Von Axel Sturm
Ladenburg. Weihnachten. Das wohl typischste Familienfest prägen meist auch bestimmte Rituale. Für viele Familien gehört der Gang zum Friedhof dazu, und auch die Christmette ist oft eine lieb gewonnene Tradition, auch die Bescherung der Kinder darf natürlich auch nicht fehlen. Wie Weihnachten gefeiert wird, hat sich über die Zeit ganz schön verändert. Aber dass das gemeinsame Weihnachtsessen wichtig ist, bleibt wohl über Jahrzehnte eine Konstante. Die RNZ sprach mit Zeitzeugen, die von der Weihnachtszeit in den Nachkriegsjahren erzählten.
Heute sind Fondue und Raclette beliebte Gerichte, weil sie das gesellige gemeinsame Essen verlängern. In der Nachkriegszeit war die Lebensmittelversorgung schwierig. An Heiligabend unternahmen die Menschen aber besondere Anstrengungen, um eine würdevolle Atmosphäre in die Wohnstuben zu zaubern.
Aus dem Tagebuch des Ladenburger Stadtkenners und ehemaligen Rektors der Merian-Realschule, Helmut Brand, geht hervor, dass die Menschen damals andere Sorgen hatten, als ausgiebig zu feiern. Auch für die Brands ging es ums nackte Überleben. Weil die Familie im Krieg ihre Wohnung in Mannheim-Seckenheim verloren hatte, nahmen Verwandte aus Ladenburg sie auf. Viel Platz gab es zwar nicht, aber man war froh, dass man ein Dach über dem Kopf hatte. Der damals Elfjährige schrieb in einem Schulaufsatz, den der Lehrer mit der Note 2-3 bewertete, wie Brand berichtet, dass der Winter 1947 ein besonders kalter war und er sich auf die warme Stube freue. Jedes Stück Holz wurde bedauert, das man in den Ofen legen musste, und der Junge machte sich Sorgen, weil man nicht genug Kleidung hatte.
Es gab aber auch schöne Momente für die Kinder. So war zur Weihnachtszeit 1947 Schlittenfahren auf dem zugefrorenen Neckar angesagt, der zu einer riesigen "Glennbahn" wurde. "Glennen" ist ein Ladeberjer Wort, das Gleiten auf einer Eisfläche bedeutet.
Und wie war der Heiligabend bei den Brands? "Es gab nichts Besonderes. Aber es stand immer etwas auf dem Tisch", erinnert sich der Zeitzeuge, dessen Mutter in einer Seckenheimer Metzgerei arbeitete. Manchmal bekamen die Mitarbeiter dort ein Wurstpaket oder ein Stück Suppenfleisch als Dankeschön.
Ähnlich lief der Heiligabend auch bei Jürgen Müller ab. "Es gab bei uns keine Besonderheit beim Essen", erzählt der Ex-Stadtrat. Was er nicht vergisst, ist der hübsch geschmückte Weihnachtsbaum. Sein Vater brachte zum Heimaturlaub russischen Weihnachtsschmuck mit, und der bleibt Müller als außergewöhnlich schön in Erinnerung. Das schönste Weihnachtsgeschenk für die Familie sei aber die Anwesenheit des Vaters gewesen.
Bei Müllers Ehefrau, die in der Nachkriegszeit noch Ingrid Vierling hieß, gab es hingegen feste Bräuche. "Wir saßen schon mittags zusammen, um Hefezopf mit Kakao zu genießen", berichtet die Frauenchor-Sprecherin der Sängereinheit. An Heiligabend gab es ein Buffet, bei dem gefüllte Eier nicht fehlen durften. Und die drei Geschwister bekamen auch immer kleine Geschenke. Meist waren es von der Mutter genähte Puppenkleider.
In der Preysingstraße feierte die Familie Gärtner Weihnachten. Klara und Willy Gärtner waren bemüht, dass jedes ihrer zehn Kinder ein kleines Weihnachtsgeschenk erhielt. Oft gab es auch ein Gemeinschaftsgeschenk wie einen neuen Herd für die Puppenstube. Damit konnten alle Kinder spielen. Das Weihnachtsessen war ebenfalls fester Bestandteil des Abends. Traditionell gab es Kartoffelsalat und Würstchen. Und mit diesem Klassiker war die Familie nicht allein. Die Würstchen kaufte sie bei der Metzgerei Söhn beim Würzburger Hof. Denn die habe besonders leckere produziert.
Auch bei Horst Müller, der als Kind mit seiner Familie im Bischofshof wohnte, gab es keine große Weihnachtsfeier. "Es gab ja nicht viel", erinnert er sich. Man blieb "dahäm" und wartete auf das Christkind. Wenn die Klingel ertönte, durfte man in die "Stubb" eintreten, wo der Tannenbaum stand. "Das Glöckchen haben wir immer noch", erzählt er. Damit rief Müller auch seine Kinder zur Bescherung.
Helmut Brand hat außerdem in seinem Tagebuch von seinem Alltag 1945 berichtet. So beschreibt er darin, wie Kinder damals in Ladenburg unterwegs waren, um Brennstoff zum Heizen zu besorgen. Wenn die Güterzüge vor der Firma Total an einem Haltesignal stehen blieben, kletterten sie auf die Waggons, um Briketts oder Steinkohlebrocken auf den Damm zu werfen. In Körben trugen sie diese dann nach Hause. Auf dem Heimweg hätten sie oft gesungen, erzählt Brand: "Der Vadder nädd dahom – die Mudder nädd dahom – un mir Buwe klaue die Kohle vun der Eisebohn". Auch an Holzbeschaffung erinnert er sich. Die Kinder setzten sich mit einer verlängerten Mistgabel auf die provisorische Neckar-Holzbrücke und fischten Treibholz aus dem Fluss. Holz war in der Nachkriegszeit ein knapper Rohstoff in Ladenburg. Brand berichtet, dass damals um die 25.000 Bäume auf der Gemarkung abgeholzt worden seien.
Aber nicht nur die warme Stube war wichtig, auch die Lebensmittelversorgung spielte eine große Rolle. Für Weihnachten wurde schon weit im Voraus geplant. Viele Familien hatten einen Stall, für Hühner, Gänse, Enten oder Truthähne. Eier wurden oft haltbar gemacht. Dafür legten die Menschen sie mit einem Kalkgemisch in einen Tontopf und bewahrten sie dort auf. "So hatte man zur Weihnachtszeit genügend Eier zum Backen", schildert Brand. Milch gab es damals in der Ladenburger Milchzentrale. Auf dem Gelände steht heute das Hotel Cronberger Hof. Auf ihren Höfen durften die Bauern keine Milch verkaufen.
Auch Dörrobst und Marmelade stellten die Menschen im Sommer für den Winter her. Die Stadt Ladenburg hatte zahlreiche eigene Obstbäume, die an kinderreiche Familien versteigert wurden. Für einen Betrag an die Stadtkasse durfte man die Früchte ernten. Aus Äpfeln wurde meist Saft, aus Beeren Marmelade, und Aprikosen und Pflaumen boten sich als Dörrobst an. Wer ein wenig Abwechslung beim Essen wollte, fand im Schriesheimer Wald einige Leckereien, erinnert sich Brand. Pilze, Heidelbeeren, Esskastanien zum Beispiel. Aus Bucheckern pressten die Menschen Öl. Brand erinnert sich auch an den Kaffee-Ersatz aus Getreide (Malz-Kaffee), aus dem "Muckefuck" gebrüht wurde. Bohnenkaffee war damals ein Luxus-Artikel, den sich nur "die oberen Zehntausend" kaufen konnten.
Erst in den 1950er-Jahren, als langsam das Wirtschaftswunder begann, verbesserte sich die Lebenssituation der Menschen. Väter, die eine feste Anstellung in den Betrieben und Fabriken hatten, konnten die Ehefrauen mit einem festen Betrag an "Haushaltsgeld" ausstatten. Auch die Kinder profitierten vom neuen Zeitalter. Holz- und Blechspielzeug lagen nun unterm Tannenbaum. Mädchen bekamen jetzt Puppen mit Echthaar, und bei den Jungs war eine Märklin-Eisenbahn der Renner.