Das Mirazur gehört zu den besten Restaurants der Welt. Seit Jahren. Doch neuerdings macht Starkoch Mauro Colagreco sein Menü vom Stand des Mondes abhängig. Was das soll, erzählt er im Interview.
Mauro Colagreco ist ein Überflieger. Der Küchenchef des Mirazur an der französischen Riviera hat in den vergangenen Jahren einen kometenhaften Aufstieg hingelegt. 2019 holte das Restaurant drei Michelin-Sterne und den ersten Platz im Ranking "World's 50 Best Restaurants". Inzwischen wurde das Mirazur in die "Hall of Fame" der "Besten der Besten" aufgenommen. Mehr geht nicht. Doch anstelle auf der Erfolgswelle einfach weiter zu surfen, wagt der Starkoch eine kreative Neuausrichtung. Seine kulinarische Arbeit, sie ist nun abhängig vom Stand des Mondes.
Herr Colagreco, wie sind Sie denn auf die – mit Verlaub – extravagante Idee gekommen, Ihr Drei-Sterne-Restaurant plötzlich vom Mond abhängig zu machen?
Das Entscheidendste während den Corona-Begrenzungen war der Tempowechsel. Auch davor schon hatte ich täglich Kontakt zum Garten, er liegt direkt neben meinem Haus. Aber nie hatte ich mehr Zeit, Seite an Seite mit den Gärtnern zu arbeiten und die Energie, all die kleinen Veränderungen und feinstofflichen Energien, die bei der Arbeit mit Techniken wie Permakultur und Biodynamik im Garten entstehen, einzufangen. Die Natur zeigte uns die Kontinuität des Lebens und der Zyklen und das zu einer Zeit, in der die Leute und ihr Tun vollständig zum Stillstand kommen mussten. Das bewegte und ermutigte mich, mich noch eingehender mit der Entwicklung der Menüs und dem Esserlebnis im Mirazur zu befassen.
Es heißt, Sie seien mindestens so viel Spitzengärtner wie Spitzenkoch. In Ihrem Hang-Garten wächst so gut wie alles, was Sie im Restaurant verwerten. Zudem hüten Sie den ältesten Avocado-Baum Frankreichs. Warum ist Ihnen der Anbau so wichtig?
Ich denke, der wichtigste Teil unserer Arbeit findet in der Erde statt. Ein Koch ist in erster Linie ein Lebensmittelhandwerker, und die Zubereitung eines Gerichts ist der letzte Teil eines viel umfassenderen Prozesses, der mit der Herkunft dieser Lebensmittel zu tun hat, damit, wie sie behandelt wurden und wie sie zu uns gekommen sind. All diese Prozesse finden außerhalb der Küche statt, auf dem Land, in den Gärten, im Meer und auf den Bauernhöfen. Wir Köche sollten viel mehr Zeit außerhalb unserer Küchen verbringen, um den Ursprung der Produkte, die wir verwenden, nachzugehen. Ich sehe mich selbst gerne als Gärtner, der es mag, eine Kochjacke zu tragen.PAID Versuchungen widerstehen 10.33
Und was hat der Stand des Mondes damit zu tun?
Der Mondkalender hilft uns dabei, uns mit der Schönheit und Kraft der Natur neu zu verbinden. Wir folgen denselben Einflüssen und Zyklen wie Tiere und Pflanzen, nur sind wir nicht darauf trainiert, sie wahrzunehmen. Die Wiederaufnahme dieses Dialogs im Inneren und an den Orten, die wir bewohnen, ist die einzige Möglichkeit, den Fortbestand des Lebens auf der Erde zu sichern. So einfach ist das. Die Möglichkeit, sich weiterhin an der Schönheit der Welt zu erfreuen, hängt davon ab.
Was meinen Sie, wenn Sie von einer Verbindung mit der Natur sprechen?
Schon in antiken Kulturen nutzten Bauern für den Anbau Kalender, mit denen sie den Rhythmus der Sterne folgten und auch der heutige biodynamische Kalender berücksichtigt positive kosmische Impulse, die direkt auf das Wachstum wirken. Der Kalender umfasst vier prägende Kräfte, die den verschiedenen Teilen der Pflanze zugeordnet werden: Erde für die Wurzeln, Wasser für die Blätter, Luft für die Blüten und Feuer für die Früchte. Die Kräfte verändern sich jeden Tag je nach Position des Mondes am Himmel und bestimmen die Zeitpunkte, in denen die Energie in den einzelnen Pflanzenteilen am günstigsten und konzentriertesten ist. Mit der Umstellung folgen wir im Mirazur dieser kontinuierlichen Bewegung der Natur, den kosmischen Einflüssen und den Wechselwirkungen zwischen allen Lebewesen.
Was heißt das für ihre tägliche Arbeit?
Der Garten ist das Herzstück des Restaurants. Wir achten darauf, dass wir die richtigen Pflanzen zur richtigen Zeit ernten, damit diese auch wirklich in Bestform sind – Geschmack, Reife. Je nachdem, an welchem Tag die Gäste ins Restaurant kommen, werden sie in eine andere unserer vier Mirazur-Erfahrungen eintauchen: Wurzel-Universum, Blatt-Universum, Blüten-Universum und Frucht-Universum.
Also Menüs, die ausschließlich aus Blättern, Wurzeln, Blüten und Früchten bestehen?
Nein. Leitmotiv ist jeweils ein Element, das wie ein roter Faden durch das Menü führt. Zudem arbeiten wir mit regionalen Produkten – aus dem Meer, dem Land, den Bergen. Im Blumenmenü finden Sie einen Artischockenkuchen. Im Blattmenü bieten wir eine mit Neptungras gekochte Taube oder ein Lamm "Mille Feuilles" an. Auf der Obstkarte könnte das Hauptgericht Kalbfleisch mit Aprikosenglasur sein. Und zum Abschluss des Wurzelmenüs bieten wir ein Ragout von neuen Kartoffeln und Knoblauch mit Kaviar an. Diese vier Menüs ändern sich natürlich fast jede Woche, je nach Saison. Zudem ändern sich auch die Tischdekoration und das Geschirr mit jedem Universum. Es ist, als wäre das Mirazur vier Restaurants in einem.
Das Mirazur hatte einen sagenhaften Ruf. Ist die Umstellung ein Wagnis?
Es war wunderbar, zwei Jahre lang die Nummer 1 zu sein. Kürzlich wurden wir in die Kategorie "Die Besten der Besten" aufgenommen, zusammen mit einigen unglaublichen Köchen, die zuvor ebenfalls den ersten Platz innehatten. Bei unserer Motivation ging es jedoch nie darum, eine bestimmte Position zu erreichen oder eine Auszeichnung zu erhalten; sie entsprang unserer kreativen Leidenschaft. Wir wollen jeden Tag unser Bestes geben, weiter lernen, uns entwickeln und voranschreiten. Auf diese Weise werden wir noch besser darin werden, unsere Leidenschaft zu teilen und unseren Gästen das bestmögliche Erlebnis zu bieten.