Von Barbara Nolten-Casado
Eberbach. Einer aus der Hirtenschar wärmt sich gerade noch die Hände am Feuer. Die anderen haben derweil wohl schon bemerkt, dass sich da rechts im Bild etwas Außergewöhnliches zugetragen hat. Von allen Seiten strömen sie herbei, zu dem Stall mit Ochs und Esel, vor dem eine Frau und ein Mann an einer Futterkrippe zu sehen sind. Ein neugieriges Schäfchen steckt seine Nase in den Trog, ein kleines Kind liegt darin…
Lebendig wirkt die weihnachtliche Szene, die Andrea Lederer, Kirchenälteste und stellvertretende Kirchendienerin in Eberbachs evangelischer Gemeinde, mit "Egli-Figuren" hinten in der Michaelskirche aufgebaut hat. Bereits am ersten Advent hat sie mit der Installation begonnen. Da waren Maria und Josef zunächst auf ihrem Weg zur Herberge in Bethlehem zu sehen. "Die Hirten sind dann auch schon auf der Szene", erläutert Lederer. "Sie machen Holz, Wolle etc. Doch die sind mit ihrer Sache beschäftigt und achten gar nicht auf das Paar."
Wichtig ist ihr: "Maria hat auch wirklich das Jesuskind im Bauch." Das steckt Lederer ihr zu Beginn der Reise sorgfältig unter den Mantel. Kurz vor dem 24. Dezember holt sie es dann wieder hervor und legt es in die Krippe. "Jetzt sind alle Blicke auf dieses Kind gerichtet, nun nehmen auch die Hirten die Szene bewusst wahr."
Gesichter haben die von der Schweizerin Doris Egli in den 1960er Jahren mitentwickelten "biblischen Erzählfiguren" keine. Ihre Expressivität und Lebendigkeit erhalten sie einzig durch ihre biegbaren Gliedmaßen. Rund dreißig Erzählfiguren umfasst der Schatz, den Andrea Lederer in einem Schrank im Keller hütet. Hinzu kommen Boote aus Pappkarton mit leibhaftigen Segeln, Bäume aus Holz und allerlei weitere Requisiten. Den Krippenstall hat Vater Heinz Lederer einst aus einem ehemaligen Vogelhäuschen gezimmert. Alles andere wurde von Andreas 2019 verstorbener Mutter Susanne Lederer geschaffen.
Vor über zwanzig Jahren hatte die in der evangelischen Kirchengemeinde aktive gelernte Schneidermeisterin Kurse zur Herstellung von Egli-Figuren und den zugehörigen Tieren besucht. Anschließend leitete sie ihrerseits Eberbacher Frauen dazu an. "Die Eberbacher waren damals begeistert von den Figuren", erinnert sich Tochter Andrea, die ihrer Mutter dabei stets tatkräftig zur Hand ging. Neben der Weihnachtskrippe kreierte Susanne Lederer Figuren für die szenische Darstellung diverser biblischer Erzählungen, die das Jahr über großen und kleinen Kirchgängern die Predigttexte lebendig vor Augen führen wollten: Das Ostergeschehen etwa, die "Sturmstillung" oder das Gleichnis vom "Sämann" samt sperrhölzernen Raben.
"Rund acht Stunden Arbeit stecken in so einer Figur", weiß Andrea Lederer. "Die Bleifüße und das Drahtgestell müssen mit einer Art Binden umwickelt und anschließend mit einem Trikotstoff überzogen werden." Und dann die Kleider: "Die hat meine Mutter alle selbst genäht. Es sind viele verschiedene, sodass man die Figuren auch umziehen und für unterschiedliche Szenen benutzen kann."
Seit dem Tod der Mutter führt Andrea Lederer nun die Tradition fort. "Ich habe meiner Mutter beim Aufbau der Szenen immer geholfen", erzählt sie, "da war es für mich selbstverständlich, dass ich das weitermache." Hilfreich ist dabei ein Fotoalbum, in dem sich Bilder der biblischen Szenarien aus allen Jahrgängen finden lassen. "Aber", sagt Lederer, "das muss nicht immer gleich sein. Das mache ich so, wie mir’s gerade kommt."
Nach Neujahr müssen die Hirten der Krippenszene in der Michaelskirche ein wenig zur Seite rücken. Dann kommen die Drei Könige mit ihren großen Dromedaren dazu. Und irgendwann im Januar machen sie schließlich alle Platz für ein "Gleichnis". Welches das sein wird, ist noch nicht entschieden. Fest steht aber: "Das bleibt dann das Jahr über stehen – bis zum nächsten Advent."