestörtes Essverhalten. Und das endet im schlimmsten Fall tödlich: Essstörungen gehören zu den tödlichsten psychischen Erkrankungen. Vor allem bei Magersucht ist die Sterberate vergleichsweise hoch.
Mein Appel also: Statt mit Posts zu "Leggings Legs" dafür zu sorgen, dass Mädchen und junge Frauen ein negatives Selbstbild entwickeln, sollten wir Social Media dafür nutzen, die Vielfalt unserer Körper zu zeigen und zu zelebrieren. Wir alle sind auf unsere ganz individuelle Art und Weise schön, dafür brauchen wir nun wirklich keine Lücke zwischen den Oberschenkeln.
Und mal ganz ehrlich: "Leggings-Legs" lassen sich ganz einfach bei jeder Frau zaubern – Leggings aus dem Schrank holen, Leggins über die Beine streifen und Voila: "Leggins-Legs"!
Quellen: Mitteiung zur Studie soziale Medien und Essstörungen, Studie soziale Medien und Essstörungen, BzgA, Metaanalyse Sterberate, Statistisches Bundesamt, RKI, Mitteilung Studie Germany's Next Topmodel, Studie Rolle Medien Esstörungen, Tiktok