Durch die Erdbeben wurden auch Dörfer in Kahramanmaras dem Boden gleichgemacht. Mehr als die Hälfte der Einwohner von Ördekdede sind getötet worden. Die Überlebenden helfen sich am besten selbst.
Dorfbewohner Ismail Mikyaz hat sich sein eigenes Grab gebaut. "Mein Mann hat mir immer gesagt: "Mach dir keine Sorgen, das Haus ist stabil"", sagt seine Frau Zeynep. Doch Ismail wurde in dem Haus erschlagen, das er vor 60 Jahren mit seinen eigenen Händen in dem kleinen Dorf Ördekdede errichtet hat.
Mehr als die Hälfte der Dorfbewohner ist durch das Beben getötet worden. Als die Steine auf das Ehebett des Paares niedergingen, habe er sich verabschiedet: "Meine Frau, lass mich sterben."
Witwe Zeynep blickt nun auf die Trümmer ihres Hauses. Sie habe ihn nicht retten können. In der Erdbebennacht rollt sich die 83-Jährige aus dem Bett und zieht sich durch eine kleine Öffnung aus den Trümmern, bis sie unter freiem Himmel liegt. Im Regen liegend hört sie zu, wie ihr Dorf schreiend laut in sich zusammenstürzt, während die Erde unter ihr mit einer Stärke von 7,7 bebt.
"Vorher waren wir um die 70 Leute. 36 davon sind jetzt tot"
Das Dorf Ördekdede liegt 80 Kilometer von der Großstadt Kahramanmaras entfernt, wo Tausende in den Trümmern von Wohnblöcken starben. "Vorher waren wir um die 70 Leute. 36 davon sind jetzt tot", erzählt der Dorfvorsteher Sezai Tan. 115 von 120 Häuser seien komplett zerstört. "Die fünf übrigen sind so beschädigt, dass man sie nicht betreten darf."
Kücük Hasan Barik hat das Erdbeben überlebt und blickt von dem Haufen, der sein Haus nun ist, auf das Dorf. "Ich bin fertig mit der Welt." Die Worte kommen zischend aus seinem Mund. Das Erdbeben schüttelte ihn derart, er fiel auf der Treppe im Haus und schlug sich die Hälfte seiner Zähne aus. Er weiß nicht, wo er hin soll, nirgendwo sei Platz und er hat auch kein Material, um sein Haus zu reparieren. Er dreht sich um die eigene Achse und erklärt, wo überall um ihn herum Menschen gestorben sind. Überall.
"Erdogan wohnt in seinem Palast und wir sitzen hier", sagt Zeyneps Sohn Nusret. Erst am siebten Tag des Bebens habe der staatliche Katastrophenschutz Afad seiner Mutter ein Zelt vorbeigebracht. Staatliche Hilfsorganisationen seien nur zur Stippvisite da gewesen, gemeinsam mit staatlichen Medien. Die verbreiteten "Lügen". Die meiste Hilfe, die ankomme, sei die von Privatleuten, sagt er und zeigt auf frisch gebackene Hackfleischfladen auf dem Gartentisch vor ihm. Ein Mann aus der Gegend verteilt sie gerade im ganzen Dorf. Auch die Leiche des Vaters haben Leute aus dem Dorf aus den Trümmern gezogen. Die Notstruktur, wie sie in Städten entsteht, hat es bis jetzt nicht in das Dorf geschafft.
"Hast du einen Fettstift?"
Wenige Kilometer entfernt, im Dorf Karacay, sitzt die 94-jährige Meyrem Yasim auf einem Plastikstuhl vor einem Afad-Zelt am Rande eines Feldes, blickt auf die umliegenden Berge und wärmt sich im Sonnenlicht. Nachts fallen die Temperaturen hier deutlich unter Null. Das Zelt, dass sie sich mit anderen Frauen teilt, sei beheizt, aber man friere trotzdem, sagt sie und weint. Ob es an etwas fehle? "Nein, wir haben alles." Später fragen die anderen Frauen dann doch hinter vorgehaltener Hand: "Hast du einen Fettstift?" Ihre Lippen sind von der Kälte aufgesprungen. "Und Unterhosen?"
Es hätte noch schlimmer kommen können in Ördekdede, meint eine Bewohnerin. Denn im Winter gehen die meisten der Bewohner in die Stadt, weil es auf dem Dorf bitter kalt wird und häufig kein Gas zum Heizen da ist. Sie selbst ist Anfang der 90er aus Kuwait nach Syrien geflohen, als der zweite Golfkrieg ausbrach. Als in Syrien der Krieg ausbrach, floh sie aus Aleppo hier ins Dorf. "Ich habe mich dran gewöhnt", sagt sie. Die Tränen in ihren Augen lassen daran zweifeln.
Wie es für Zeynep weitergeht, weiß sie noch nicht. Ihre Kinder leben in Frankreich und Deutschland. Die Türkei und ihr Leben hier verlassen, das wollte sie eigentlich nie. Wenn sie geht, dann nur auf Zeit. Sie will zurück hierher, nach Ördekdede, ihrem Zuhause und zurück zu Ismail, der nun wenige Meter weiter begraben liegt.